Momente der Schwäche treten besonders dann ein, wenn sich Menschen in einer Ausnahmesituation befinden. Wie jetzt, da die meisten gesellschaftlich isoliert, unausgelastet und dazu vielleicht noch mit finanziellen Sorgen konfrontiert sind. Das sei ein guter Nährboden für psychische Probleme und Suchterkrankungen, sagt Monika Heizinger-Furchtner. „Zukunftsängste fördern eine Sucht“, erklärt die Leiterin der Suchtberatung in Aichach. „Insbesondere, wenn man mit der Familie auf kleinem Raum wohnt und keinen Rückzugsort hat, kann ein seit Jahren trockener Alkoholiker wieder das Verlangen zu trinken verspüren.“
Suchtberatung ist nun telefonisch länger erreichbar
Suchtdruck nennt man das. Den haben auch Getränkemärkte in Friedberg festgestellt. Denn irgendwann kommt der Punkt der Schwäche. Unter diesen Umständen ist das wahrscheinlicher als sonst. „Dann gehen die Leute eben in die Kneipe oder wie in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen vermehrt zu uns“, heißt es im Friedberger Getränkemarkt Sobi. Dort ist seit Inkrafttreten der bayernweiten Maßnahmen ein signifikanter Anstieg des Verkaufs alkoholischer Getränke zu verzeichnen. Nicht so jedoch bei der BK-Tankstelle Friedberg. „Die Leute, die hier gerne ihr Feierabendbier trinken, tun das nun entweder gar nicht oder zuhause“, sagt Filialleitung Susanne Feistl.
Suchtexpertin Heizinger-Furchtner will dem verstärkten Verlangen zuvorkommen: „Wir dürfen unsere Klienten zwar nicht vor Ort therapieren. Aber wir sind nun länger zu erreichen als nur von 9 bis 12 Uhr. Und wenn nicht, hören wir unter der Woche jeden Tag unseren Anrufbeantworter ab.“
Die erweiterten Präsenzzeiten ermöglichen es Menschen jederzeit anzurufen. „Zudem melden wir uns bei unseren aktuellen Klienten einmal pro Woche telefonisch, um uns nach deren Befinden zu erkundigen.“ Damit sei bereits viel geholfen. „Natürlich ist es etwas anderes als ein persönliches Therapiegespräch“, räumt Heizinger-Furchtner ein. „Aber es gibt den Menschen eine gewisse Sicherheit.“ Derzeit beschäftigen die Caritas keine akuten Fälle, die auf die Ausgangsbeschränkungen zurückzuführen sind. „Es ruft zwar immer mal wieder jemand an. Zum Beispiel, wenn er oder sie unsicher sind, ob sie bereits als süchtig gelten“, sagt Sozialpädagogin Heizinger-Furchtner. Dennoch sei die Sorge, dass Menschen aufgrund der Ausgangsbeschränkungen rückfällig werden, berechtigt.
Das hilft gegen das Verlangen nach Alkohol
Was bei einem starken Verlangen hilft, seien oft Ortswechsel, wie die Sozialarbeiterin sagt. „Verspürt man einen zu heftigen Wunsch nach Alkohol, ist ein Spaziergang ein probates Mittel.“ Diese sind derzeit ja auch ausdrücklich erlaubt. Sich aus der Situation herauszunehmen und einer neuen auszusetzen fördere laut Heizinger-Furchtner den Abbau von bestimmten Neurotransmittern. Diese fänden sich in Stresssituationen in großen Mengen im Blut wieder. „Und dagegen hilft Bewegung, ob das nun ein Spaziergang, Joggen oder Yoga ist“, sagt die Expertin. „Auch Musik kann helfen, wobei das eher der der Ablenkung dient.“
Wie man mit Sucht umgeht, sei von Mensch zu Mensch verschieden: „Die Resilienz ist entscheidend“, erklärt die Suchtexpertin. Resilienz bezeichnet den Schutz vor psychischen Erkrankungen. Dieser ist von verschiedenen Faktoren abhängig, zum Beispiel von Vorerkrankungen oder einer belastenden Vergangenheit. Ist nun ein Mensch mit niedriger Resilienz psychisch stark belastet, fördert das Alkoholmissbrauch und damit die Gewaltbereitschaft. Im Landkreis stellt die Polizei jedoch nach einer ersten Einschätzung keinen Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt fest.
Valide Daten während der Ausgangsbeschränkungen gibt es nach Angaben der Polizeidienststelle Schwaben Nord jedoch noch nicht. Auf Anfrage teilt sie mit, dass eine Bewertung der Zahlen erst in einiger Zeit erfolgen könne.
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