Es ist eine versunkene Zeit, eine Welt von gestern, die es – obwohl sich manche Menschen heutzutage wieder danach sehnen – so nicht mehr geben wird. Steffi Kammermeier macht dies gleich zu Beginn ihrer Lesung im Friedberger Club 20 klar. Die bäuerliche Welt ihres heimatlichen Niederbayerns, von der sie erzählen wird, sei untergegangen mit dem technischen Fortschritt. Und so romantisch, wie sie gerne dargestellt wird, sei das Leben auf dem Land auch auf einem großen Gutshof damals nicht gewesen.
Früher war alles besser – sagt man ja oft. Doch hat es die sogenannte gute alte Zeit wirklich gegeben? Schwere Arbeit und harte Lebensbedingungen bestimmten oftmals das Leben auf dem Land. Kammermeier hat lange vor Ort recherchiert und dabei auch die eigene Familiengeschichte, wie sie ausplaudert, „ein wenig geplündert“.
Kammermeiers Buch „Was hamma gessn?“ ist ein Standardwerk
Selbst wurde sie in München geboren, die Wurzeln der 65-Jährigen führen aber väterlicherseits zu einem Gutshof in der Nähe von Ergoldsbach im Raum Landshut – einem Ort, wo heute noch Hubert Aiwanger Furchen in die Felder zieht. Ihr Vater sei allerdings dem bäuerlichen Leben entflohen und habe als ein bekannter Frauenarzt in Allach bei München gelebt, berichtet sie.
Kammermeiers Buch „Was hamma gessn?“ ist in Sachen bayerische Lebensart auf dem Land längst ein Art Standardwerk geworden. In ihm unternimmt sie einen Ausflug in die Vergangenheit des dörflichen Niederbayerns, als die Beschäftigung mit Essen noch kein Lifestyle-Trend, sondern eine existenzielle Frage war.
Das Leben verlief damals entlang des Kirchenjahres. Angebaut wurden praktisch alle Lebensmittel im Garten oder auf den Feldern. Die Bauern seien weitgehend Selbstversorger gewesen, so die Autorin. Das Gerüst ihrer Geschichten ist der Kirchenkalender: von Lichtmess, als die Dienstboten an den Höfen kamen und gingen, über Ostern und Pfingsten bis Weihnachten. Vor allem im Herbst wurde es kulinarisch interessant, als an großen Feiertagen wie Kirchweih auf dem Gutshof über Tage hinweg mit Schmalznudeln und kiloweise Fleisch regelrecht gevöllt wurde.
Lesung in Friedberg: Buttermilchsupp’n, Entenjung, Semmelmuss
Auch die anderen Gerichte kennt heute nicht mehr jeder: Buttermilchsupp’n, Entenjung, Semmelmuss, Schoatnkiache oder Karthäuserklöß sind nur einige der Gerichte, die Kammermeiers Tante Erika in ihrem 75-jährigen Leben auf dem Bauernhof bei Landshut gekocht hat. Als Großbäuerin wollte sie diesen Wissensschatz bewahren und hat ihn Stück für Stück niedergeschrieben.
Im Austausch mit anderen Bäuerinnen der Umgebung präsentierte Kammermeier viele alte Techniken und Gebräuche rund ums Kochen und veranschaulichte mit zahlreichen Fotografien, die sie auf Leinwand projizierte, die niederbayerische Küche, also was „d’Leut so g’essn ham“. Und das schönste Zitat, lieferte sie zu einer Süßspeise – dem „Säuseln der Dampfnudeln“, dieses feine Geräusch, bei dem gute Köchinnen sofort Bescheid wissen.
Club 20 in Friedberg: Abend für die bayerische Seele
Während des gesamten Kochvorgangs darf nämlich bei Dampfnudeln der Deckel nicht geöffnet werden, ansonsten fallen dieselben in sich zusammen, erzählt Kammermeier. Wenn aber Säuseln zu hören ist, sind die Nudeln fertig, und erst dann dürfe man den Deckel abnehmen.
Die Autorin, die schon eine Reihe von Kino- und Fernsehfilmen gedreht hat, erwies sich zudem als wunderbare Erzählerin. Immer wieder unterbrach sie die Lesung, streute Kommentare ein und ordnete die Aussagen in Kontexte. Es war dieses Mal im Club 20 auch wieder ein Abend für die bayerische Seele. Nach der Lesung hatten so manche Besucherin und so mancher Besucher das Gefühl, die Zeit wäre in den gut eineinhalb Stunden ein wenig langsamer gelaufen. So wie früher eben. (AZ)
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