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Interview: Stefanie Siegling: "Die Pandemie hat das Ehrenamt gewandelt, nicht verringert"

Interview

Stefanie Siegling: "Die Pandemie hat das Ehrenamt gewandelt, nicht verringert"

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    Feuerwehr, Rettungsdienst und Wasserwacht - hier bei einer Übung - sind klassische Ehrenämter. Doch das Engagement befindet sich im Landkreis Aichach-Friedberg im Wandel.
    Feuerwehr, Rettungsdienst und Wasserwacht - hier bei einer Übung - sind klassische Ehrenämter. Doch das Engagement befindet sich im Landkreis Aichach-Friedberg im Wandel. Foto: Alexander Kaya (Symbolbild)

    Frau Siegling, Sie sind als Leiterin der Freiwilligenagentur so nah am ehrenamtlichen Geschehen wie fast niemand. Wie groß ist denn das Engagement im Wittelsbacher Land?
    STEFANIE SIEGLING: Es gibt dazu noch keine aktuellen Zahlen. Vor zehn Jahren hat rund jede zweite Person im Landkreis ein Ehrenamt ausgeübt. Als Ehrenamt gilt, was freiwillig, unentgeldlich und gemeinwohlorientiert getan wird. Tausende Menschen engagieren sich innerhalb und außerhalb der 800 bis 1000 Vereine im Wittelsbacher Land. Das Engagement ist hier also relativ groß.

    Die Leiterin der Freiwilligenagentur mitanand & füranand im Wittelsbacher Land: Stefanie Siegling.
    Die Leiterin der Freiwilligenagentur mitanand & füranand im Wittelsbacher Land: Stefanie Siegling. Foto: Privat

    Wie sieht die Vermittlung eines Ehrenamtes in der Freiwilligenagentur aus?
    SIEGLING: Interessenten finden uns über das Internet, unsere Flyer oder Printmedien und melden sich dann bei uns. Wir geben ihnen die Möglichkeit, sich beraten zu lassen. In einem Gespräch von rund 30 Minuten geht es um Interessen, Hobbys und die mögliche Zielgruppe. Es ist auch wichtig, wie viel Verantwortung die Person übernehmen möchte. Wir gleichen das dann mit den Einrichtungen, Vereinen und Organisationen in unserer Datenbank ab. Die Interessenten können sich dann dort melden und losstarten. Optional kann der Vorgang auch online über die Landratsamts-Internetseite abgeschlossen werden, da hat man Zugriff auf 90 Prozent der Datenbank.

    Wie hat sich denn die Pandemie auf das Ehrenamt ausgewirkt?
    SIEGLING: Während der Pandemie lag das Engagement erst einmal ziemlich brach. Klar, man konnte sich nicht mehr treffen, die soziale Interaktion war sehr eingeschränkt. Das wirkte sich natürlich erst einmal negativ auf die Vereine, den "Kern" des Ehrenamtes, aus. Doch mit den ganzen Lockerungen zurzeit machen sich zwei Trends bemerkbar: Ein Teil der ehemals sehr Engagierten beteiligt sich nach der Pandemie weniger am sozialen Geschehen, der andere Teil ist plötzlich motivierter als je zuvor. Ich glaube tatsächlich, die Beteiligung vor und nach Corona gleicht sich einigermaßen aus und ist nicht so spürbar, wie man vielleicht denkt. Die Pandemie hat das Ehrenamt gewandelt, nicht verringert.

    Nachbarschaftshilfe wurde während Corona in Aichach-Friedberg großgeschrieben.
    Nachbarschaftshilfe wurde während Corona in Aichach-Friedberg großgeschrieben. Foto: Klaus Rainer Krieger (Symbolbild)

    Können Sie diese zwei Trends noch etwas genauer erläutern?
    SIEGLING: Corona zwang viele zu einer Zwangspause. Im Lockdown hatte man viel Zeit, sich über verschiedenste Dinge Gedanken zu machen. Einigen fiel auf: Es tut auch mal gut, kürzerzutreten und auf sich selbst und seine Familie zu achten. Auf der anderen Seite fungierte die Pandemie als regelrechter Katalysator des Ehrenamts. Wie gesagt, man hatte viel Zeit zum Nachdenken und zur Selbstreflektion. Welchen Platz will ich in der Gesellschaft haben, wie kann ich etwas in der Gesellschaft verändern? Vor allem Engagements in der Nachbarschaftshilfe wurden in den Pandemie-Jahren populär. Auch in Vereinen ist man wieder froh, mitwirken zu können. Daraus resultieren Motivation und neuer Schwung.

    Laut Ihrer Website bieten Sie Vermittlungen zum "alten, traditionellen" Ehrenamt und zum "neuen, zeitlich befristeten" Ehrenamt an. Was bedeuten diese zwei Aspekte des freiwilligen Arbeitens?
    SIEGLING: Früher, vor so 50 Jahren, war das Ehrenamt größtenteils vereinsfokussiert. Natürlich gibt es nach wie vor Vereine, dort wird aber meist kontinuierliche Mitarbeit vorausgesetzt. Die Prioritäten der Leute haben sich aber über die Jahre verändert: Heutzutage hat man weniger Zeit, Familie und Selbstverwirklichung stehen mehr im Vordergrund. Das projektbezogene Ehrenamt gewinnt immer mehr an Popularität. Man widmet sich einem befristeten Projekt. Umweltbewegungen und Nachbarschaftshilfen machen den Vereinen beispielsweise Konkurrenz. Der Trend geht immer mehr zu unverbindlich, spontan und flexibel.

    Ist der klassische Verein da noch zeitgemäß?
    SIEGLING: Ja und nein. Vereine sind sehr wichtig, damit Ehrenamt als Ganzes funktionieren kann. Sie sind ein Zusammenschluss von Menschen mit gemeinsamen Interessen, hier findet Austausch statt. Doch sie müssen sich in der heutigen Zeit auch ein Stück weit wandeln und sich an die neuen gesellschaftlichen Strukturen anpassen. Dazu gehören auch die Förderung der jungen Mitglieder und mehr Flexibilität. Das braucht natürlich Zeit, Unterstützung von Organisationen wie der Freiwilligenagentur, Mut und Willen.

    Corona erschwert ehrenamtliches Arbeiten, etwa bei der Tafel.
    Corona erschwert ehrenamtliches Arbeiten, etwa bei der Tafel. Foto: Hauke-Christian Dittrich, dpa (Symbolbild)

    Abschließend: Sehen Sie die Veränderung des Ehrenamts als positiv oder als negativ?
    SIEGLING: Ich sehe es positiv. Die Leute haben wieder Kraft, der Lockdown hat die nötige Ruhe gebracht. Es ist wieder Raum für neue Projekte und neue Aspekte des freiwilligen Arbeitens da. Das bringt neuen Schwung.

    Zur Person

    Stefanie Siegling ist seit zehn Jahren die Leitung der Freiwilligenagentur mitanand & füranand im Wittelsbacher Land. Die 34-Jährige hat die Agentur mit aufgebaut und ist selbst Mitglied in diversen ehrenamtlichen Vereinen.

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