Es war wohl ein recht schmuckloser Akt an jenem 15. August 1874 in Rain. Eine eher nüchterne Angelegenheit ohne großes Brimborium, die gleichwohl ein denkwürdiges Ereignis markiert. Einen wichtigen Schritt in einer bis dahin 13 Jahre währenden Entwicklung von großer historischer Bedeutung: die Eröffnung der 51 Kilometer langen Bahnlinie zwischen Ingolstadt und Donauwörth, die auch entlang der Stadt Rain und dort über den Lech führt. Sie ist ein Teilstück der Donautalbahn, die sich von Regensburg bis Günzburg erstreckt.
Das stattliche Bahnhofsgebäude in Rain war rechtzeitig 1872/73 fertiggestellt worden, die zu diesem Anlass neu errichtete Bahnhofswirtschaft (Restauration) des Josef Schleipfer befand sich nur einen Katzensprung davon entfernt - bereit, die zahlreich erwarteten Reisenden zu verköstigen. Ab 1910 hieß die - 1878 noch einmal neu gebaute - Wirtschaft dann „Zum Kettner“. Versuchsweise ratterte der erste Zug bereits am 20. April 1874 von Ingolstadt nach Neuburg, dann ebenfalls als Testfahrt am 28. Mai 1874 bei Rain über die Lechbrücke.
Und dann ging der Bahnbetrieb am 15. August 1874 richtig los
Und dann ging der Bahnbetrieb an eben jenem 15. August 1874 offiziell los - sehnsüchtig erwartet und hart erkämpft. Wie der Rainer Historiker Harald Mann später in einem Beitrag schreibt, „schnaufte das erste, mit ein paar grünen Zweigen geschmückte stählerne Dampfroß in den Bahnhof Rain.“ - „Offizielle Feiern“, so seine Recherchen, „fanden nicht statt.“
Vorausgegangen waren diesem besonderen Tag viele Jahre voll energischer Überzeugungsarbeit, Versammlungen, politischer Debatten, Beschlüsse und Einschalten des Bayerischen Königs Ludwigs II.. 13 Städte zwischen Günzburg und Regensburg fühlten sich vom Bayerischen Landtag verkehrstechnisch benachteiligt und gründete ein „Eisenbahn-Comité“, das am 20. Oktober 1866 nach München reiste und das Projekt Donautalbahn anstieß. Mit Erfolg: Am 29. April 1869 genehmigte der Landtag das Projekt vorläufig, mit einer finanziellen Ausstattung von knapp 16 Millionen Gulden (umgerechnet fast 14 Millionen Euro). Mit den Gesetzen vom April 1872 und Juli 1874 wurde die endgültige Genehmigung erteilt, wie Harald Mann schreibt.
Schwierigkeiten bereitete der Bau der Lechbrücke
Grundstücksverhandlungen mit Landwirten überall an der Trasse, finanzielle Entschädigungen, die Frage nach Standorten von Bahnhöfen, Millionen Kubikmeter Humus, die von Hand bewegt werden mussten, der Bau von Pumpstationen für die Befüllung der Dampflokomotiven mit Wasser und, und, und standen in den Folgejahren an. „Schwierigkeiten bereitete die Lechbrücke“, hielt Harald Mann fest. „die drei mit Eisen überspannten Brückenfelder zu je 63 Metern erhielt. Die Zwischenpfeiler mussten wegen des elf Meter tief unter Niederwasser liegenden tragfähigen Untergrunds auf pneumatischem Weg fundiert werden.“ Um genügend Hochwasserschutz herzustellen, wurde der zwei Kilometer lange und sechs Meter hohe Bahndamm in der Lechniederung aufgeschüttet, der die Landschaft gewaltig veränderte.
Der Bau des neuen Bahnhofs Donauwörth stand damals noch nicht fest, deshalb endeten die Arbeiten an der Schienentrasse zunächst in Hamlar. Erst Ende 1874 wurden die Arbeit an der Strecke Hamlar–Donauwörth wieder aufgenommen und der Bahnhof Donauwörth von 1874 bis 1877 an seinem heutigen Standort im Südwesten der Stadt errichtet. Seine Eröffnung fand am 15. November 1877 statt.
Die erste Eisenbahnbrücke über den Lech existierte 71 Jahre
Die erste Eisenbahnbrücke über den Lech bei Rain versah lediglich für die Dauer von 71 Jahren ihren Dienst. In all diesen Jahren rollte, wie der Historiker Jakob Paula in der Donauwörther Zeitung 1995 schrieb, „nicht nur der Eisenbahnverkehr über sie hinweg sondern sie wurde von der Bevölkerung als Fußgängerübergang benutzt - von den Behörden allerdings nicht gern gesehen. Als ‚Abschneider‘ wurde diese Möglichkeit gerne wahrgenommen, weil der Weg über die Straßenbrücke einen großen Umweg bedeutete.“
Im Ersten Weltkrieg kam es zu einem skurrilen Gefecht an der Lechbrücke
1914 wurde die Lechbrücke bei Rain im Ersten Weltkrieg zum Schauplatz einer beinahe schon skurrilen kriegerischen Handlung. Wie der damalige Rainer Stadtpfarrer Karl Rieger in seinen „Chronologischen Notizen über Ereignisse 1914 -1918“ festgehalten hat, herrschte im Sommer 1914 kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine Atmosphäre großen Misstrauens. Man befürchtete feindliche Flieger und Spione im Lechgebiet, wähnte sich von einem Luftschiff überwacht, das bereit sei Bomben abzuwerfen, witterte hinter jedem Fremden, jedem harmlosen Handwerksburschen gefährliche Subjekte. Entdeckt wurde - nichts.
In der Vollmondnacht vom 3. auf den 4. August steigerte sich die Aufregung dann dramatisch, wie aus Riegers Aufzeichnungen hervorgeht. An der Lechbrücke waren militärische Wachen postiert. In den Schatten der sich im Wind bewegenden Bäume erkannten die schussbereiten Soldaten vermeintliche Attentäter und feuerten ihre Waffen ab. Rieger beschreibt: „Die Zivilwache auf der weiter flussabwärts liegenden Lechstraßenbrücke schoss nun auch. Die ziemlich lebhafte Schießerei alarmierte die benachbarten Ortschaften Oberndorf, Feldheim, Genderkingen, in welchen Sturm geläutet wurde und aus welchen eine Anzahl von Männern auf dem vermeintlichen Kampfplatz erschien. Besonders heftig wurde die Schießerei, als der gegen Mitternacht fällige Zug nach Donauwörth die Brücke passierte, da man meinte, der Feind wolle unter dem Gerassel des Zuges vordringen und die Brücke sprengen. Es ist merkwürdig, dass niemand verletzt wurde.“
Im weiteren Kriegsverlauf wurde die Bahn zunächst für den Zivilverkehr gesperrt, wie Pfarrer Rieger weiter schreibt. Zahlreiche Militärzüge mit Soldaten und Kriegsmaterial verkehrten. Die durchziehenden Truppen wurden mit reichlich Speis und Trank versorgt. Dann kamen Militärzüge aus den Kriegsgebieten zurück. „Sie brachten teils gefangene feindliche Soldaten, teils verwundete feindliche und deutsche Krieger.“
Die Ära der ersten Rainer Lechbrücke endete im April 1945
Auch der Zweite Weltkrieg hinterließ seine Spuren in der Geschichte der Bahnstrecke bei Rain. Am Bahnhof der Tillystadt fanden in den letzten Kriegstagen fast täglich Tiefflieger- und Artillerie-Angriffe statt. Der schwerste Luftangriff spielte sich am Ostermontag, 2. April 1945, dort ab. Der Rainer Geschichtsforscher Adalbert Riehl schildert in seinem historischen Band „Der April 1945 im östlichen Lech-Donau-Winkel nach den Berichten von Zeitzeugen“, was sich kurz nach 7 Uhr zugetragen hat: „Nur wenige Minuten waren vergangen, als von Osten mehrere feindliche Flugzeuge auftauchten, direkt auf den stehenden Zug zusteuerten und ihn beschossen. Die Maschinen, es waren mindestens vier (ein Zeuge spricht von acht), zogen Schleifen und beschossen aus geringer Höhe den Zivilistenzug noch mehrere Male. In den vorderen Waggons mischte sich in den Lärm der Flugzeuge das Schreien der Schwerverletzten ...“.
Ende April 1945 endete dann die Ära der ersten Rainer Eisenbahnbrücke über den Lech. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs sprengten die Deutschen sie vor den anrückenden Amerikanern. Vom einstmals so stolzen Brückenbauwerk blieben lediglich die gemauerten Brückenpfeiler und die Widerlager an beiden Ufern erhalten. Über diese baute eine Eisenbahnpionierkompagnie im Juli/August 1945 eine Behelfsbrücke aus Stahl. Anfang der 1950er Jahre dann wurde die Behelfsbrücke wieder abgebaut und durch die jetzige, nüchtern gestaltete Vollwandträgerbrücke aus Stahl ersetzt.
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