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Wie erziehe ich mein Kind ohne Religion, aber trotzdem werteorientiert?
![Viele Eltern wollen ihrem Nachwuchs das Beste an Werten mit auf den Weg ins Leben geben. Eine christliche Taufe gehört nicht immer dazu. Viele Eltern wollen ihrem Nachwuchs das Beste an Werten mit auf den Weg ins Leben geben. Eine christliche Taufe gehört nicht immer dazu.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715673836705-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Welche Folgen hat es, wenn immer weniger Kinder getauft sind? Und woher beziehen Eltern, Kinder und die Gesellschaft ihre Werte? Ulrike von Chossy ist Humanistin und gibt Rat.
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Frau von Chossy, immer mehr Eltern entscheiden sich heute gegen eine Taufe, ihr Nachwuchs bleibt dann meist ohne Religion. Wie wirkt sich das auf die Kinder aus?
Ulrike von Chossy: Man sieht es bereits in großen Städten: Glauben wenige Menschen an Gott, ist Religion in der Gesellschaft nicht der richtige Träger für Moral. Gläubige gehen davon aus, dass Werte durch religiöse Schriften wie Bibel, Koran oder Thora gesetzt sind. Ohne Religion wird jedoch irrelevant, was Gott wünscht. Glaubt ein Kind nicht an ihn, hat es keinen Grund, sich an seine Regeln zu halten.
Wie kann man Kindern auch ohne Gott vermitteln, dass Werte wichtig sind?
von Chossy: Wir Humanisten gehen davon aus, dass bestimmte Werte zum Zusammenleben im Menschen veranlagt sind. Es gibt gewisse Instinkte, sich entsprechend zu verhalten, weil soziale Wesen besser im Leben zurechtkommen. Jede Gesellschaft muss im Diskurs aushandeln, welche Werte gelten. Kinder erlernen diese durch Nachahmung und in der Auseinandersetzung darüber.
Als Leiterin der humanistischen Schule in Fürth gestalten Sie mit, wie Kinder und Jugendliche religionsfrei Werte erlernen. Wie funktioniert das konkret?
von Chossy: Will ich Werte vermitteln, muss ich sie vorleben und dafür sorgen, dass sich Kinder spielerisch und in Gesprächen mit ihnen auseinandersetzen. Mit den Kleinsten besprechen wir moralische Dilemmata anhand von Bilderbüchern und Geschichten wie dieser: Ein Bub fantasiert und sieht ein Nashorn im Zimmer. Aufgeregt erzählt er dem Vater davon. Der glaubt ihm nicht und sagt: Beweise es! Wie aber ist etwas zu beweisen, das nur in der Fantasie geschieht? Dann besinnt sich der Vater und sagt: Du hast recht.
Was nehmen die Kinder aus dieser Geschichte mit?
von Chossy: Es steht nicht eine Person im Vordergrund, die das Recht gepachtet hat. Das Verhalten des Vaters ist nachahmenswert, denn es geht nicht um Richtig oder Falsch – sondern darum, im Austausch zu bleiben. Gerade in multikulturellen Gesellschaften ist das wichtig. Nicht einer allein kennt die absolute Wahrheit für alle, sondern es gibt viele Ideen und Vorstellungen. Die Kinder lernen, wie sie in die Gruppe einbringen, was sie daheim gelernt haben und wie sie damit umgehen, wenn andere anders denken.
Religion vermittelt immer auch Moral. Wie bekommen Kinder ohne religiöse Erziehung ein Verständnis von Gut und Böse?
von Chossy: Bin ich religiös, ist Gott die moralische Instanz. Er sieht mich, beurteilt, was ich tue, und am Ende des Lebens bekomme ich die Rechnung dafür. Nichtreligiöse müssen die Folgen ihres Handelns selbst überdenken. Machen sie etwas falsch, erkennen sie es an den Konsequenzen, an der Reaktion anderer oder am schlechten Gewissen, das sie überkommt. Dann gilt es, Fehler ins Reine zu bringen oder wiedergutzumachen, um sich und andere zu versöhnen. Dafür ist viel Austausch nötig, das bringen wir den Kindern früh bei. Gläubige dagegen können bei schlechtem Gewissen auch auf Strategien wie Buße zurückgreifen.
Geht es Ihnen darum, Religion komplett von Kindern fernzuhalten? Oder worum geht es tatsächlich?
von Chossy: Es mag Hardcore-Atheisten geben, die meinen: Wenn wir nur Religion aus dem Leben verbannen, wird alles gut. Doch spätestens, wenn man in Krisen rutscht, werden Strategien zur Bewältigung wichtig. Entscheidend ist, was wir anstelle der Religion vermitteln und welche Techniken wir Kindern zur Gestaltung ihres Lebens mitgeben. Kultur und Traditionen braucht der Mensch, genauso wie das Gefühl einer Rudelzugehörigkeit. Ein Leben lang sind wir auf Kooperation angewiesen, es macht etwas mit uns, wenn wir zugehörig sind. Wichtig ist ein Pluralismus von Traditionen und Bräuchen ohne Absolutheitsanspruch.
![Immer weniger Kinder werden getauft. Die Zahl christlicher Taufen ging in den vergangenen Jahren in Deutschland und Bayern deutlich zurück. Immer weniger Kinder werden getauft. Die Zahl christlicher Taufen ging in den vergangenen Jahren in Deutschland und Bayern deutlich zurück.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715673836705-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
In Kindergärten gibt es in Bayern meist christliche Rituale, in der Schule oft Kirchenbesuche. Wie ist das für ein Kind, das sonst nicht christlich aufwächst?
von Chossy: Grundsätzlich darf niemand gezwungen werden, an religiösen Ritualen teilzunehmen. Am besten fragen Eltern ihr Kind, ob es dabei sein möchte. Falls nicht, kann man es nach Rücksprache mit Lehrern vor dem Kirchenbesuch aus der Schule abholen oder es besucht eine Ersatz-Betreuung. In jedem Fall hilft es, mit dem Kind zu Hause ganz offen darüber zu sprechen: Welche religiösen Bräuche sind in der Gesellschaft üblich? Und was wird zu Hause praktiziert?
Weihnachten, Ostern, Erntedank: Wie gehen Familien mit den christlichen Festen der Mehrheitsgesellschaft um, wenn sie sie eigentlich nicht feiern?
von Chossy: Auch hier hilft es, gemeinsam mit den Kindern in den Austausch zu gehen und zu hinterfragen, woher Bräuche wie Nikolaus, Osterhase oder Christkind stammen und was sie eigentlich bedeuten. Gerade für ältere Schulkinder kann es auch spannend sein, die Rituale verschiedener Kulturen und Religionen zu vergleichen.
Zur Person: Ulrike von Chossy ist Diplom-Sozialpädagogin und Leiterin der Humanistischen Grundschule in Fürth. Sie hat den Ratgeber "Erziehen ohne Religion" mitverfasst.
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Was heisst hier "trotzdem werteorientiert"? Als ob Religion für Werte stünde, Humanismus aber nicht? Das Gegenteil ist der Fall. Werte, die aus der praktischen Vernunft erkannt und selbst gesetzt sind, weil man erkannt hat, dass soziales Verhalten und Gemeinwohlorientierung vernünftig ist, sind viel stabiler als Werte, die aus einem heiligen Buch abgelesen werden, mit unklarer Sanktion nach dem Tod. Ein großer Teil der Kriege und Konflikte, komplett unvernünftig, wären ohne unterschiedliche religiöse Werte nicht entstanden. (Iran-Irak, Nordirland, Jemen, etc etc)
Meine Eltern waren katholisch und ich bin katholisch getauft. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass ich als Kind von meinen Eltern mit religiösen Inhalten behelligt wurde. Werte werden anders vermittelt.
Ich bin jetzt 62 Jahre alt und wie meine beiden ähnlich alten Geschwister nicht getauft. Wir haben bestimmt mehr Anstand von unseren Eltern beigebracht, als die katholische Kirche so vorlebt.
Meine Oma hatte mehr Anstand im kleinen Finger, als die ganze katholische Kirche insgesamt.
Sehe ich ähnlich. Es reicht ein guter Mensch zu sein.