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Münster/Gut Sulz: Erhard Dietl liest auf Gut Sulz (Tragisches) aus seinem Leben

Münster/Gut Sulz

Erhard Dietl liest auf Gut Sulz (Tragisches) aus seinem Leben

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    Der Autor, Liedermacher, Illustrator und Grafiker Erhard Dietl, Vater der "Olchis", zeigte sich auf Gut Sulz von einer weniger bekannten Seite. Er ließ mit seiner Autobiografie "Ein Vater wie meiner" tief in seine Kindheit blicken.
    Der Autor, Liedermacher, Illustrator und Grafiker Erhard Dietl, Vater der "Olchis", zeigte sich auf Gut Sulz von einer weniger bekannten Seite. Er ließ mit seiner Autobiografie "Ein Vater wie meiner" tief in seine Kindheit blicken. Foto: Barbara W�rmseher

    Auf der Bühne der ehemaligen Kartoffelhalle von Gut Sulz sitzt Erhard Dietl. Er singt und gibt mit den Fingern, die behutsam über die Gitarrensaiten gleiten, den Tönen einen melancholischen Klang. Es sind meist kleine, stille Momente im Leben, die er voller Achtsamkeit vertont hat und mit denen er ein Stück weit in seine Seele blicken lässt. Seine Songs der CD "Oide Buidl" stehen im besten Sinne in der Tradition bayerischer Liedermacher und lassen das Publikum mucksmäuschenstill innehalten, um die Tiefe seiner Worte zu spüren. 

    Es ist Tag sieben des Literaturfestivals Nordschwaben, und er führt an einen Schauplatz, der sich wunderbar eignet, in die leise Welt Dietls – mal heiter, mal wehmütig, dann auch schmerzlich – einzutauchen. Im rustikal-eleganten Ambiente des Veranstaltungsraums begrüßt Gutsherr Jochen Andreae. Er und seine Familie haben Stuhlreihen platziert, kleine Tischchen, um nebenbei ein Glas Wein darauf abzustellen, gemütliche Ohrensessel, die dazu einladen, sich bequem hineinzukuscheln und sich fallen zu lassen in diese ganz besondere Atmosphäre der musikalischen Lesung Erhard Dietls. 

    Eine Kindheit mit Abenteuern, aber auch mit viel Brutalität

    Er ist Autor, Illustrator, Liedermacher und als Erfinder der liebenswerten, furzenden Monsterfamilie "Olchis" in allen Kinderzimmern präsent. Doch nun hat Dietl eine weitere Rolle für sich gewählt – die des Autobiografen. In wenigen Tagen kommt sein neues Buch auf den Markt. Es geht darin um Kindheitserinnerungen mit Eltern und Schwester in Regensburg und München, es geht um Freiheit und Abenteuer mit Freunden und Schulkameraden an der Donau. Noch mehr aber geht es um Vergangenheitsbewältigung – das wird ganz offensichtlich. Denn nicht von ungefähr trägt Dietls neues Werk den Titel "Ein Vater wie meiner". 

    Fast erweckt es den Eindruck, das Buch ist ein Stück weit Therapie für den Autor, der sich darin so manches traumatische Erlebnis von der Seele schreibt. Denn er schildert jenen Vater als egomanisch, aufbrausend, auch mal betrunken, brutal und seiner Familie innerlich so seltsam fern. Daran ändert auch nicht die Tatsache, dass er geistreich sein konnte, gebildet und belesen war, als Redakteur, Fotograf und Autor wirkte, mit Geistesgrößen aus Literatur und Politik verkehrte. Erhard Dietl sagt: "Auch wenn mir mein Vater manchmal unerträglich vorkam, wollte ich glauben, dass er im Inneren ein liebevolles Herz hat. Aber da drinnen war kein Platz für uns."

    Erhard Dietl gastiert auf Gut Sulz im Rahmen des Literaturfestivals

    Erhard Dietls neues Buch ist eine Geschichte vom Suchen und Scheitern dieses Vaters, von Liebe und Vergebung, derer er als Sohn trotz allem fähig war. Da geht es um eine Prügelattacke wegen schlechter Zeugnisnoten mit nicht enden wollenden Schlägen und Tritten. Da geht es um die Hochzeitsreise seiner Eltern voller Gefühlskälte, in der der Vater ein einziges Mal in seinem Leben ehrlich ist, seiner jungen Frau sagt: "Ich hab mir's anders überlegt. So eine Ehe ist nichts für mich." Da geht es auch um ein früher übliches Züchtigungswerkzeug, das der kleine Erhard zu spüren bekommt: "Vater saß breitbeinig auf dem Stuhl, der Rohrstock sauste auf mein Hinterteil. Ich roch seinen süßlich-sauren Vatergeruch." 

    Dietls private Erlebnisse sind eingebettet in die Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland und wecken auch eigene Erinnerungen im Publikum. Wer kennt sie nicht, diese Sonntagsausflüge zu den Verwandten? Und so darf man schmunzeln über die Oma, die bei der Frau Nauschitz den Pudding heimlich in die Papierserviette einwickelt und dann in ihrer Handtasche versenkt. Jene Oma mästet auch ihre Lieben mit fetter Torte und schiebt dann noch üppige Mettwurstbrote hinterher mit der Bemerkung: "Aber sagt Bescheid, wenn es nicht reicht!"

    Wenn die Oma den Pudding in der Papierserviette in der Handtasche versenkt

    Dann ist da noch der Opa, der bei jeder Gelegenheit in Tränen ausbricht: "Wir Kinder schauten mit ihm im Fernsehen Fury und Lassie. Und immer wenn es rührend wurde, weinte der Opa schon wieder." Irgendwann im Leben Erhard Dietls taucht die Mörtl Eva auf, mit der der Vater dann – neben der Mutter – eine Ehe zu dritt führt. Und dann ist da noch die Sache mit der DDR, die Dietls Vater ob dessen Nähe zu Franz Josef Strauß als Spion anwirbt.

    Dietl holt aus und fängt auch andere Momente ein – etwa Bigotterie und Kirchenhörigkeit im Lied "Die zehn Gebote", etwa die unbeschwerten Tage mit Klassenkameraden an der Donau oder das zarte Philosophieren im Lied: "In der Früh wacht d'Sonn auf, am Abend schlaft's wieder ei. Mei Kind, des war scho gestern so und wird auch morgen wieder sei." 

    Doch immer wieder treiben ihn die Gedanken zurück zum Vater. Ihn besingt er so: "Du gehst mir net ausm Kopf, mit Gedanken schwer wie Blei. Dabei bin i scho längst drüber weg, denn es is scho lang vorbei. Immer no denk i vui zu vui an di … I hob dir nix mehr zu sagn, doch des is jetzt ganz ok." 

    Schnell geht der Abend vorbei. Die Begegnung mit dem Autor Erhard Dietl aber hallt nach. Wie auch der üppig gespendete Applaus, den Dietl gerne hört. Denn er ist – wie er bekennt – "mein absolutes Lieblingsgeräusch".

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