Startseite
Icon Pfeil nach unten
Friedberg
Icon Pfeil nach unten
Lokalsport
Icon Pfeil nach unten

Sportskanonen: Guten Tag, Frau Europameisterin

Sportskanonen

Guten Tag, Frau Europameisterin

    • |
    Claudia Bär
    Claudia Bär

    Kissing Sie hat zwar noch keine Kinder, aber Babynahrung hat sie trotzdem fast immer zu Hause. In den letzten Tagen vor einem Wettkampf greift sie dann zu. Am liebsten isst sie den Früchtebrei aus den Gläschen. „Das ist das Einzige, das ich dann noch runterbringe“, sagt sie.

    Drei Kilo können es durchaus werden, die sie vor Stress verliert. Und das, obwohl sie so wirkt, als könne sie nichts aus der Bahn werfen. Sie, die es irgendwie schafft, all das hinzukriegen, wofür manche Menschen vermutlich drei Leben bräuchten: Claudia Bär ist 31 Jahre alt, studiert Politikwissenschaft, ist Soldatin in der Sportkompanie der Bundeswehr, betreut eine Kanuten-Jugendgruppe, engagiert sich kommunalpolitisch, trainiert dreimal täglich auf dem Eiskanal in Augsburg und ist seit einigen Wochen Europameisterin im Einzel-Kajak.

    Nur sonntags, da macht sie das, was zwischendrin auch mal nötig ist: ausruhen. „Das ist der einzige Tag, der nur uns gehört“, sagt sie und schaut dabei lächelnd hinüber zu ihrem Freund Sideris Tasiadis, mit dem sie nicht nur zusammenlebt, sondern auch die Begeisterung für den Kanusport teilt.

    Zu Beginn ihrer Paddelkarriere sah das noch ganz anders aus. Von Begeisterung konnte da keine Rede sein. Als Zehnjährige kam sie mit ihrem Bruder das erste Mal an den Eiskanal. Ins Boot steigen wollte sie aber auf keinen Fall. „Dazu hätte ich mich ja mit den anderen Kindern umziehen müssen. Und das wollte ich damals gar nicht“, erzählt sie.

    Nach einer Weile aber klappte auch das und Bär fing an, regelmäßig zu trainieren. „Mit den ersten Erfolgen kam auch der Ehrgeiz“, sagt sie. Bei ihrem ersten Wettbewerb, den Vereinsmeisterschaften, wurde sie Dritte – auf den Plätzen vor ihr waren zwei Jungs.

    Seither hat sie zwar bei unzähligen Turnieren mitgemacht. Nervosität vor dem Start begleitet sie aber bis heute. Um sich selbst nervlich runterzubringen, hat sie einen Trick: In den Minuten, bevor es losgeht, hört sie Musik. Ganz laut und per Kopfhörer.

    Vor dem EM-Rennen hat sie das auch gemacht. „Total peinlich. Ich habe mir ein Lied von Justin Bieber angehört“, erinnert sie sich. Doch so richtig dafür schämen will sie sich nicht – schließlich habe es ja geholfen, sagt sie lachend.

    An das, was nach dem Rennen passierte, daran kann sie sich indes kaum mehr erinnern. „Das war einfach irreal“, sagt sie. Jeder wollte mit ihr sprechen, jeder wollte sie fotografieren. Und sie selbst hatte noch gar nicht begriffen, was gerade passiert war.

    Ein wenig geht ihr das immer noch so. „Es trifft mich jedes Mal wie der Blitz, wenn mich jemand grüßt und zu mir sagt: ,Guten Tag, Frau Europameisterin‘.“

    Das mag auch daran liegen, dass zum Feiern keine Zeit blieb. „Es ging sofort weiter.“ Zu Hause wartete nicht nur die Vorbereitung auf die noch anstehenden Wettkämpfe, sondern auch die Jugendgruppe, die sie trainiert.

    „Am Anfang war ich sehr skeptisch, ob ich das überhaupt kann“, sagt sie. Inzwischen hat sie einen Heidenspaß dabei. „Ihnen zuzusehen, das ist für mich wie eine Rückschau in die Zeit, in der ich selbst so alt war.“ Zweimal pro Woche findet das Jugendtraining statt und nicht immer geht dabei alles glatt. „Was ich schon an Tränen weggewischt habe.“ Besonders, wenn die Kinder sich am Einstieg nicht trauen, ins Wasser zu gehen, dann muss sie ran – mal mit tröstenden, aber auch hin und wieder mit strengen Worten.

    Und was ist ihr persönlich das Wichtigste? „Ich bin ein Familienmensch“, sagt sie. Deswegen sei es für sie auch unvorstellbar, aus Kissing wegzugehen. „Ich habe es einmal versucht und bin nach Augsburg gezogen“, erzählt sie. „Das hat aber nicht funktioniert.“ Seit März wohnt nun auch ihr Freund in Kissing.

    Bis der nächste große Wettbewerb ansteht, bleibt noch etwas Zeit. Im September tritt sie bei der Weltmeisterschaft in Bratislava an. Ob es für sie im kommenden Jahr dann nach London zu den Olympischen Spielen geht, wird sich dort entscheiden. Dass bis dahin noch das ein oder andere Glas Baby-Früchtebrei auf Bärs Speiseplan stehen wird, davon kann man wohl ausgehen – auch sonntags.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden