Fast schon zu schön ist der Kissinger Weitmannsee. Wie gemalt sehen oft die Fotos aus. Der Weitmannsee westlich von Kissing ist nicht nur ein beliebter Badesee im Sommer, sondern ganzjährig bei Spaziergängern beliebt. „Malerisch“ ist ein Wort, das wohl vielen in den Sinn käme, um die dortige Landschaft zu beschreiben. Nicht mit der Kamera ausgestattet, sondern mit Staffelei, Pinsel und Farben waren einige Künstler extra aus München angereist, um die Schönheit der Natur als Inspirationsquelle zu nutzen.
So manche Spaziergänger staunten nicht schlecht über das halbe Dutzend Künstler mit ihren Staffeleien entlang des Ufers. Sie haben sich eine besonders pittoreske Stelle des in die Lech-Auen eingebetteten Sees ausgesucht. Fast wirkt der Anblick wie eine Zeitreise in die klassische Phase der Freilichtmalerei, in der sich die Künstler von der Ateliermalerei abwandten, um ihrer Kreativität inmitten der Natur zu frönen.
Trend aus den USA schwappt nach Europa
„Plein Air-Malerei“ nennt sich der Trend, der vor zehn Jahren bereits in den USA ein Comeback feierte und langsam auch nach Deutschland schwappt. Eigentlich ein alter Hut, denn die modernen Kreativen berufen sich dabei auf den Impressionismus und die klassischen Künstlerkolonien. „Um die Jahrhundertwende wurde die Farbtube erfunden und plötzlich wurde die Malerei portabel“, erklärt die Künstlerin Micki Wolf Sedlmair aus München, während sie an ihrem Bild vom Weitmannsee arbeitet. Ihr Bild ist kein klassisches Öl-auf-Leinwand-Gemälde, sondern entsteht im originellen Öl-auf-Bierdeckel-Format. Durch die raschen Wechsel der Lichtverhältnisse veränderte sich für die ersten Freiluftmaler das Motiv schneller als gewohnt, was eine neue Ausdrucksform mit sich brachte: „Beim Malen draußen musste es schnell gehen, daher wurden die Inhalte eher angedeutet und impressionistischer“, erklärt das Gründungsmitglied der Plein Air Painters of Bavaria.
„Wir machen quasi ein Live-Photoshop“
Daran hat sich nichts geändert. Daher freuen sich die Künstlerinnen und Künstler auch darüber, dass der Weitmannsee nicht von strahlendem Sonnenlicht beleuchtet wird. Denn wenn die Sonne scheint, verändern sich Licht, Schatten, Farben und Kontraste rasch. „Bei unserer Malerei muss es schnell gehen“, sagt Micki Wolf Sedlmair. „Da ist der bewölkte Himmel besser, weil die Stimmung immer gleich bleibt.“ Dazu kommt: „Wie Fotografen mit Photoshop Bilder nachbearbeiten, können wir beim Malen mit der Darstellung übertreiben – wir machen quasi Live-Photoshop“, so Sedlmair. Sie schwärmt von der Freiluftmalerei: „Es ist entspannend, man trifft andere und kann ratschen, das macht viel Spaß.“
„Die Leute sind hier sehr freundlich und neugierig, vor allem die Kinder“, beobachtet Fernando Sorianello. Der Kreative aus München war es, der den Weitmannsee zum Motiv auserkoren hat. Seit vier Jahren organisiert er die Munich Plein Air Group. „Wir treffen uns regelmäßig und machen an Wochenenden Ausflüge in Bayern, wenn das Wetter passt“, berichtet er. Es mache Spaß, miteinander zu malen und voneinander zu lernen, so Sorianello. Bei der offenen privaten Mal-Gruppe kann jeder Kunstinteressierte mitmachen. „Wir fahren mit dem Zug Richtung irgendwo, es gibt immer etwas Neues zu entdecken“, so Sorianello. Auch das Wasserrad am Schwallech im Augsburger Lechviertel hat er bereits auf Leinwand verewigt. Auf den Weitmannsee wurde die Künstlergruppe während einer Zugfahrt zu einem anderen Motiv aufmerksam. „Wir haben im Internet ein Foto von der Landschaft angeschaut und dachten: Okay, das sollte schön werden.“ Bei einem Scouting wurde dann die wahrhaft malerische Stelle am Ufer gefunden, an dem die Künstler sich am Samstag von 11 bis 15 Uhr niederlassen.
Auf Instagram werden malenswerte Stellen gepostet
„Fernando postet auf Instagram immer die malenswerten Stellen und dann kann man sich überlegen, ob man mitkommt“, berichtet Dieter Hess. Er hat sich heute als Motiv eine kleine Insel im Weitmannsee ausgesucht. „Mir gefallen die Spiegelungen und die Farben“, sagt er, „Ich mag es, Wasser zu malen.“ Den Münchner reizen als weitere mögliche Motive aus der Region auch die Augsburger Innenstadt und die Basilika St. Ulrich.
Die kürzeste Anreise hatten heute zwei Augsburger. Anastasiia Bilinska studiert an der Uni Augsburg Informatik. „Seitdem habe ich wenig Zeit zu Malen, aber ich habe zufällig auf Instagram von dem Event erfahren und wollte dabei sein“, erzählt die Hobby-Malerin. Ebenfalls aus Augsburg kommt David Huisong. Auf die Frage, was er in der Region neben dem Weitmannsee noch malenswert findet, zeigt er seine Zeichenmappe. Zu sehen ist darin unter anderem der Botanische Garten, das Zollamt und der Hofgarten in Augsburg, der Lech und der Marienbrunnen in Friedberg.
„Die meisten malen mit Öl, aber manche auch mit Wasserfarben“, weiß Samson Rasenberger, der in München Zeichengruppen und Events organisiert. Für alle, die nun selbst Lust aufs Malen bekommen haben, hat er eine gute Nachricht. Die Frage, ob jeder malen lernen kann, beantwortet er mit einem klaren „Ja, wer es regelmäßig macht, wird auf jeden Fall besser“. Seine kreative Kollegin Micki Wolf Sedlmair macht ebenfalls Einsteigern Mut: „Viele Leute haben Berührungsängste vor der Ölmalerei, dabei ist es das Einfachste.“
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