Startseite
Icon Pfeil nach unten
Aichach
Icon Pfeil nach unten

Aichach-Unterschneitbach: Unterschneitbacher rettet in Indien Leben: "Kalt lässt das hier niemanden"

Aichach-Unterschneitbach

Unterschneitbacher rettet in Indien Leben: "Kalt lässt das hier niemanden"

    • |
    Stefan Utzmeir aus Unterschneitbach ist im Rahmen eines Bundeswehreinsatzes in Indien, um das Land bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu unterstützen.
    Stefan Utzmeir aus Unterschneitbach ist im Rahmen eines Bundeswehreinsatzes in Indien, um das Land bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu unterstützen. Foto: Utzmeir

    Herr Utzmeir, Sie sind als Einsatzstabsoffizier des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Indien, um das Land im Kampf gegen die Corona-Pandemie zu unterstützen. Eines Ihrer größten Hobbys ist jedoch die Fotografie. Ihre Bilder von der Natur rund um Aichach wirken harmonisch, ja friedlich. Wie viel hat die Welt, die man dort sieht, mit dem zu tun, was Sie in Indien erleben?

    Utzmeir: Nicht viel, leider. Wir wussten alle, auf was wir uns einlassen, der Gegensatz ist aber krass. Wir sehen hier in Neu-Delhi tagtäglich live die Bilder, die am Abend in Deutschland im Fernsehen laufen.

    Sie sind eigentlich in Dornstadt bei Ulm stationiert, Ihre Aufgabe führt Sie aber regelmäßig ins Ausland: Anfang des Jahres waren Sie etwa in Portugal, um die Pandemie dort zu bekämpfen. Nun sind Sie seit 1. Mai mit zwölf Kameraden in Indien. Was genau ist Ihre Aufgabe?

    Utzmeir:Herzstück der Mission ist eine Anlage, die Sauerstoff produziert und in Flaschen abfüllt - 400.000 Liter pro Tag. Daran fehlt es hier momentan enorm. Zuerst ging es darum, die Anlage aufzubauen und in Betrieb zu nehmen. Jetzt sind wir dabei, die Anlage den indischen Experten zu übergeben. Ziel ist es, dass sie die Anlage selbstständig nutzen.

    Unterschneitbacher Stefan Utzmeir bekämpft Corona in Indien

    Wie vielen Menschen wird damit geholfen?

    Utzmeir: Das ist schwer zu beziffern, weil es davon abhängt, wie viel der einzelne Patienten jeweils braucht. Wir gehen aber davon aus, dass wir mehreren Hundert Menschen helfen können.

    Unter welchen Bedingungen findet Ihre Arbeit statt?

    Utzmeir: Wir sind hier in der Nähe von einem provisorischen Covid-Krankenhaus, das die indische Armee in einer Art Zeltstadt aus dem Boden gestampft hat. Mit deutschen Kliniken ist das natürlich nicht zu vergleichen, aber zumindest können hier viele Menschen behandelt werden. Unsere Anlage steht gleich nebenan. Von dort werden die abgefüllten Sauerstoffflaschen an umliegende Krankenhäuser verteilt. Die Zusammenarbeit mit der indischen Armee und den ortsansässigen Hilfsorganisationen läuft sehr professionell.

    Erschwerte Bedingungen: Temperaturen liegen in Indien oft über 40 Grad

    Was erschwert Ihre Arbeit?

    Utzmeir: Die Temperaturen machen einem zu schaffen. Draußen herrschen über 40 Grad, in den klimatisierten Zelten sind es immer noch 30 Grad. Und natürlich gibt es auch Unterschiede in den Abläufen: Wenn ich hier einen Gabelstapler für 9 Uhr bestelle, kann ich nicht erwarten, dass er um 8.55 Uhr bereitsteht - wie es in Deutschland vielleicht der Fall wäre. Aber die Menschen hier setzen alles in Bewegung, damit wir gute Bedingungen haben. Die Dankbarkeit ist groß - von den Behörden, aber auch von der Bevölkerung. Als wir einem Kellner erzählt haben, was wir hier machen, sind ihm die Tränen gekommen.

    Nicht selten die Temperaturen in Indien über 40 Grad - eine ungewohnte Belastung für die Helfer der Bundeswehr um Stefan Utzmeir aus Unterschneitbach.
    Nicht selten die Temperaturen in Indien über 40 Grad - eine ungewohnte Belastung für die Helfer der Bundeswehr um Stefan Utzmeir aus Unterschneitbach. Foto: Utzmeir

    Ihren Einsatz notwendig macht die dramatische Corona-Lage in Indien. Die Infektionszahlen sind explodiert, jeden Tag sterben Tausende Menschen. Wie erleben Sie die Situation im Land?

    Utzmeir: Gerade in dem Umfeld, in dem wir uns hier bewegen, bekommt man das Leid und das Sterben direkt mit. Man sieht die Angehörigen, die trauern. Die Leichensäcke, die aus den Zelten gebracht werden. Die Leichenwägen fahren hier ein und aus.

    Corona-Situation in Indien: "Kalt lässt das niemanden"

    Wie halten Sie diese Bilder aus?

    Utzmeir: Kalt lässt das hier niemanden, selbstverständlich. Aber so blöd es klingt: Wir sind hier, um zu funktionieren. Die Arbeit geht jeden Tag bis 22, 23 Uhr, am nächsten Tag stehen wir um 6 Uhr auf. Da bleibt einem nicht viel Zeit, über all das nachzudenken. Unter meinen Kollegen sind Notfall-Mediziner, auch Ärzte, die schon Erfahrungen mit Covid gemacht haben. Man lernt, die Bilder einzuschätzen. Aber wir werden im Nachgang auch Seminare anbieten, in denen die Beteiligten das Erlebte aufarbeiten können.

    Bilder, die um die Welt gingen: Angehörige stehen in Indien am Rande von brennenden Scheiterhaufen, während Corona-Tote eingeäschert werden.
    Bilder, die um die Welt gingen: Angehörige stehen in Indien am Rande von brennenden Scheiterhaufen, während Corona-Tote eingeäschert werden. Foto: Naveen Sharma via ZUMA Wire/dpa

    Fühlen Sie sich hilflos?

    Utzmeir: Nein. Ich bin dankbar, dass ich den Menschen hier helfen kann.

    Als ein Grund für die außer Kontrolle geratene Situation gilt die indische Corona-Mutation. Sie sind 42 Jahre alt, Ehemann, Vater von zwei Kindern. Haben Sie keine Sorge um sich selbst?

    Utzmeir: Sorge ist der falsche Begriff, Respekt trifft es eher. Man weiß ja noch nicht, wie diese Mutation funktioniert. Aber: Wir sind alle geimpft, haben eine PCR-Testmaschine, Schnelltests, Masken, Desinfektionsmittel dabei. Zu unserem Team gehört auch ein Notfallsanitäter.

    Stefan Utzmeir aus Aichach-Unterschneitbach ist im Rahmen eines Bundeswehr-Einsatzes in Indien, um das Land bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu unterstützen.
    Stefan Utzmeir aus Aichach-Unterschneitbach ist im Rahmen eines Bundeswehr-Einsatzes in Indien, um das Land bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu unterstützen. Foto: Utzmeir

    Stefan Utzmeir ist beim Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr

    Wie ist ein Lebensweg verlaufen, der einen Unterschneitbacher nach Neu-Delhi führt?

    Utzmeir: (lacht) Das ist eigentlich relativ einfach. Nach Schule und Abitur wollte ich in der Bundeswehr Jetpilot werden - da hatte mein Augenarzt leider etwas dagegen. Ich habe mich dann durch ein Studium bei der Bundeswehr zum IT-Spezialisten ausbilden lassen. Über kleine Umwege bin ich dann zum Zentralen Sanitätsdienst gekommen. Dort bin ich jetzt seit acht Jahren - und es ist ein geiler Job.

    Auch, wenn er wie jetzt bedeutet, die eigene Familie für längere Zeit nicht sehen zu können?

    Utzmeir: Es gibt härtere Momente, natürlich. Auch solche, in denen man lieber zu Hause wäre, wie vor Kurzem am Muttertag. Aber meine Familie, allen voran meine Frau, unterstützen mich voll. Anders würde es nicht gehen. Ich kann mich auf sie verlassen, dafür bin ich unendlich dankbar. Bei uns geht es nie um die Frage, ob ich gehen darf, sondern darum, wie lange es diesmal dauert.

    Wie halten Sie Kontakt?

    Utzmeir: Auf allen Wegen, die möglich sind: WhatsApp, telefonieren, Video-Anrufe. Meine zwei Kinder sind inzwischen so alt, dass das auch gut klappt. Das macht es leichter.

    Unterschneitbacher über Auslandseinsätze: "Man wird bescheidener"

    Haben die Erfahrungen in der Fremde Ihren Blick auf die Heimat verändert?

    Utzmeir: Man wird demütiger und bescheidener, auf jeden Fall. Ein Haus zu haben, einfach mal so einkaufen gehen zu können, ein intaktes Umfeld zu haben - das ist sicher nicht selbstverständlich. Klingt wie eine Phrase, ist aber so.

    Trotzdem liegt in der Natur Ihrer Aufgabe und Ihres Berufs, immer wieder dorthin zu gehen, wo es brennt. Was reizt Sie daran?

    Utzmeir: Hm. Wahrscheinlich sind die Ad-hoc-Entscheidungen, schnell irgendetwas planen und auf die Beine stellen zu müssen. Da geht es weniger um das Militärische, sondern darum, eine Situation zu bewerten und etwas daraus zu machen. Das, und auch mal auf sein Bauchgefühl hören zu müssen, macht es glaube ich aus. Ich bin kein Typ, der jeden Tag dasselbe machen möchte.

    Lesen Sie dazu auch:

    Lockerungen: Diese neuen Corona-Regeln gelten bald in Aichach-Friedberg

    Krankenhäuser wollen Operationen bald nachholen

    Corona: Der Landkreis Aichach-Friedberg schöpft Hoffnung

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden