Bedächtig blickt die Dame auf ihren Kastanienbaum herab, den sie um ein gutes Stück überragt. Kurz scheint sie in Erinnerungen zu schwelgen. Daran, wie sie den Sämling vor nunmehr 20 Jahren mit ihrem Enkel auf dem Spielplatz gefunden hat. Der Enkel ist längst erwachsen, der Baum knorrig und betagt. Und doch muss sich Ingeborg Moritz aus Augsburg etwas bücken, um liebevoll ein welkes Blatt aus der Krone der Kastanie zu zupfen. Eine Szene, wie aus „Gullivers Reisen“. Doch ist die Hobbygärtnerin kein Riese, sondern vielmehr ihre Pflanze ein Zwerg. Es ist ein Bonsai, den die 73-Jährige mit eigener Hand gezogen hat. „Pflanze in der Schale“ – so lautet die deutsche Übersetzung des japanischen Wortes Bonsai. In seiner ursprünglichen Form ist das Miniaturbäumchen viel mehr als nur eine Pflanze. Es ist eine regelrechte Kunstform, die eng mit östlicher Religion und Lebensanschauung zusammenhängt.
Bonsai-Baum: Tipps zur Pflege
Traditionalisten haben bei der Pflege ihrer Schützlinge zahlreiche Spezialkenntnisse zu beachten, die eine intensive Beschäftigung mit den verschiedenen Gestaltungsrichtlinien sowie der zugrunde liegenden Philosophie voraussetzt.
„Für mich sind die Bonsais einfach nur schön“, erklärt Ingeborg Moritz. Um verquere Formalitäten kümmere sie sich, sondern pflege ihre Lieblinge nach eigenem Gutdünken. Auch auf das sogenannte Eindrahten, durch das die Veränderung der Astform erreicht werden soll, verzichtet sie inzwischen nahezu. Etwa ein Dutzend der Zwergbäume besitzt die rüstige Rentnerin – gekauft ist nur ein einziger. Die übrigen, darunter eine alte Eiche, ein Chinesischer Wacholder und eine Quitte, hat die Gartenliebhaberin selbst gezogen. „Für Bonsai eignen sich alle verholzenden, kleinblättrigen beziehungsweise kleinnadligen Baum- und Straucharten hervorragend“, erklärt die Expertin.
Entgegen der Wortbedeutung ist die Schale nicht zwingend notwendig. Sogenannte Outdoor-Bonsai werden aus robusten Gehölzen geformt und können auch problemlos im Garten gepflanzt werden. Besonders geeignet sind hierfür beispielsweise Birken, Buchen, Zierapfelbäume oder Kiefern. Topfpflanzen hingegen müssen kühl überwintert werden, vertragen aber keine starken Fröste. Gewächshäuser oder Wintergärten sind hierfür bestens geeignet.
Den Bonsai-Baum schneiden: Wann ist der richtige Zeitpunkt?
Der Beschnitt von Bonsai erfolgt in der Regel im Mai. Dabei werden alle Blätter rigoros mit einer Schere abgeschnitten. Dadurch bildet die Pflanze neue, sehr kleine Blätter aus. Nach dem Blattschnitt kann man entscheiden, welche Äste entfernt werden oder als Teil der Struktur stehen bleiben können. Jetzt kann auch sehr gut gedrahtet werden. „Alle zwei Jahre nehme ich die Bäumchen zudem aus dem Topf und kürze das Wurzelwerk ein“, sagt Ingeborg Moritz und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Das kann auch mal ganz radikal mit dem Fuchsschwanz passieren.“
Woher kommt die Bonsai-Kunst? Herkunft und Infos
Die Bonsaikunst stammt eigentlich nicht aus Japan, sondern aus China. Bereits im 3. Jahrhundert nach Christus ließen die Kaiser hier ihre liebevoll gestalteten Gartenanlagen mit künstlich geschaffenen Seen, Felsformationen und ganzen Wäldern in Miniaturform verschönern. Der Legende nach soll zu dieser Zeit der Zauberer Jiang-Feng gelebt haben, der ganze Landschaften auf ein Tablett zaubern konnte. Im ausgehenden 10. Jahrhundert brachten buddhistische Mönche die Bonsaikunst nach Japan. Im Jahr 1867 wurden die Miniaturbäume im Rahmen der Weltausstellung in Paris erstmals einer westlichen Öffentlichkeit vorgestellt.
Ingeborg Moritz aus dem Augsburger Stadtteil Bärenkeller würde sich selbst niemals als „Gartenexpertin“ bezeichnen. „Da gibt es viele, die mehr wissen, als ich“, sagt sie bescheiden. Und doch ist die sympathische Dame geradezu ein wandelndes Gartenlexikon, die viele gute Tipps auf Lager hat. Ihr wildromantischer Feengarten wurde bereits in einem bekannten Gartenmagazin abgebildet.
Zwar ist das grüne Paradies der 73-jährigen Rentnerin nicht besonders groß, doch es blüht und gedeiht, dass es eine wahre Freude ist. „Wenn ich einmal traurig bin, gehe ich einfach in meinen Garten“, sagt sie. „Dann geht es mir ganz schnell wieder gut.“ Für ihre Rosen verwendet Ingeborg Moritz übrigens Blaukorn. „Dann kommen die Blüten nämlich ganz besonders schön zur Geltung.“