Das Beste hatte sich Alexander Zverev für den perfekten Schluss aufgehoben, eine kraftvolle Rückhand wie aus dem Lehrbuch. Eine Rückhand auch ins French-Open-Glück, eine Rückhand ins Halbfinale am Ende eines hochdramatischen Duells mit dem spanischen Wunderkind Carlos Alcaraz. Immer wieder hatte der 19-jährige Teenager mit dem Mut der Verzweiflung Zverevs Führungen in diesem spektakulären Viertelfinale aufgeholt, doch auf Zverevs Traumschlag beim zweiten Matchball hatte auch der Mann der Stunde, der Mann der Saison, der kommende Superstar keine Antwort mehr: Weiter um den Turniersieg spielte nach dem 6:4, 6:4, 4:6, 7:6 (9:7)-Krimi nicht der himmelstürmende Spanier, sondern der vor der Partie als Außenseiter gehandelte Weltranglisten-Dritte Zverev. Ihm, dem strahlenden Sieger, hatte es unmittelbar nach dem besten Saisonspiel ausnahmsweise die Sprache verschlagen: „Mir fehlen wirklich die Worte. Das ist ein großer Moment für mich.“
Es war nicht nur ein bedeutender Moment, sondern auch ein außergewöhnlicher und kurios historischer Triumph für den bei diesen French Open bisher eher mittelmäßig in Erscheinung getretenen Hamburger. Denn obwohl Zverev nun schon seit vielen Jahren ein Stammgast in der Weltelite ist und oft schon in den fortgeschrittenen Turnierphasen auftrat, war der Erfolg gegen Alcaraz tatsächlich erst der erste Grand- Slam-Sieg gegen einen Top-Ten-Konkurrenten.
Zverev trifft im Halbfinale auf Rafael Nadal
Und er hätte für Zverev, der seit den Australian Open zu Jahresbeginn seiner Vorjahresform hartnäckig hinterherlief, wahrscheinlich zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können – jetzt, wo die heißeste Zeit im Wanderzirkus läuft, mit den Grand-Slam-Entscheidungen in Paris und bald auch in Wimbledon. „Ich bin froh, dass ich dieses Spiel nach Hause gebracht habe“, sagte Zverev sichtlich erleichtert, „und ich bin froh, dass ich nicht noch in einen fünften Satz musste.“ Dies auch mit Blick auf die nächste schwere Aufgabe im Halbfinale, in dem Zverev auf den 13-maligen French-Open-Champion Rafael Nadal trifft. Der Spanier besiegte den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic in der Nacht zum Mittwoch in einem weiteren hart umkämpften Viertelfinale mit 6:2, 4:6, 6:2 und 7:6 (7:4) .
Zverev hatte sich vor der Auseinandersetzung mit Alcaraz über die fehlende Wertschätzung und Anerkennung durch die Turniermacher beschwert und eine Vorzugsbehandlung des Spaniers ausgemacht. Es klang wie der trotzige Schrei nach mehr Respekt, ein wirkliches Argument hatte Zverev allerdings nicht in der Tasche gehabt.
Nun ließ er zum Glück Taten sprechen auf der Pariser Hauptbühne, legte sportlich auf dem roten Terrain dar, dass man ihn bei diesen Titelentscheidungen nicht übersehen und ignorieren sollte im Hype um ein neues Wunderkind. Schnell diktierte Zverev den Takt und Rhythmus der Partie, er spielte grundsolide, konzentriert, mit dem richtigen Gefühl zwischen Risiko und Kontrolle. Auf der anderen Seite kam Alcaraz regelmäßig ins Grübeln, gegen Zverevs Schlagmacht wusste er sich zwei Sätze lang nicht zu helfen. Immer wieder schüttelte er den Kopf, genauso wie sein Trainer Juan Carlos Ferrero in der Player Box.
Alcaraz hatte vor dem Match gegen Zverev eine Sand-Bilanz von 20:1 in diesem Jahr
Alexander Zverev hätte die Partie schon eine gute Weile eher beenden können, bei 4:4 im dritten Satz hatte er einen vorentscheidenden Breakball. Doch Alcaraz bewies Nervenstärke und Kreativität und antwortete mit einem seiner vielen Dutzend Stopps. Er ging 5:4 in Führung, nahm Zverev den Aufschlag ab – es ging in die Verlängerung des vierten Satzes. Zverev nutzte hier die Breakchance, die sich bei 4:4 bot, schlug somit bei 5:4-Führung zum Matchgewinn auf. Nur um sich mit dem schwächsten Aufschlagspiel wieder alle Hoffnungen auf den Halbfinaleinzug erst mal wieder zu zerstören. Über 5:5 und 6:6 ging es in den Tiebreak.
Zverev führte 2:0 und 3:2, geriet mit 3:4 in die roten Zahlen, wehrte bei 5:6 einen Satzball ab. Hatte dann nach einem unglaublichen Reflex am Netz bei 7:6 den ersten Matchball. Comebacker Alcaraz schaffte noch einmal den 7:7-Ausgleich, verlor aber den nächsten Punkt. Es stand 8:7 für Zverev.
Und dann kam der Schlag zum Sieg, diese wie mit dem Lineal gezogene Rückhand als Aufschlagreturn, an den auch Carlos Alcaraz, der junge Bursche mit den superschnellen Beinen, nicht mehr herankam. Zverev stand im Halbfinale, wie im letzten Jahr. Zugetraut hatten ihm das nur wenige, schon gar nicht gegen Alcaraz, den Mann, der vor diesem Match eine 20:1-Saisonbilanz auf Sand festgeschrieben hatte.