Startseite
Icon Pfeil nach unten
Donauwörth
Icon Pfeil nach unten

Multimedia-Story: Streit um Abriss: So sieht es im Tanzhaus heute aus

Der Tanzhaus-Saal ist für die Stadtratssitzungen jetzt dauerhaft bestuhlt.
Multimedia-Story

Streit um Abriss: So sieht es im Tanzhaus heute aus

    • |

    Prächtig steht es immer noch da. Auch wenn das Leben verschwunden ist und ein Feuer es teils zum Einsturz bringen könnte: Kaum ein Gebäude prägt das Donauwörther Stadtbild so wie das Tanzhaus. Und nun streitet ausgerechnet diese Stadt darüber, das Haus abzureißen, es womöglich zu ersetzen, durch einen neuen Bau an gleicher Stelle. Für die Besucher in der Reichsstraße, in dessen Ensemble das Tanzhaus genau in der Mitte steht, muss das wirken wie eine Absage an Ästhetik und Historie der Stadt.

    Oder könnte man sich vorstellen, dass Nördlingen so über die Schranne debattiert? Die Donauwörther aber wissen auch um das Innere des Gebäudes, wenn auch nur aus Erinnerungen. Seit Jahren ist das Tanzhaus inzwischen gesperrt, wie die Räume heute aussehen, liegt hinter verschlossenen Türen.

    2018 stieg die letzte Party im Jugendzentrum, bevor es aus der Tanzhaus-Passage auszog.
    2018 stieg die letzte Party im Jugendzentrum, bevor es aus der Tanzhaus-Passage auszog. Foto: Christof Paulus

    Ein Donauwörther Geschäftsmann erzählt: Trubel in der Tanzhaus-Passage

    Dieter Kleinle hat das gesperrte Gebäude den ganzen Tag im Blick. Sein Feinkostladen in der Sonnenstraße ist direkter Nachbar des Tanzhauses, von 2004 bis 2008 betrieb er sein Geschäft in der Passage. „Viele meinten, das wird nicht funktionieren“, sagt Kleinle. „Und am Eröffnungstag standen plötzlich 100 Leute in meinem Geschäft.“ Vor allem dann, wenn in der Stadt ein Fest war, sei es im Tanzhaus voll und turbulent geworden. So etwas wie eine Markthalle, etwa hier im Tanzhaus, fehle Donauwörth.

    Heute stehen Paletten in der Passage, Kabel liegen auf dem Boden. Ein Kühlschrank, flache weiße Platten und Reste der Osterdekoration, die nach den Feiertagen hier ihren Platz gefunden haben, verdecken das Wandmosaik. Ein wenig erhellt den Gang das Licht, das durch die leeren Geschäftsräume dringt. Auch in den Räumen sieht es so aus: Vor Jahren sind die letzten Geschäfte ausgezogen. Seitdem hängt die Passage in der Luft, obwohl sie im Erdgeschoss liegt. Spuren des letzten Trubels im Tanzhaus sind auf den Wänden ganz am hinteren Ende der Passage übrig geblieben.

    Das Tanzhaus in Donauwörth - Hintergründe und Entscheidungen

    Das Tanzhaus in der Reichsstraße in Donauwörth wurde 1975 für 6,3 Millionen Euro gebaut.

    2013: Die letzten Ladengeschäfte in der Passage des Tanzhauses schließen. Im Oktober 2015 schließt das Restaurant im Tanzhaus seine Türen. Bis zum Juli 2016 ziehen sämtliche Mieter – Arztpraxis, Museum uund Wohnungsmieter – aus. Das Problem ist der Brandschutz. Damit steht das Tanzhaus komplett leer.

    Die Erwin Müller Group will das Tanzhaus im Jahr 2017 kaufen und sanieren. Die Pläne: Gastronomie und Geschäfte im EG, Büros und Stadtsaal im OG und Wohnungen im Maisonettstil in den oberen Stockwerken.

    Die Verhandlungen mit Erwin Müller verzögern sich, weil festgestellt wird, dass das Bestandsgebäude an mehreren Stellen von den Bauplänen aus dem Jahr 1973 sowie den Plänen einer Bestandsaufnahme aus dem Jahr 1983 abweicht. Das Gebäude sei – so hieß es damals von der Verwaltung – „zum einen in der Bauzeit von 1973 bis 1975 teils anders errichtet als genehmigt, zum anderen sind in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Umbauten und Einbauten hinzugekommen.“ Dies habe unter anderem Folgen für die Frage nach dem Bestandsschutz, insbesondere im Hinblick auf den Brandschutz. Das Tanzhaus gilt fortan als „problematisches Bauwerk“.

    Kurz vor Weihnachten 2018 scheitern die Verkaufsverhandlungen mit der Erwin Müller Group. Die Firma nimmt „aus wirtschaftlichen Gründen“ Abstand. Zudem seien die Sanierung der Tiefgarage und die Ertüchtigung des Brandschutzes sehr kostenintensive Vorhaben.

    Im Mai 2019 beschließt der Stadtrat die Grundlagen für die Machbarkeitsstudie: Das Tanzhaus soll einen Stadtsaal und die Tourist-Information mit Kulturbüro beherbergen. Die Idee der Musikschule und weiterer Ladengeschäfte werden verworfen.

    Im August 2019 ergibt ein statisches Gutachten, dass im Falle eines Brandes im Stadtsaal die Decke zur Tiefgarage einstürzen könnte. Diese wird daraufhin gesperrt.

    Im Falle eines Brandes würde die Decke des Stadtsaales nur 60 Minuten stand halten. Die herabfallenden Teile könnten dann die Decke der Tiefgarage einstürzen lassen.

    Seit 2019 wird der Stadtsaal gesperrt, da der Brandschutz nicht mehr den Vorgaben entspricht. Sechs Mal im Jahr dürfen Veranstaltungen mit maximal 400 Personen und Feuerwehr vor Ort den Stadtsaal nutzen. Eine Brandmeldeanlage ist in dem Haus nicht installiert.

    Im November 2019 wird die Machbarkeitsstudie präsentiert, die eine Sanierung mit einem Neubau vergleicht. Ergebnis ist folgendes:

    Sanierung mit Café und Tourist-Info, Toiletten im EG, Saal (312 Personen) mit Catering im OG und 24 Hotelzimmern oder Seminarräume im Dachgeschoss: rund 17 Millionen Euro, Bauzeit: 20 Monate. Die sanierte Tiefgarage hätte 38 Plätze;

    Neubau in gleicher Gebäudegröße und ähnlicher Raumaufteilung kostet etwa 20 bis 21 Millionen mit einer Bauzeit von 36 Monaten. Der Saal wäre für 350 Personen und die Tiefgarage hätte 42 Stellplätze.

    In der Stadtratssitzung vom 9. Dezember 2019 beantragt die EBD gemeinsam mit der SPD/BfD und der PWG/FW, dass die Entscheidung über das Tanzhaus in den neuen Stadtrat nach der Wahl verlegt wird und scheitert mit 12:12 Stimmen. OB Neudert stimmt dagegen und führt den Patt herbei.

    Am 27. Januar 2020 entscheiden die Donauwörther Stadträte mit 14:9 Stimmen gegen einen Abriss. Für eine Sanierung wird anschließend mit 15:8 gestimmt.

    Nahezu einstimmig wird die künftige Nutzung grob festgelegt: Im Tanzhaus soll ein moderner Stadtsaal für 200 bis 400 Personen im Obergeschoss entstehen. Im Erdgeschoss soll eine modernes Bibliothekskonzept mit integriertem Café platziert werden. Im vorderen Bereich soll die Tourist-Info und das Kulturbüro installiert werden. Einzelhandel, Musikschule und Hotel werden ausgeschlossen. Die Tiefgarage soll mit weniger Stellplätzen als bisher saniert werden, dafür Parkmöglichkeiten im Umfeld des Tanzhauses entwickelt werden. Die weitere Nutzung des Dachgeschosses ist noch festzulegen. Die Vertiefung des Nutzungskonzeptes wird dem neuen Stadtrat auferlegt.

    Im September 2020 geht der neue Stadtrat auf Klausur und beschließt die Machbarkeitsstudie auf Plausibilität zu prüfen. Die "Sanierung des Tanzhauses" steht auf der dort erstellten Prioritätenliste ganz weit oben.

    Im März 2021 entscheidet der neue Stadtrat mit knapper Mehrheit, dass das Tanzhaus doch abgerissen werden soll und ein kleineres an gleicher Stelle entstehen soll. OB Jürgen Sorré erklärt, er wolle den Neubau in dieser Legislaturperiode einweihen.

    Die Reaktionen in der Bürgerschaft sind teilweise hoch emotional. Eine Bürgerinitiative gründet sich und sammelt 1800 Unterschriften dafür, dass der Bürger über eine Sanierung oder Abriss abstimmt.

    Der Bürgerentscheid findet am 26. September 2021 zeitgleich mit der Bundestagswahl statt. Auch ein vom Stadtrat initiierter Entscheid steht zur Abstimmung. Das Ergebnis ist für ein Jahr bindend.

    In den Räumen dort war einige Jahre das Jugendzentrum untergebracht, die Aufschrift „Bierausschank“ steht noch dort, wo mal der Bierausschank war. Fertig aufgeräumt ist die letzte Feier noch nicht, eine Tüte und ein Schild liegen noch auf dem Boden. „2018“ steht mit Kreide auf einer Tafel geschrieben, so frisch, als sei es vor einer Woche gewesen. Darunter: „Der Letzte macht’s Licht aus.“ Dass es bis heute nicht mehr angegangen ist, kann man auch von außen erkennen, wenn man genau hinschaut. Und am besten dann, wenn man das Gebäude einmal umrundet.

    Tanzhaus-Garage seit 2019 gesperrt: Angst vor Feuer und Einsturz

    Aus der Sonnenstraße vor Kleinles Laden konnte man einst in die Tiefgarage fahren, doch fast zwei Jahre ist die letzte Einfahrt nun her. Das Gitter ist herabgelassen, wer durch die Stangen hindurch blickt, sieht das, was in einer Tiefgarage passiert, wenn sie zur autofreien Zone wird: nichts. Vogelmist hinterlässt seine Spuren auf Schildern und dem Boden, anfassen möchte man hier lieber nichts mehr. „Gesperrt“ steht an dem Schild auf dem Absperrgitter. Doch warum eigentlich?

    Das Problem liegt zwei Stockwerke über der Garage. Eine statische Untersuchung fand heraus, dass eine Zwischendecke über der Küche bei einem Feuer nach 30 Minuten einstürzen würde, die Decke über dem Stadtsaal nach 60 Minuten, ob die unteren Stockwerke diese Last tragen könnten, ist fraglich. Eine theoretische Gefahr zwar, doch der Saal hat keine Brandmeldeanlage. Wenn es einmal brennt, kann die Theorie zur tödlichen Katastrophe werden.

    In Küche und Stadtsaal schlug früher das Herz des Tanzhauses. Zumindest im Saal tut es das immer noch, wenn auch nur noch schwach und langsam. Die aufgereihten Stühle und Tische mit einzelnen Mikrofonen darauf zeugen davon. Seit Beginn der Corona-Pandemie tagt der Stadtrat hier, der Raum ist groß genug, um Abstände einzuhalten. Und weil zwischendurch niemand vorbeikommt, kann die Bestuhlung einfach so stehen bleiben.

    Bei jeder Sitzung ist eine Sicherheitswache von der Feuerwehr da, stellt sicher, dass nichts passieren kann. Früher hatten hier mal 700 Menschen Platz, sie feierten, versammelten sich und ließen es sich gut gehen. Heute ist das Tanzhaus ein verwaistes Gebäude, einst Treffpunkt der Donauwörther Stadtgesellschaft. So wie im Restaurant etwa, das man durch den Stadtsaal über die Empore erreicht – doch in dem seit Jahren niemand mehr gegessen hat.

    Von der Gastwirtschaft im Tanzhaus-Restaurant ist gelagertes Geschirr übrig.
    Von der Gastwirtschaft im Tanzhaus-Restaurant ist gelagertes Geschirr übrig. Foto: Christof Paulus

    Tanzhaus-Restaurant hatte mit mehreren Problemen zu kämpfen

    Feinkosthändler Kleinle berichtet: „Natürlich war ich dort auch zum Essen.“ Die Wirtschaft sei bekannt gewesen in der Stadt, doch auch die Probleme, mit denen sie zu kämpfen hatte: Wechselnde Pächter etwa. Und es sei ein Nachteil für die Gastronomie gewesen, nicht im Erdgeschoss zu sein. Tatsächlich erwies sich als Makel, dass für die Gäste im Freien kein Platz war.

    In der Küche stapeln sich Pfannen auf einem Schrank, die Flecken sind im Metall der Küchenmöbel tief verwachsen. Ein Besen lehnt an der Wand, die zerschellte Tasse auf dem Boden hat er bis heute nicht aufgekehrt. Es fällt nichts ins Auge, was dieser Küche fehlen könnte. Außer ein wenig Ordnung vielleicht. Und Menschen natürlich, die kochen, doch die braucht es nicht, niemand ist da, der etwas essen möchte. Auch der Gastraum ist ein Geisterraum geworden. Kein Spuk, sondern Spinnen weben ungestört ihre Fäden an den Sitzbänken, auf denen früher geredet und geschlemmt wurde. Wägen und Stuhlstapel stehen im Raum verteilt, auf den Tischen türmt sich das abgestellte Geschirr. Wer hier Gäste empfangen wollte, müsste erst einmal mit putzen und aufräumen anfangen.

    „Das Schlimmste, was einer Stadt passieren kann, ist Leerstand“, sagt Kleinle. Das tote Tanzhaus schmerze ihn, erzählt er. Zu lange dauere es schon, ohne dass etwas passiert: Abriss, Umbau – das ist ihm fast egal. Aber als leere Hülle stehen bleiben dürfe das Haus nicht. Kosten wirft das Tanzhaus weiter ab. 34.000 Euro kalkuliert die Stadt für das laufende Jahr ein, für Heizung, Strom, Versicherungen oder Grundsteuer. „Auch bei weitgehendem Leerstand muss beheizt werden“, teilt das Rathaus mit.

    Donauwörth fehlt ein Raum für gesellschaftliche Ereignisse

    Als Gebäude für „größere gesellschaftliche oder kulturelle Ereignisse“ hatte der damalige Bürgermeister Alfred Böswald, in dessen erste Amtszeit der Neubau zu Beginn der Siebziger fiel, das Tanzhaus in einer Schrift damals bezeichnet. Donauwörth fehle es daran, argumentierte Böswald. So verliere die Stadt „auf Dauer Wesentliches vom städtischen Charakter“. Der Stadtsaal erfüllte diesen Zweck, jahrzehntelang. Die Bühne, deren Vorhang den Blick auf den Saal verdeckt, die Kronleuchter, die wie kein anderes Element den festlichen Charakter des Saales vermitteln, zeugen davon. Doch ein historischer Prunksaal ist der Raum nicht: Auf den Holzwänden gibt es keine Verzierungen, an den schlichten Fenstern hängen senffarbene Vorhänge.

    So lange die Tradition des Tanzhauses ist, dessen erster Vorgänger 1383 errichtet wurde, so verhältnismäßig jung ist das Gebäude, um das es heute geht. Niedergebombt im Zweiten Weltkrieg wurde es erst fast 30 Jahre später wieder aufgebaut, mit einer Fassade, die an die Hochzeit Donauwörths als freie Reichsstadt erinnert und einem Innenleben, das genau so aussieht, wie man sich ein Gebäude aus den Siebzigern vorstellt. Das wird auch dann deutlich, wenn man in das Stockwerk über dem Stadtsaal geht.

    Dort waren früher Büros und sind heute Brachen. Die Türschilder sehen aus wie mit der Schreibmaschine beschriftet, als sei der letzte Auszug nicht Jahre, sondern Jahrzehnte her. An manchen Stellen gibt es verblasste Fliesen an den Wänden, viele Flächen sind einfarbig, praktisch statt ästhetisch eben, Anflüge von Brutalismus lassen sich nicht verleugnen. Die Spuren an Wänden und Böden zeugen davon, wie Kabel herausgerissen wurden, manche liegen noch herum. Wer zu den Büros will, muss an einem kleinen Haufen Schutt vorbei, der am Fuß der Treppe nach ganz oben liegt.

    Verfolgen Sie hier die Debatte um das Tanzhaus in Donauwörth

    Dort befand sich früher das Archäologische Museum, wer heute hinauf will, muss erst über den Schutt steigen und dann auf jeder Treppenstufe aufpassen, nicht umzuknicken: Aus den Steinen sind Stücke herausgebrochen, mal so groß wie ein Fuß, mal fehlt nur eine Ecke. Die Glaskästen im Museum sind noch da, ein altes Bild der Stadt Donauwörth ebenso. Doch die Ausstellungsstücke fehlen, statt uralten Fundstücken liegt ein Besen und eine Tüte Papierrollen auf dem Boden. Der Weg hier hinauf ist wacklig, es gibt keinen Grund, ihn gehen zu wollen. So prächtig das Tanzhaus von außen ist: Innen wirkt es wie ein vergessener Ort.

    Wie es wieder zu einem Treffpunkt der Donauwörther werden kann, das will die Stadt nun klären. So bleiben kann es nicht, da scheinen sich alle einig. Das Leben soll ins Tanzhaus zurückkehren. Nur wann? Und wie?

    Lesen Sie auch:

    Tanzhaus: Donauwörther Stadträte fordern maximale Transparenz

    Tanzhaus in Donauwörth: OB Sorré reagiert auf Vorwurf der Intransparenz

    Leserumfrage: Bürger sollen über das Tanzhaus abstimmen

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden