Mein lieber Herr Gesangverein! Was ist das für ein Phänomen, das seit Jahren crescendoartig in die deutsche Chorlandschaft hallt und auch im Donau-Ries-Kreis ein Echo wirft? Ein Phänomen, von dem wohl die meisten Chöre ein Lied singen können. Denn wohin man auch blickt, ziehen sich Herren sang- und klanglos aus den Vokalgruppen zurück.
In nahezu allen gemischten Chören ist dieser Schwund zu beobachten. Sie sehen sich daher oftmals vor der Notwendigkeit, von vierstimmigen auf dreistimmige Sätze auszuweichen, um Mängel in der Besetzung auszugleichen. Bässe, vor allem aber Tenöre gelten als ausgesprochene Rarität und sind heiß begehrt. Wer sich als Sänger in einem Chor engagiert, wird nicht selten auch von anderen angesprochen, angeworben, ausgeliehen. Männerchöre, wie wie es sie seit ihrer Entstehung Anfang/Mitte des 19. Jahrhunderts zuhauf gegeben hat, müssen heutzutage ums Überleben kämpfen. Sie sind überaltert; Junge bleiben oft aus. Der klassische Gesangverein ist Anfang des 21. Jahrhunderts akut vom Aussterben bedroht, während sich eher Kammer-Ensembles, Gospel- und Popchöre und ähnliches mehr gründen.
Jüngstes Beispiel für diese These ist etwa der Männergesangverein Genderkingen, der gerade noch sein 50-jähriges Bestehen feierte und bei aller Begeisterung über diese Tradition doch auch eine Art Abgesang anstimmte. „Leider mangelt es an Nachwuchs“, erklärte nämlich dessen Vorsitzender Eduard Steinle bei den Festlichkeiten, „weshalb sich unsere Gemeinschaft wohl langfristig nicht halten kann.“
„Männerchöre sind in der Tat ein problematisches Feld“, bestätigt Jürgen Schwarz, der Geschäftsführende Präsident des Chorverbands Bayerisch-Schwaben (CBS). „Es gibt wirklich gute, die flexibel genug sind, sich mit ihrer Literatur neuen Herausforderungen zu stellen. Die werden es auch schaffen, weiter zu bestehen. Aber die herkömmlichen Männerchöre verschwinden tatsächlich irgendwann.“ Opfer dieser Entwicklung ist beispielsweise ganz aktuell der Männergesangverein Feldheim, der unmittelbar vor seiner amtlichen Auflösung steht.
Die Chorlandschaft wandelt sich und spiegelt in diesem Wandel auch unsere Gesellschaft wieder, die nicht zuletzt von einem veränderten Selbstverständnis und Freizeitverhalten geprägt ist. Als sich die ersten Männerchöre in Bayern gegründet haben, war die Welt noch eine völlig andere.
Damals formte sich Bayern gerade – im Zuge der Napoleon’schen Neuordnung – aus einem Fleckerlteppich einzelner Stämme und vieler Kleinherrschaften zu einem einheitlichen nationalen Gebilde. Nach und nach entstand der Wunsch nach Einheit und Identifikation und da boten die Männergesangvereine einen idealen Nährboden. Das neu erworbene Bürgerrecht, sich als freie Menschen zu treffen, um miteinander zu singen, aber auch zu politisieren, gab ebenfalls mit den Anstoß zu einer Vielzahl von Chorgründungen.
Diese Chöre waren freilich zunächst ausschließlich den Männern vorbehalten, während sich Frauen nur im privaten Umfeld künstlerisch betätigen durften. „Bekenntnisse zu Vaterlandsliebe, Mannhaftigkeit und Volkstum, ausgelebt in einem geschützten Bereich, in dem Geselligkeit und Gesang im exklusivem Männerkreis den Ablauf bestimmten, beflügelten und verlockten zur Annäherung und zum Austausch Gleichgesinnter über die eigenen engen Grenzen hinweg“, schreibt dazu Christiane Franke in „Schwaben singt – 150 Jahre Chorverband Bayerisch-Schwaben“. Dazuzugehören galt damals für die Herren als große gesellschaftliche Ehre.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs war erneut eine krasse Zäsur für die Gesangsvereine. Als sich der Schwäbisch-Bayerische Sängerbund 1949 formierte, traten unter seinem Dach ganz selbstverständlich neben den Männerchören auch gemischte Chöre, Frauen- und Kinderchöre in Erscheinung. Erst recht, als in den 60er/70er Jahren die Rolle der Frau in der Gesellschaft immer mehr in den Fokus politischer und gesellschaftlicher Diskussionen gerückt wurde. Zu Chorfusionen kam es schließlich seit den 80er Jahre, als der Männerschwund erstmals schmerzhaft spürbar wurde: Mangels aktiver Mitglieder standen damals viele Männergesangvereine vor dem Aus und einzig der Zusammenschluss zu gemischten Chören sicherte den Fortbestand.
Und heute? Heute geht es um zweierlei Ansätze: Einmal darum, konsequent den Nachwuchs zu finden und zu binden. Den Jungen zu vermitteln, dass Chorgesang nicht verstaubt sein muss. Zum anderen geht es darum, die demografische Entwicklung auch in der Chorlandschaft mit zu vollziehen. Den immer mehr werdenden aktiven Senioren im sozialen wie musikalischen Gefüge einer Sängergruppe ein Betätigungsfeld zu bieten. „Das ist eine ganz tolle Menschenmenge für unsere Chöre, denen man die ganze Bandbreite musikalischer Richtungen nahe bringen muss“, findet der geschäftsführende Präsident Jürgen Schwarz.
Der CBS hat die Zeichen der Zeit längst erkannt und trägt ihnen in vielfältigen Fortbildungen, in regelmäßigen Literaturangeboten, Zusammenarbeit mit Schulen, bei der Lehrerausbildung, Wettbewerben, Sängertagen und vielem mehr Rechnung. Von jeher hat es der Verband in seiner 154-jähriger Geschichte verstanden, in die Gesellschaft hinein zu spüren und zu reagieren. „Wir können nicht stehen bleiben auf dem Stand von vor 100 Jahren“, weiß Jürgen Schwarz.
Den Weg in die Zukunft unserer Chöre sieht er dann ideal bereitet, wenn die verschiedenen Chorgattungen in einem Verein gepflegt werden: Kinder- und Jugendchor, gemischter Chor, Männerchor. Und auch wenn die klassische Volksmusik heute wieder eine Renaissance erlebt, so ist doch der Chorleiter gut beraten, der offen ist für alle Facetten von Klassik über Jazz-, Rock-, Popgesang bis hin zu Oratorien. „Die Aufgaben sind gestiegen“, stellt Jürgen Schwarz fest. „Aber der Chorverband stellt für alle diese Bereiche Angebote zur Verfügung.“ "Angemerkt