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Kissing: Wenn ADHS das Denken stört: Kissinger Gruppe hilft Betroffenen

Kissing

Wenn ADHS das Denken stört: Kissinger Gruppe hilft Betroffenen

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    Bettina Lehmann-Riede ist Leiterin der ADHS-Selbsthilfegruppe "Zappelphilipp und Träumerle" in Kissing.
    Bettina Lehmann-Riede ist Leiterin der ADHS-Selbsthilfegruppe "Zappelphilipp und Träumerle" in Kissing. Foto: Anna Katharina Schmid

    Es reichte nur ein böser Blick des Lehrers oder der Lehrerin: "Das hat mich so ins Mark getroffen, ich konnte nichts mehr aufs Papier bringen." Bettina Lehmann-Riede ist Leiterin der ADHS-Selbsthilfegruppe in Kissing. ADHS - eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. Die 52-Jährige ist selbst betroffen. Anders als viele Menschen annehmen, äußert sich die

    ADHS bei Kindern äußert sich nicht nur im Herumzappeln

    Sie habe bereits als Kind gemerkt, dass ihr Kopf anders funktioniere. "Ich dachte, ich bin unglaublich dumm", sagt Lehmann-Riede. Während des Unterrichts brachten sie Kleinigkeiten aus dem Konzept. Sobald die Chemie mit dem Lehrer nicht stimmte, konnte sie sich nichts mehr merken. Bei wiederum anderen Lehrkräften musste sie hingegen kaum lernen. Ihre Noten schwankten enorm, ihre Eltern zeigten kein Verständnis. "Menschen mit ADHS haben ein feines Gespür, die Atmosphäre ist enorm wichtig", erklärt Lehmann-Riede.

    Auf dieser Tafel sammelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kissinger ADHS-Gruppe ihre Stärken.
    Auf dieser Tafel sammelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kissinger ADHS-Gruppe ihre Stärken. Foto: Anna Katharina Schmid

    Die ADHS-Selbsthilfegruppe mit dem Namen "Zappelphilipp und Träumerle" fand die Kissingerin im Internet, ein Angebot für Eltern und Betroffene. Sie besuchte die Treffen und bekam viele Rückmeldungen - vorwiegend von Eltern betroffener Kinder - wie wertvoll ihre Sichtweise als Erwachsene sei. Auch ihr selbst tat es gut, darüber zu reden. Schließlich schrieb sich Lehmann-Riede für Fortbildungen bei ADHS Deutschland ein und übernahm vor rund zehn Jahren die Leitung. Vor Corona kamen bei den Treffen rund zwölf Leute zusammen, jetzt sind es etwa die Hälfte. Die Geschichten, die sie in der Gruppe hört, ähneln oft ihrer eigenen.

    Für viele ist die ADHS-Gruppe in Kissing eine große Stütze

    "Gerade die Eltern haben so viele Zweifel", sagt Lehmann-Riede. Sie suchten die Schuld für das Verhalten ihres Kindes oft bei sich. Dabei seien die Probleme bei ADHS oft ähnlich. Kinder können sich dann nicht konzentrieren, ecken an, sitzen eine Ewigkeit vor ihren Hausaufgaben. Manche sind hibbelig, andere ganz ruhig. Oft handeln sie impulsiv und brausen plötzlich auf.

    Wie die Leiterin zusammenfasst, habe ADHS viele Begleiterscheinungen und ein vielschichtiges Krankheitsbild. Nach heutigem Erkenntnisstand handelt es sich dabei wahrscheinlich um eine genetisch bedingte Regulationsstörung im Frontalhirn. Die Ausschüttung und Aufnahme der Botenstoffe, etwa Dopamin und Noradrenalin, ist nicht im Gleichgewicht. Medikamente können die Grundstörung verringern, aber was auch oft hilft, sind Strukturen, wie Lehmann-Riede sagt.

    ADHS kann auch bei anderen Krankheiten eine Rolle spielen

    Als sie ihren Mann kennenlernte und sie Kinder bekamen, veränderte sich etwas bei ihr. Saßen sie gemeinsam beim Abendessen, konnte die 52-Jährige manchmal plötzlich nichts mehr hören. "Ich habe so viele Sachen einfach nicht mehr mitbekommen", sagt sie. Ein Hörtest zeigte jedoch, dass das nicht an ihren Ohren lag. Erst eine Untersuchung bei einem Neurologen ergab die Diagnose ADS - ohne die Hyperaktivität. Die Geräusche und der Lärm beim Abendessen lenkten sie wohl zu sehr ab, um sich zu konzentrieren. "Das war eine große Erleichterung." Bei einem anderen Test wurde auch ihre Intelligenz geprüft, wovor Lehmann-Riede Angst hatte.

    "Ich dachte, da wird rauskommen, wie dumm ich bin." Das tat es nicht, ihr Ergebnis war überdurchschnittlich. Laut Lehmann-Riede wird die Störung meist von Selbstzweifeln begleitet. Diese seien oft so übermächtig, dass der Verstand nichts mehr ausrichten könne. Generell werde ADHS bei Erwachsenen schlechter erkannt. Wie Lehmann-Riede sagt, kann die Störung auch bei anderen Krankheiten eine Rolle spielen, etwa bei Depressionen, Schlafstörungen oder Suchtkrankheiten. Behandele man es dann nicht mit, könnten die Therapien scheitern. Generell wünscht sich Lehmann-Riede ein stärkeres Bewusstsein für ADHS, mehr Akzeptanz und Verständnis für ein besseres Miteinander. Und für die Betroffenen: "Ein besseres Selbstwertgefühl in die eigene Leistungsfähigkeit."

    Sich austauschen, Leid zusammen tragen - ebenso wie gemeinsame Erlebnisse und Spaß: Das Angebot an Selbsthilfegruppen im Wittelsbacher Land ist vielfältig. In einer Serie möchten wir in den nächsten Wochen eine Auswahl der Gruppen vorstellen, die für Betroffene oft eine wertvolle Stütze sind.

    Kontakt: Die Gruppe "Zappelphilipp und Träumerle" trifft sich jeden dritten Donnerstag im Monat, außer in den Schulferien, um 19.30 Uhr im Familienstützpunkt Süd in Kissing, Nelkenstraße 18, im ersten Stock. Ansprechpartnerin ist Bettina Lehmann-Riede: Telefon 08233/8470526.

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