Wer die Baindlkirchener Pfarrkirche zum ersten Mal betritt, stellt sich die Frage, ob die Erbauer dieses Gotteshauses zu wenig Geld für Altäre hatten und sie deshalb „nur“ malen ließen. Die Antwort darauf gab der Kunsthistoriker Hans-Christian Ries vor Kurzem bei seiner Führung am Tag des offenen Denkmals: Die Finanzen mögen durchaus eine Rolle gespielt haben, aber die aufwendigen, kunstfertigen Malereien waren auch nicht gerade billig - und lagen damals voll im Trend.
Die Malereien waren vom Direktor der berühmten Augsburger Kunstakademie, Johann Joseph Anton Huber, im Stil des Frühklassizismus ausgeführt worden. Doch Hauptgrund für diese in unserer Gegend einmalige Ausgestaltung des 1808/09 erbauten Gotteshauses war der damals insbesondere in Böhmen und Österreich verbreitete Trend, Ausstattungsgegenstände in den Kirchen dreidimensional zu malen anstatt sie in Holz oder Stuck zu fertigen.
Später verbotene Erweckungsbewegung beeinflusst Gestaltung der Kirche
Der Kunsthistoriker erklärte auch, weshalb es in der Kirche so wenige Heiligenfiguren gibt: Der maßgeblich für den Bau der Kirche verantwortliche Pfarrer Ignaz Lindl - Sohn des Gastwirtsehepaars Lindl aus Baindlkirch - war Anhänger der Allgäuer Erweckungsbewegung. Diese später als ketzerisch verbotene Glaubensrichtung lehnte die Heiligenverehrung ab und rückte die Beziehung des individuellen Gläubigen zu Jesus in den Vordergrund. Deshalb sind auf den Gemälden der Seitenaltäre Szenen aus der Kindheit Jesu zu sehen.
Auch das Deckenfresko im Langhaus ist durch die Glaubensrichtung von Pfarrer Lindl bestimmt: Hier ist das „Himmlische Jerusalem“ in kunstvoller Scheinarchitektur dargestellt, wie es sich nach der Apokalypse auf die Welt herniedersenkt. Das Verheißungsvolle am Ende der Zeiten, wie es sich die Anhänger der Erweckungsbewegung herbeisehnten, ist exakt nach dem Text der Offenbarung des Johannes in der Bibel gemalt; sogar die dort angegebenen Maße wurden berücksichtigt.
Charismatischer Prediger aus Baindlkirch zieht bis zu 10.000 Anhänger in seinen Bann
Mit diesen Glaubensinhalten zog Pfarrer Lindl bei seinen stundenlangen Vorträgen bis zu 10.000 Anhänger in den Bann. Doch 1818 musste er durch einen Erlass von König Maximilian I. das Land verlassen. Zunächst nahm ihn der russische Zar Alexander auf und er konnte in St. Petersburg weiter als Prediger wirken. Doch als er zu den Evangelischen konvertierte und seine Eismannsberger Haushälterin heiratete und eine Familie gründete, wurde er auch aus Russland verbannt. Er starb 1845 in Barmen, einem heutigen Stadtteil von Wuppertal (Rheinland).
Eine weitere Besonderheit der Pfarrkirche St. Martin ist der Turm, der aus dem 16. Jahrhundert stammt. Altäre, ein großes Kruzifix und die Kanzel wurden aus der Klosterkirche Taxa übernommen, die 1802 im Rahmen der Säkularisation dem Erdboden gleich gemacht wurde. Einzige aus der Vorgängerkirche erhaltene Figur ist ein spätgotischer St. Martin auf einer Konsole. Wie Kunsthistoriker Ries herausstellte, ist St. Martin in Baindlkirch ein kunsthistorisch sehr bedeutsames frühklassizistisches Juwel, denn es gilt als eine der letzten bedeutenden Leistungen der Augsburger Freskomalerei in der Tradition des 18. Jahrhunderts. Eingeladen zu dieser Führung am Tag des offenen Denkmals hatten die Pfarrei St. Martin Baindlkirch und die Dorfbelebung Mittelstetten. (AZ)
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