Booster-Impfungen, Erst- und Zweitimpfungen, Erkältungswelle, PCR-Tests: Die Hausarztpraxen im Landkreis sind am Limit. Dr. Peter Kratzer aus Mering spricht für viele andere, wenn er sagt: "Wir können dem Ansturm nicht gerecht werden." Die Wartelisten sind lang, die meisten Praxen müssen Impfwillige priorisieren, der Druck ist hoch. Und die Mediziner üben deutlich Kritik an der Landes- und Bundespolitik.
Robert Guha aus Ried-Baindlkirch drückt es gleichermaßen schlicht wie frustriert so aus: "Großer Andrang, großes Chaos. Wir sind wieder am Anfang." Zu Beginn der Corona-Impfungen war die Lage ähnlich. Nach den Sommerferien ging die Nachfrage zurück, das Impfzentrum in Kissing wurde daher geschlossen. Daher fehlen im Landkreis-Süden Kapazitäten. Das soll sich in zwei Wochen verbessern, wenn die Einrichtung auf Drängen des Landkreises beim Gesundheitsministerium wieder eröffnet.
Corona-Impfungen in Aichach-Friedberg: "Unter 60 boostern wir nicht"
In Baindlkirch ist jeden Dienstag Impfnachmittag, etwa 25 Impflinge bekommen dann ihren Piks, mehr ist laut Guha nicht zu schaffen. Weil das nicht reicht, muss er auswählen. Wie viele Kolleginnen und Kollegen impft er bevorzugt Menschen über 70. "Auf den Intensivstationen liegen neben Ungeimpften immer mehr Ältere mit Vorerkrankungen, die Impfdurchbrüche hatten", begründet Guha dies: "Unter 60 boostern wir nicht."
"Wir könnten die Praxis nur zum Impfen öffnen", meint der Mediziner. Weil momentan auch noch Erkältungen und grippale Infekte grassieren und PCR-Tests sowie Grippeimpfungen durchgeführt werden, ist aber ohnehin sehr viel los. Wie viele Kollegen ist Guha sauer auf die Politik: "Der Staat muss die Infrastruktur schaffen", fordert er. Das sei zu spät geschehen - noch dazu verunsicherten Politikeraussagen, die der Ständigen Impfkommission widersprachen, wochenlang die Menschen.
Wie Guha hatten viele Hausärztinnen und -ärzte damit gerechnet, dass im Herbst sehr viel los sein wird, bestätigt Dr. Andreas Ullmann, Ärztlicher Koordinator für den Landkreis. Als Leiter des Aichacher Zentrums für Allgemeinmedizin ist ihm vor allem in den letzten Wochen eine stark steigende Nachfrage aufgefallen. Täglich wird in der Praxis geimpft, 150 bis 200 Personen erhalten so pro Woche ihren Piks, meist Auffrischungsimpfungen.
Die Kapazitäten können nicht erhöht werden, obwohl bereits alle Termine bis Ende des Jahres vergeben sind. Zusätzlich zur ohnehin vielen Arbeit muss er sich beinahe jeden Tag um positiv getestete Menschen kümmern - wegen der Schutzmaßnahmen eine aufwendige Versorgung.
Auffrischungsimpfung gegen Corona beim Hausarzt: "Immenser Druck"
Viele Ärzte haben das Gefühl, dass sie und ihre Sprechstundenhilfen das Versagen der Politik ausbaden müssen. Fehlende Infrastruktur, verunsicherte Patientinnen und Patienten. "Es gibt immensen Druck auf unsere Mitarbeiterinnen", berichtet Dr. Kratzer. Jede Praxis wolle ihre Patientinnen und Patienten versorgen. "Aber wir müssen ja auch unsere normale Arbeit machen." Auch in der Gemeinschaftspraxis Kratzer/Reins gibt es einen festen Impftag. "Der organisatorische, zeitliche und bürokratische Aufwand ist hoch, das lässt sich nicht nebenher machen."
Weil die Nachfrage die Kapazitäten bei Weitem toppt, wurde festgelegt: "Wir impfen diejenigen, die alt oder sehr krank und nicht mobil sind." Alle anderen verweist er ans Impfzentrum in Dasing-Laimering. Neben der baldigen Wiedereröffnung des Impfzentrums Kissing hat er aber noch ein Anliegen: Die Anmeldung im Impfzentrum über www.impfzentren.bayern müsste vereinfacht werden. Auch unsere Redaktion erreichten Beschwerden über Probleme bei der Anmeldung.
Seine Praxis führt weiterhin auch Zweit- und Erstimpfungen durch. "Ich bin um jeden froh, der geimpft wird." Doch der Hausarzt befürchtet nach vielen Gesprächen: "Es gibt einen harten Kern von zehn Prozent, der sich nicht überzeugen lassen wird."
Eine der wenigen Praxen, die mit den vielen Impfungen problemlos zurechtkommt, ist die von Dr. Jürgen Dreher. In der großen Praxis in Eurasburg werde mehrmals die Woche geimpft, die Wartezeit sei kurz, Priorisierung nicht nötig, so Dreher. Er ist auch einer der wenigen, die bereits fünf Monate nach der Zweitimpfung auffrischen. "Es gibt Studien, die belegen, dass nach vier Monaten die Antikörper zurückgehen", begründet er das und verweist außerdem auf das Vorbild Israel. "Wir schauen daher nicht so genau aufs Datum."
Corona-Impfungen: Aichach-Friedberg fährt Kapazitäten hoch
Noch wenig belastet sind bislang offenbar Facharztpraxen. Dr. Arian Derakhchan von der Praxisclinic Mering hat im Winter und Frühling monatelang jedes Wochenende Sonderimpfaktionen durchgezogen, momentan kämen allerdings kaum Nachfragen bei ihm an. "Nach der Urlaubszeit ging der Impetus zurück", bestätigt er den Trend bei Erstimpfungen. "Jetzt sind wir hinterher." Er hofft, das bis zum Frühling die Impflücken dicht und die Booster-Impfungen vorangekommen sind.
Das Landratsamt teilte am Donnerstag mit, dass die Kapazitäten im Impfzentrum Dasing möglichst schnell von 500 auf 1000 pro Tag erhöht werden sollen.