Im Wintergarten von Mode Hintermair hatte „Kümmerin“ Claudia Bordon-Vieler eine Lesung der Autorin Brigitte Karcher organisiert. Dort hörten die Besucher die Erzählung „Cilli“, in der die Meringerin das Drama um ein verschwundenes Zwillingsmädchen schildert. Untermalt wurde die Lesung von Hackbrett- und Gitarrenklängen von Sabine Kienberger und Claudia Bordon-Vieler.
Die frisch gebackene Autorin, die von Beruf Grafikerin und Buchillustratorin ist, ließ in ihr Erstlingswerk viel Autobiografisches einfließen. „Drei Jahre schrieb ich an dem Buch, zunächst handschriftlich in Schulhefte“, erzählte die 75-Jährige ihrem Publikum. „Damit konnte ich den Tod meiner Zwillingsschwester vor einigen Jahren verarbeiten.“ Karcher, die in Schwäbisch Gmünd geboren ist und seit 50 Jahren in Mering lebt, widmete das Buch dann auch ihrer Zwillingsschwester Ulla. Das Schreiben sei ihr sehr leichtgefallen, sagte Karcher. Sie benötige nur einen Stift, Papier und eine Tasse Kaffee. „Das Malen und Illustrieren war viel aufwendiger“, gesteht sie.
Meringer Autorin schreibt über den Verlust
Vor vier Jahren begann sie, unter dem Eindruck des Todes ihrer Zwillingsschwester, mit der Arbeit an ihrer Erzählung. Der Inhalt: Die Zwillinge Cilli und Mel sind unzertrennlich. Sie teilen alles, Interessen, Freunde, eine glückliche Kindheit. Doch dann schlägt das Schicksal grausam zu. Die Schwestern besuchen eine Aufführung im Puppentheater, von einem Gang zur Toilette kehrt Cilli nicht mehr zurück. „Wo ist Cilli?“, fragen die Eltern, als Mel ohne die Schwester nach Hause kommt. Wie soll sie es ihnen sagen?
Eine Welle des Entsetzens reißt die Familie in den Abgrund. Eine groß angelegte Suchaktion bringt kein Ergebnis. Der Verlust und Vorwürfe der Mutter lösen in Mel ein riesiges Schuldgefühl aus, das ihre Kindheit prägt. Sie vereinsamt, die Familie zerbricht, auch am Selbstmord des Vaters. Hier hat sich Karcher wieder an ihre eigene Vergangenheit angelehnt, war doch ihr Vater Zahnarzt und hat mit „seinen Zwillingen angegeben.“ Das war im Jahr 1945, als der Krieg zu Ende war und die Amerikaner in Deutschland waren. Als erwachsene Frau versucht Mel, in ihrem künstlerischen Schaffen die Sehnsucht nach der Schwester zu verarbeiten. Hilfe findet sie bei Veit, ihrem Mann und einstigen Mitschüler, der als Jugendlicher Cillis Verschwinden miterlebte. Eine Fahrt nach Frankreich lässt die Beiden nach dreißig Jahren vergeblicher Suche unerwartet auf Cillis Spur stoßen.
Karcher schafft es, mit einer einfachen und doch sehr poetischen Sprache, die Begebenheiten im Buch detailgetreu widerzugeben. Fängt man das Buch einmal an, kann man es nicht mehr aus der Hand legen. Das war in Ried auch daran ersichtlich, dass fast alle Anwesenden ein Exemplar mit nach Hause nahmen.