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Friedberg: Kampf gegen Wohnungsnot: Jeder Pfennig fürs Siedlerhäuschen

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Kampf gegen Wohnungsnot: Jeder Pfennig fürs Siedlerhäuschen

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    Michael Merkle lebt seit den 1950er-Jahren in der Simpertstraße in der Friedberger Pius-Häusler Siedlung. Mit den anderen Siedlern steckte er viel Eigenleistung in die Bauten. Sein Haus ist im Hintergrund zu sehen.
    Michael Merkle lebt seit den 1950er-Jahren in der Simpertstraße in der Friedberger Pius-Häusler Siedlung. Mit den anderen Siedlern steckte er viel Eigenleistung in die Bauten. Sein Haus ist im Hintergrund zu sehen. Foto: Ute Krogull

    Die neuen Geschichten sind oft die alten, das vergisst man nur in unserer Aufgeregtheits-Gesellschaft. Deshalb ist es gut, sich die Geschichten derer anzuhören, die sich noch erinnern. Einer von ihnen ist Michael Merkle, 93 Jahre. Und es geht um Wohnungsnot. Nicht um die stagnierenden Zahlen im Wohnungsbau, die die Bundesregierung jetzt mit Steueranreizen und Familienförderung anzukurbeln versucht. Sondern um die 1950er-Jahre. In der Nachkriegszeit mit ihren ausgebombten Städten, den Vertriebenen aus dem Sudetenland und Schlesien war der Traum von den eigenen vier Wänden groß - und fast unerfüllbar. Aus diesem Grund erlebten die Siedlergemeinschaften einen Boom. 96 Quadratmeter groß waren die Siedlerhäuschen, die damals in der Friedberger Pius-Häusler-Siedlung errichtet wurden. Für eine vierköpfige Familie wäre das heute knapp, damals lebten die meisten auf 54 Quadratmetern im Erdgeschoss und nahmen in der Einliegerwohnung unterm Dach Flüchtlinge auf.

    Grund dafür war auch, 2500 Mark vergünstigtes Darlehen zu erhalten. Das war eine Menge Geld: Merkle verdiente als Schreiner bei Segmüller 1,40 Mark Stundenlohn. 39.000 DM kostete ein Häuschen. Der Grund kam von der Stadt, die Bauträgerschaft lag bei der Bayerischen Landeswohnungsfürsorge. Trotzdem musste jede Familie 12.000 Mark Eigenkapital einbringen - plus 1800 DM an Eigenleistung, was über 1000 Stunden entsprach.

    Der Siedlerbrunnen im Jahr 1964. Ihn haben die Siedler, wie vieles andere, selber gebaut.
    Der Siedlerbrunnen im Jahr 1964. Ihn haben die Siedler, wie vieles andere, selber gebaut. Foto: Archiv

    Manchmal blieb da kaum etwas zum Leben. Urlaubsreisen gab es eh nicht. Trotzdem erinnert sich Helmut Schreiner, damals ein kleiner Bub, heute Vorsitzender der Siedlergemeinschaft, wie seine Mutter angesichts eines monatlichen Budgets von 50 DM seufzte: "Ich weiß nicht, ob das gut geht."

    Doch die Motivation war hoch, erinnert Michael Merkle sich: "Man hat sich gefreut, wenn man abends heimkam und hatte eine Bleibe und wusste: Da gehöre ich hin."

    Für die Häuser in Friedberg musste man sich bewerben

    Die meisten Siedler wohnten schon vorher in Friedberg und Umgebung. Für die Häuschen mussten sie sich bewerben. Wer Kinder hatte oder Flüchtlinge aufnahm, steigerte seine Chancen.

    Die Siedler- und Eigenheimergemeinschaft Pius Häusler ist die älteste Organisation dieser Art in der Stadt. 2024 wird sie ihr 90-jähriges Bestehen feiern. Vor dem Krieg, als der Zweite Bürgermeister und Hauptlehrer

    Familie Aigner im Jahr 1952 vor damaligen Neubauten am Narzissenweg.
    Familie Aigner im Jahr 1952 vor damaligen Neubauten am Narzissenweg. Foto: Archiv Ingo Aigner

    Entstanden waren solche Siedlungen nicht nur als Werkzeug gegen Wohnungsnot, sondern aus einem Gedanken heraus, der heute ebenfalls wieder so modern ist wie gemeinschaftliches Bauen. Das beschreibt Ingo Aigner, der in der Siedlung aufwuchs und mittlerweile verstorben ist, in einer lesenswerten Chronik zum 80. Jubiläum: Auf damals freiem Feld, vor dem Bau des Rothenbergviertels im windigen Osten der Stadt gelegen (der Begriff Friedberg-Ost hat sich gehalten) und daher "Klein Sibirien" genannt, wurde eine Gartenstadt gegründet. Diese war auch als Gegenentwurf zum Leben in der Großstadt begründet und basierte auf dem Gedanken der Selbstversorgung.

    Die ersten Grundstücke waren knapp 1000 Quadratmeter groß, um Obst und Gemüse ziehen zu können. An die Häuser wurden Geräteschuppen und kleine Ställe gebaut. Viele hielten damals Hühner oder sogar Ziegen oder ein Schwein. 

    Die Einwohnerzahl der Friedberger Pius-Häusler-Siedlung sinkt

    Später wurden die Grundstücke kleiner, Garagen lösten Ställe ab. 225 Wohnhäuser mit 334 Wohnungen entstanden so in zwölf Bauabschnitten zwischen 1934 und 1962. Davon sind 60 sogenannte Eigenheime. Diese hatten nicht dieselbe Förderung und auch nicht dieselben strikten Vorschriften der Bauweise bis hin zum Gartenzaun wie die Siedlerstellen. Einiges über die heutige Wohnraumproblematik sagt auch die Entwicklung der Einwohnerzahl aus. Zählte man 1954 über 1000 Menschen, waren es 2014 nur noch 700, obwohl da über 105 Häuser mehr standen als einst. 

    Der Siedlerverein hat heute rund 430 Mitglieder. Gesellig geht es dort noch immer zu. Auch wenn die Bewohnerschaft mittlerweile sehr gemischt ist, kennt man sich, ratscht über den Gartenzaun. Doch die Zeit der großen Faschingsbälle und Siedlerfeste ist vorbei und auch die kleinen Geselligkeiten finden nicht mehr so statt. Früher wurde oft Karten gespielt und jeden Sonntagvormittag "gedartelt" (Darts gespielt). "Man war für den anderen da, es gab viel Wir und Austausch. Heute hockt jeder vor seinem PC", meint Schreiner. 

    Trotzdem hilft man einander. Zuletzt war das beim August-Unwetter der Fall. Trotz Rückstauventilen liefen Keller voll. Schreiner hat die Wasserschäden erfasst. Elf von 16 Häusern in der Simpertstraße, 12 von 24 in der Josef-Baumann-Straße, der ganze obere Teil der Robert Hartl-Straße: "abgesoffen". Die Kanäle, auch der Sammler an der Wulfertshauser Straße, wurde Mitte/Ende der 1950er-Jahre gebaut. "Keiner hat damit gerechnet, dass da ein so großes Baugebiet entstehen würde", meinen die Männer. Denn abgesehen von der Pius-Häusler-Siedlung westlich und östlich der Wulfertshauser Straße wurde später zusätzlich das große Areal von Eiwo-Bau angeschlossen. Damals hätten die Probleme begonnen. Die Siedler machen sich Sorgen, was passiert, wenn weitere Flächen bebaut werden. 

    Nach dem letzten Unwetter, als im Viertel sowie im ebenfalls stark betroffenen Wulfertshausen Unterschriften gesammelt wurden, hatte Bürgermeister Roland Eichmann Kanal-Untersuchungen und ein Gutachten der Stadtwerke versprochen. Das Ergebnis soll im Herbst vorliegen. Die Siedler warten gespannt. Derweil haben sie in den Fundus der Leihgeräte, die in ihrem Gemeinschaftshaus lagern, Bautrockner aufgenommen. 

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