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Aichach-Friedberg: Hintergrund: Woran krankt die Geburtshilfe?

Aichach-Friedberg

Hintergrund: Woran krankt die Geburtshilfe?

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    Die Geburtenstation im Friedberger Krankenhaus wird mindestens einen Monat geschlossen.
    Die Geburtenstation im Friedberger Krankenhaus wird mindestens einen Monat geschlossen. Foto: Tom Trilges

    Als im November die Geburtshilfe in Aichach wegen Hebammenmangels zumachte, schien die Welt in Friedberg noch in Ordnung. Doch in den vergangenen Wochen spitzte sich auch hier die Lage zu. Letztlich kann die Rufbereitschaft nicht aufrecht erhalten werden. Daher schließen die Kliniken an der Paar die Station zum 31. März. Die Gemengelage ist verwirrend. Hier ein Überblick.

    Die Eltern

    Eltern schätzen das Friedberger Krankenhaus wegen seiner familiären Atmosphäre. 730 Babys kamen 2019 zur Welt – Tendenz steigend. Bei den werdenden Eltern war die Verunsicherung wegen immer neuer Gerüchte in den vergangenen Wochen groß. Und das ist noch nicht vorbei. Die Kliniken an der Paar bitten Eltern, vorerst auf andere Häuser auszuweichen. Doch wohin? Auch die Einrichtungen in Aichach, Schwabmünchen und Schrobenhausen sind zu. Manche Eltern sehen Bobingen, ebenfalls ein kleines Krankenhaus, als Alternative. Die Augsburger Uniklinik hat versprochen, Kapazitäten aufzustocken, damit keine Mutter sich Sorgen machen muss. Fakt ist: Ein Landkreis mit 130 000 Einwohnern und über 1000 Geburten im Jahr hat keine Geburtenstation mehr. Und wie lange? Landrat und Werkausschuss haben Klinikleitung und Chefarzt den Auftrag erteilt, ab 1. Mai in jedem Fall eine funktionierende Geburtshilfe ins Laufen zu bringen. Doch hinter dem Termin stehen einige Fragezeichen.

    Die Kliniken an der Paar

    Jeder, der Gerüchteküchen und Mechanismen in Unternehmen kennt, kann sich vorstellen, was hier gerade los ist. Nicht nur die Belegschaft der Geburtshilfe, sondern das gesamte Personal ist in Aufruhr. Das Drama um die Geburtshilfe ist den Kliniken nicht zuträglich. Geschäftsführer Dr. Krzysztof Kazmierczak ist seit Monaten hauptsächlich mit der Rettung der Geburtshilfe beschäftigt – obwohl es in den beiden Kliniken an der Paar, die mit Defiziten und Personalmangel zu kämpfen haben, genug anderes zu tun gäbe. Der studierte Mediziner und Krankenhausbetriebswirt muss mit Mitarbeitern, Belegärzten, Hebammen, Politikern, Ministerien, Personalagenturen und der Uniklinik verhandeln. Er steht enorm unter Druck. Auch in der Politik hat er nicht nur Freunde, zumal der Rettungsversuch in Aichach (vorläufig) gescheitert ist.

    Die Politik

    Landrat Klaus Metzger hat viel Geduld und großes Talent, widerstreitende Interessen unter einen Hut zu bringen. Doch jetzt scheint selbst er an seiner (Toleranz-)Grenze. Im Werkausschuss der Kliniken sprach er von wachsendem Frustpotenzial und Ohnmacht. Vielen Kreisräten geht es ähnlich. Und sie können es sich nicht leisten, kurz vor der Wahl bei einem solch emotionalen Thema wie der Geburtshilfe zu versagen. Erschwert wird die Situation dadurch, dass die Politiker unterschiedliche Interessen verfolgen, nicht nur aus parteipolitischen, sondern vor allem aus „territorialen“ Gründen. In der Krise tritt die Spaltung des Doppellandkreises zutage. So gerieten Aichachs Bürgermeister Klaus Habermann (SPD) und Friedbergs Zweiter Bürgermeister Richard Scharold (CSU) aneinander. Denn Habermann befürchtet, dass sich nun alle Bemühungen auf Friedberg konzentrieren und Aichach außen vor bleibt – auch wenn der Landrat stets betont, man habe beides im Blick.

    Die Uniklinik

    Die Augsburger Uniklinik soll Friedberg helfen.
    Die Augsburger Uniklinik soll Friedberg helfen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Universitätsklinik, die viele immer noch „das ZK“ nennen, ist gerade gut mit sich selbst und ihren Umstrukturierungsprozessen beschäftigt. Der Direktor und Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Prof. Christian Dannecker hat vor Kurzem erst angefangen. Trotzdem hat das Großkrankenhaus den Willen bekundet, zu helfen. Nicht aus reiner Freundlichkeit. Die Einrichtung hat jährlich 2300 Geburten und muss ebenfalls schauen, woher sie Personal bekommt. Auch sie würde irgendwann an ihre Grenzen stoßen. Und trotz aller Hilfsbereitschaft waren die Augsburger doch etwas überrumpelt, als Klinikleitung dun Politik in Aichach-Friedberg öffentlich verkündeten, das Ziel sei nicht nur eine Kooperation, sondern die Übergabe der Geburtshilfe Friedberg an die Uniklinik, die dann – wie die Jungfrau zum Kinde – zu einer Außenstelle kommen würde. Ganz frei in ihren Entscheidungen ist die Uniklinik ohnehin nicht. Gesundheits- und Wissenschaftsministerium haben das letzte Wort.

    Die Ärzte

    Viele Eltern zeigen Verständnis für die Belegärzte, die klagen, Äzte dass ihnen die belastung durch die Rufbereitschaft neben dem Praxisalltag zu groß würde. „Immer müder und abgearbeiteter“ sehe ihr Gynäkologe aus, schrieb eine Frau unserer Redaktion. Schließlich blieben nur zwei Ärzte übrig, die den Monat, bis eine Hauptabteilung eröffnet, nicht mehr überbrücken konnten. Trotzdem wirft die Politik den Medizinern „Primadonnengehabe“ vor. Das hat gute Gründe. Erst hatten die Ärzte Unterstützung bei den hohen Haftpflichtbeiträgen gefordert. Als sie diese erhielten, wurde das Argument der Überlastung immer lauter. Es gab Zusagen, die wieder zurückgezogen wurden. Und klar tritt zutage: Einige Ärzte können nicht miteinander, was für das Rettungsprogramm nicht förderlich war.

    Die Hebammen

    Für viele Schwangere ist die Hebamme mindestens so wichtig wie der Gynäkologe. Und das Beleghebammen-Team in Friedberg genießt viel Vertrauen und einen guten Ruf. Unter den Hebammen schlagen die Emotionen hoch. Sie sind verunsichert, haben das Gefühl, man spreche nicht ausreichend mit ihnen, nehme ihre Sorgen nicht ernst, betreue sie nicht eng genug auf dem Weg in das neue System. Tatsächlich ist es Klinikleitung und Politik nicht gelungen, diese Gefühlsspirale zu durchbrechen. Gab es hier Kommunikationsprobleme? Die Geburtshelferinnen, von denen viele jung sind, drohen abzuwandern. Allerdings muss man sagen: Der Landrat betont, dass man ihnen alle Möglichkeiten offen hält, von Festanstellung, freier Anstellung bis zu einem Mischsystem. Eine wichtige Aufgabe für den neuen Chefarzt wird es sein, hier Klärung und Ruhe hereinzubringen.

    Der neue Chefarzt

    Dr. Siegbert Mersdorf kennen viele Frauen in Friedberg. Er war hier von 1998 bis 2017 niedergelassener Arzt, und zwar in der Praxis beim Krankenhaus, die nun der jetzige Belegarzt Dr. Radu Rizea führt. Mersdorf, sicher ein ungewöhnlicher Typ, ist spontan bereit zu helfen. Im Moment ist er in Hof tätig, gut vernetzt, bringt gleich einen Kollegen mit und kennt auch die Verantwortlichen der Uniklinik.

    Dr. Siegbert Mersdorf.
    Dr. Siegbert Mersdorf. Foto: Andreas Schmidt

    Mersdorf ist ein engagierter Mensch, zum Beispiel auch als Stadtrat für die „Parteifreien Bürger“. Allerdings bezeichnet er sich selber nur als „Interims-Chefarzt“. Denn mit fast 66 Jahren hatte er eigentlich andere Pläne.

    Stimmen von Eltern zu dem Thema lesen Sie in diesem Bericht: Wohin kann ich jetzt mit meinem Baby?

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