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Friedberg: Erna Rauch, die letzte Bewohnerin der Frühlingsstraße Nummer 19

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Erna Rauch, die letzte Bewohnerin der Frühlingsstraße Nummer 19

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    In ihrer Küche in der Frühlingsstraße 19 lässt die Friedbergerin Erna Rauch ihr Leben Revue passieren.
    In ihrer Küche in der Frühlingsstraße 19 lässt die Friedbergerin Erna Rauch ihr Leben Revue passieren. Foto: Rudolf Nägele

    "Einen alten Baum verpflanzt man nicht mehr. Es tut einfach weh." Erna Rauch, die seit 40 Jahren in der Parterre-Wohnung Frühlingstraße 19 lebt, fällt der Gedanke schwer, demnächst umziehen zu müssen. Und sie erzählt, wie es so war, in den 40 Jahren in der Wohnung der Baugenossenschaft, die im Herbst abgerissen wird. Dabei lässt sie ihr Leben Revue passieren. Das bringt ein interessantes Stückchen Stadtgeschichte zutage und zeigt, wie hart das Leben der "kleinen Leute" einst war.

    Vor 85 Jahren erblickte sie das Licht der Welt im sogenannten Kaierle-Haus am Marienplatz, das sich einst zwischen den Hausnummern

    Im Wohnzimmer hängt das Bild vom Marienplatz mit dem Geburtshaus von Erna, dem  „Kaierle-Haus“, das einst zwischen den beiden Häusern Marienplatz 5 und 7 lag.
    Im Wohnzimmer hängt das Bild vom Marienplatz mit dem Geburtshaus von Erna, dem „Kaierle-Haus“, das einst zwischen den beiden Häusern Marienplatz 5 und 7 lag. Foto: Rudolf Nägele
    Die Rückseite des Bildes wurde von ihrem Mann sorgfältig mit geschichtlichen Informationen versehen.
    Die Rückseite des Bildes wurde von ihrem Mann sorgfältig mit geschichtlichen Informationen versehen. Foto: Rudolf Nägele

    Als Erna ein Kind war, verlagerte sich das Familienleben nach Kissing. Doch dann trat eine neue Frau in das Leben des Vaters und so zog er mit Erna und ihrem jüngeren Bruder nach Königsbrunn zur Stiefmutter. Neben dem Besuch der dortigen Volksschule musste Erna bei einem Bauern arbeiten: Um 4 Uhr früh aufstehen, Futter vom Feld holen, dann in den Stall gehen, melken und dann erst in die Schule. Erna hatte das große Glück, an der katholischen Volksschule in

    So kehrte sie nach dem Schulabschluss mit 14/15 Jahren eigenmächtig zurück in ihre Geburtsstadt Friedberg und fand Anstellung bei der Wirtschaft Dreher in der Ludwigstraße. Der "Xare", bekannt als Zauberer Irax, hatte die

    Erna und Rudolf Rauch lernten sich in der Wirtschaft in Friedberg kennen

    Er lebte in der Stadtmauer bei seinem Opa. Dessen zweite Frau konnte wahrlich nicht gut kochen. So ging der damals 18-jährige Rudolf Rauch, der beim Friedberger Maler Walter sein Handwerk gelernt hatte und darüber hinaus noch eine Ausbildung als Dekorationsmaler aufweisen konnte, hinüber zum "Dreher". Irgendwann nicht nur des guten Essens wegen, sondern auch wegen Erna!

    Nach einer Zeit bekam er in Donauwörth eine Anstellung als Maler. Seine Freundin Erna fand eine Stellung als Dienstmädchen, ebenfalls in Donauwörth. Sie war neben Waschen, Putzen, Kochen auch verantwortlich für die beiden minderjährigen Kinder der Familie. Keine Spur mehr von Bitterkeit ist zu spüren, wenn Erna erzählt, wie ihre leibliche Mutter immer von Kissing aus angereist kam und einen Großteil ihres nicht gerade üppigen Lohns einkassierte. "Ja, es waren schwierige familiäre Verhältnisse", betont sie aber immer wieder.

    Das junge Paar Erna und Rudolf Rauch wohnte zunächst in der Stadtmauer Nr. 18.
    Das junge Paar Erna und Rudolf Rauch wohnte zunächst in der Stadtmauer Nr. 18. Foto: Rudolf Nägele

    1958 wurde geheiratet und das junge Paar zog in die Stadtmauer Nr. 19. Rudolfs Opa hatte die Wohnung extra freigemacht und war ausgezogen. "Opa war super!", erinnert sich Erna Rauch. Aber nach seinem Tod mussten sie wieder raus, weil die leibliche Mutter von Rudolf Rauch, entgegen den Aussagen von Opa, vehement das Wohnrecht für sich beanspruchte. Rudolf und Erna Rauch zogen um 1968/69 in eine Arbeiterwohnung der Schlemmer Extra-Werke. Rudolf Rauch arbeitete bei der Firma Huber & Co und sie hatten inzwischen drei Kinder. 1981 wurde die Firma verkauft und die Rauchs mussten sich nach einer neuen Bleibe umsehen.

    Mit der jüngsten Tochter zogen sie im Februar 1981 in die Parterre-Wohnung Frühlingstraße 19, mit Ausblick auf die Frühlingstraße. Zu verdanken hatte Rauch die Wohnung dem Vorstand der Baugenossenschaft, Rappolder. Sie kannten sich von den Goetze-Werken her, da Rauch dort Malerarbeiten erledigte. Die Drei-Zimmer-Wohnung in der Baugenossenschaft war glücklicherweise gerade frei geworden. Dort gab es kein Bad, nur ein Handwaschbecken im Klo. "Zum Baden hat man in den Gemeinschaftskeller hinunter gmiaßt", erzählt Erna Rauch. Es gab für die fünf Parteien im Haus einen Badplan. Alle Wohneinheiten – im Parterre und im ersten Stock jeweils zwei Wohnungen, im zweiten Stock eine Wohnung – waren belegt. Jeder war ein Speicherabteil unter der Dachschräge zugeordnet und ebenso ein Gartenanteil.

    Mit allem Drum und Dran: Das von Rudolf Rauch eingebaute Bad. Noch Anfang der 1980er Jahre hatte die Wohnung nur ein C mit Waschbecken.
    Mit allem Drum und Dran: Das von Rudolf Rauch eingebaute Bad. Noch Anfang der 1980er Jahre hatte die Wohnung nur ein C mit Waschbecken. Foto: Rudolf Nägele

    Ihr Mann, ein wahrer Künstler und handwerklich äußerst geschickt, machte sich daran, nach und nach die Drei-Zimmer-Wohnung herzurichten. Aus dem dürftigen Klo-Raum entstand ein gefliestes Komfort-Badezimmer mit eigener Badewanne, Dusche und Waschmaschine. Die gemütliche Einbauküche, die sie heute noch hat, will Erna Rauch unbedingt mitnehmen. Viele Malerarbeiten und Verzierungen an Wänden und Türen zeugen von der künstlerischen Schaffenskraft des Dekorationsmalers Rudolf Rauch.

    Und dann erzählt Erna Rauch von den Bewohnern. Von denen, die gestorben oder weggezogen sind. Und von denen, die neu hinzukamen. Es gab auch Kummer. So saß schon einmal jemand in ihrer Küche, um ihr das Herz auszuschütten. Und doch war es ein friedvolles Miteinander. Hin und wieder saß man in den Gärten mit der einen oder anderen Familie zusammen. Die Enkelkinder liefen in den Gärten umeinander, ohne dass jemand etwas gesagt hätte. Es wäre alles so schön gewesen – wenn nicht eines Tages eine Familie mit einem gewalttätigen Vater eingezogen wäre.

    Als es in der Friedberger Frühlingsstraße brannte

    "Mein Mann und ich mussten in die Arbeit und er ist mit dem Stecken vor der Haustür gestanden. Er hat zugeschlagen." Jedes Mal musste die Polizei gerufen werden. Man hatte einfach Angst. "Einmal", so erinnerte sich Frau Rauch, "habe ich Dresche von ihm gekriegt, die Nase war gebrochen." Ein Ereignis jedoch war so schrecklich, dass sie vieles ausgeblendet hat, sich nicht mehr erinnern will.

    Dieser schlimme Mann ging in den Kindergarten, um von dort seine Kinder abzuholen. Zuvor hatte er Feuer in der Wohnung gelegt! Glücklicherweise kam es nicht zum offenen Brand. Es hatte nur "gegloscht", es gab also nur Glut. Aber alles war verraucht. Ihre Wohnung stank durch den Rauch, der durch alle Ritzen zog, schrecklich. Der Mann erhielt Hausverbot. Er wurde schließlich eingesperrt. Frieden zog wieder ein.

    Erna Rauch ist 85 Jahre - 40 Jahre davon verbrachte sie in dieser Parterre-Wohnung in der Frühlingsstraße 18. Es hängen so viele schöne Erinnerungen an den liebevoll eingerichteten Räumen.
    Erna Rauch ist 85 Jahre - 40 Jahre davon verbrachte sie in dieser Parterre-Wohnung in der Frühlingsstraße 18. Es hängen so viele schöne Erinnerungen an den liebevoll eingerichteten Räumen. Foto: Rudolf Nägele

    Natürlich gab es auch Befindlichkeiten unter den Bewohnern. Nach Jahren lächelt man über manche Vorkommnisse, die einst für Ärger sorgten, erinnert sich die 85-Jährige. Der Kampf ums Wäscheseil zum Beispiel. Erna Rauch hatte das

    Und es gab schwere Schicksalsschläge. Schrecklich war der Tod ihres Sohnes, der an einer schweren Krankheit starb. Ihr Mann litt unsagbar darunter, wurde selber krank und starb im Januar 2012.

    Im Treppenaufgang des Hauses in der Frühlingsstraße, das demnächst abgerissen werden soll, prangt eine Zeichnung von Rudolf Rauch, die Zeugnis von seiner künstlerischen Schaffenskraft ablegt: Brunnen im Thal.
    Im Treppenaufgang des Hauses in der Frühlingsstraße, das demnächst abgerissen werden soll, prangt eine Zeichnung von Rudolf Rauch, die Zeugnis von seiner künstlerischen Schaffenskraft ablegt: Brunnen im Thal. Foto: Rudolf Nägele

    Die Baugenossenschaft reißt die 100 Jahre alten Häuser an der Frühlingsstraße nun nach und nach ab und baut dort neu. Alle Bewohner und Bewohnerinnen von einst sind schon ausgezogen. Jetzt kann man sich nicht mehr unterhalten, denn die Sprache der neuen Bewohner versteht die 85-Jährige nicht. Es sind Ukrainer und Ukrainerinnen, die hier für einige Monate eine Bleibe gefunden haben. Die Menschen tun ihr leid. "Der Zweite Weltkrieg war schrecklich, aber wir mussten nicht fliehen, wir konnten hier bleiben", resümiert Erna Rauch.

    Erna Rauch tun ihre ukrainischen Nachbarn leid

    Es ist der Tod ihres Mannes, der sie so wehmütig stimmt, wenn sie die Wohnung, die er so liebevoll hergerichtet hat, für immer verlassen muss. "Wenn mein Mann noch leben würde, ja dann wäre alles anders."

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