Verpixelte Gesichter, verzerrte Stimmen, eine "Integrationskita" in Süddeutschland: Die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer der "Team Wallraff"-Sendung sahen im September eine anonyme Einrichtung im Fernsehen. Für die Folge "Undercover in Kitas" hatte sich eine Reporterin in zwei private und eine kirchliche Einrichtung eingeschleust. In Kissing und Umgebung jedoch erkannte man auf den Bildern den Garten, die Möbel, die eigenen Kinder – und den Kindergarten Alte Schule. Mittlerweile hat das Personal gekündigt, die Einrichtung muss schließen. Für die Eltern eine untragbare Situation.
Kissinger Kindergarten tauchte in Wallraff-Sendung auf
Ausschnitte aus der RTL-Reportage legen gravierende Missstände offen. In einer Kita in Nordrheinwestfalen sei es sogar zu Misshandlungen der Kinder gekommen, eine Mitarbeiterin zwang etwa ein weinendes Kind zum Essen. Im Kindergarten Alte Schule hingegen, in der die Reporterin sich zwei Wochen lang als Praktikantin ausgab, fokussiert sich die Sendung auf den Umgangston der Erzieherinnen. Szenen zeigen beispielsweise, wie eine Fachkraft einen Jungen mit erhöhtem pädagogischen Förderbedarf anschreit und mehrmals maßregelt. Einmal wird eine Erzieherin ausfallend und bezeichnet eine Mutter, die zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend ist, als "brunzpieselblöd". Die Sendung kritisiert zudem, dass Integrationskinder im Kindergarten nicht die Unterstützung bekämen, die sie bräuchten. Es fehle an therapeutischen Angeboten, die Fachkräfte seien überfordert.
Schockierend – oder verzeihbare Ausrutscher im stressigen Arbeitsalltag? Fest steht, dass das Personal nach der Ausstrahlung gekündigt hat, die Einrichtung schließt zum 1. Januar. Einer Mutter aus Kissing ist die Wut über die Undercover-Reportage anzuhören. Und nicht wegen der vermeintlichen Enthüllung. "Was haben sie noch alles auf Band? Haben sie vielleicht sogar unsere Kinder auf den Toiletten gefilmt?" Die gezeigten Szenen empfinde sie, wie die anderen Eltern auch, nicht als gravierend, in anderen Einrichtungen gehe es ganz anders zu.
Ihr Sohn, den sie auf den Aufnahmen im Hintergrund wiedererkannte, habe sich immer wohlgefühlt. Sie wünsche sich, dass der Kindergarten wieder den guten Ruf bekommt, den er verdiene. Bereits in der Vergangenheit habe es Anfeindungen gegen die Alte Schule und ihr Personal gegeben. "Ich weiß nicht, wie Menschen so voller Hass sein können und ständig sticheln müssen."
Über Alte Schule gab es bereits früher Beschwerden
Dass es früher Beschwerden gegen die Alte Schule gab, kann Günter Groll bestätigen. Er ist Vorsitzender des Kitazentrums St. Simpert in Augsburg. Die Stiftung ist für über 200 Kindergärten zuständig und verwalte die Alte Schule seit mehreren Jahren. Vor zwei Jahren sei die Stiftung gemeinsam mit dem Landratsamt Elternbeschwerden nachgegangen - zu wenig Personal, zu wenig sensibler Umgang mit den Kindern.
"Wir haben entsprechende Maßnahmen getroffen, eine Fachkraft hat die Einrichtung verlassen", sagt Groll. Dann die RTL-Sendung. Man habe sich nach dem "höchst unverschämten" Bericht intensiv mit dem Personal ausgetauscht, Einzelbetreuung angeboten, Supervision und Coaching, jedoch ohne Erfolg. Wegen der Kündigungen, eine auch aus privaten Gründen, bliebe nichts anderes übrig, als die Einrichtung zu schließen. Zwar liefen mehrere Bewerbungen, doch Groll kann keine Prognose treffen, wann die Alte Schule wieder öffnet.
Wie geht es mit den 18 Kindern, darunter mehrere Integrationskinder mit höherem Betreuungsbedarf, weiter? Momentan laufen Gespräche der Stiftung mit der Gemeinde Kissing für den Großteil der Kinder. Wie Bürgermeister Reinhard Gürtner sagt, sei die Schließung völlig überraschend gewesen. Man bemühe sich um Plätze in anderen Kissinger Einrichtungen. "Aber wir können nicht zaubern." Althegnenberg habe drei Plätze angeboten, laut Merings Bürgermeister Florian Mayer kann ein Kind durch Überbelegung einer Gruppe in Mering untergebracht werden, damit seien die Kapazitäten aber ausgeschöpft.
Kissinger Kinder haben noch kein Betreuungsangebot
Für die Eltern eine untragbare Situation. Zwei berufstätige Mütter aus Kissing, deren Kinder ab Januar ohne Betreuung sind, erzählen. Ihre Namen wollen sie aus Angst vor Anfeindungen nicht in der Zeitung lesen. "Ich kann gar nicht mehr schlafen, niemand sagt uns, wie es weitergeht", sagt eine von ihnen. "Aber den Erzieherinnen mache ich keinen Vorwurf, irgendwann ist die Kraft auch vorbei." Die andere Mutter beklagt sich über das Chaos. Mehrere Parteien stritten sich, Gerüchte machten die Runde, man wisse nicht, welche Kinder welche Plätze bekommen. Sie ärgert sich vor allem über die Simpert-Stiftung – und hält den Grund der RTL-Sendung für vorgeschoben. "In der Alten Schule gibt es schon länger zu wenig Personal, die Leitung bettelt seit Jahren um Unterstützung."
Wie Bürgermeister Gürtner betonte, fordere man die Stiftung zu einer offiziellen Stellungnahme auf, wie es nach der Schließung weitergehe. "Das ist vertragswidriges Verhalten." Die Alte Schule hat nur noch eine Woche geöffnet, bis Januar sind es nur noch zwei Wochen. Eine Lösung für alle ist nicht in Sicht. "Und die Leidtragenden? Das sind die Kinder", sagt eine der Mütter.