Es gibt diese magischen Momente – manchmal unerwartet, manchmal erhofft. Und treten sie dann ein, ist man fasziniert und unendlich dankbar. Es kommt gar nicht darauf an, wo sie geschehen, es braucht gar kein besonderes Ambiente, weder Schloss noch Rokokosaal: Es genügt eine einfache Schulaula. Dieser Abend war eh ein kleines Pfingstwunder in der Antonius-von-Stei-chele-Schule in Mertingen. Sowohl bezüglich der unerwartet vielen Besucher wie des Programms: Ein zauberhaft schöner Abend. Das Programm mit Liedern und Sonatinen ließ die Schönheit klassischer Musik unmittelbar erspüren, man konnte in darin rückhaltlos schwelgen.
Mertingen hat klassischen Liedgesang in jahrzehntelanger Arbeit in der Region wieder heimisch gemacht, hat sich längstens vom belächelten Schmuddelkind zum gar nicht mehr heimlichen Mekka entwickelt. Es passte alles zusammen – obwohl Sängerin Monika Abel-Lazar mit einer Erkältung kämpfte, meisterte sie ein wunderbares Programm bravourös. Mit der Münchner Pianistin und Hochschullehrerin Kathrin Isabelle Klein sowie der Hannoveraner Klarinettistin und Mitglied der NDR-Radiophilharmonie Susanne Geuer, bildete sie ein Traumteam.
Ein Hirte erzählt von seinem Sehnen
Nicht nur die Interpretinnen klangen hinreißend – das Programm, das sich der Beziehung des Menschen zur Natur annahm, war ungemein ansprechend. Mit der Erzähl- Ballade „Der Hirt auf dem Felsen“, von Franz Schubert (einen Monat vor seinem frühen Tod vollendet) begann der verführerische Abend.
Alles, was Schuberts Liedschaffen so unvergleichlich macht, kulminiert in dieser stimmungsvollen Opernszene. Der Text aus drei Gedichten zusammengefügt: In drei Abschnitten erzählt ein Hirte von seinem Sehnen nach seiner Liebsten. Ein zärtliches Vorspiel von Klavier und Klarinette, das wiegende, elegische klavierbegleitete Duett von Hirt und seiner Schalmei (Klarinette) singt vom „Widerhall“, im Klarinettenecho spiegelt sich sehnsuchtsvolle Zärtlichkeit. „Im tiefen Gram verzehr ich mich“ – der resignative Mittelteil endet in einer virtuosen Cabaletta in triumphalen B-Dur „Der Frühling will kommen, der Frühling, meine Freud“.
Abels Stimme klingt traumhaft schön, sie umarmt, umschmeichelt, trägt in mystische Gefühlswelten. Und jeder spürt es. Statt Richard Strauss` „letzte Blätter“ op. 10 nach Gedichten von Herrmann Gilm die „Fantasiestücke für Klarinette und Klavier“ op. 73 von Robert Schumann – weiche, melancholische liedhafte Sequenzen in „Zart und mit Ausdruck“, freundlich zugewandt in „Lebhaft leicht“, zerrissen in „Rasch und mit Feuer“ mit hinreißender Intensität folgen. Pianistin Klein und Klarinettistin Geuer leben Schumanns Innerlichkeit.
In den langsamen Sequenzen erschließt sich ein Paradies
Mit Gustav Mahlers bissiger „sinfonischer Humoreske“, exemplarisch für die Epoche des Fin de siècle, „Das himmlische Leben" aus „Des Knaben Wunderhorn", noch einmal der ganze verführerische Zauber von Abels Stimme, im vierten Satz aus Mahlers vierter Sinfonie, dem Orchesterlied für Solo-Sopran. Die Sinfonie, ein Gleichnis auf ein Leben nach dem Tod: Ein von prallen Bildern überquellendes Gemälde von Peter Brueghel tut sich auf. Engel spielen Wolkenhüpfen, die Heiligen aktiv im himmlischen Haushalt, Herodes schlachtet mit dem Heiligen Johannes ein Lamm, Petrus bewacht den Weinkeller – kein Jenseits, sondern eine sehr irdische Travestie, subtil ausgestattet! Narrenschellen klingeln, aber in den langsamen Sequenzen erschließt sich das Paradies.
Riesenbegeisterung dann bei den Nonsense-„Morgensternliedern“, vertont von Mátyás Seiber für Sopran und Klarinette: „Die Trichter“, von hüpfenden Klarinettenklängen begleitet, „Das Knie“ bis zum „Nasobem“ – letzteres hat es in die Lexigrafie geschafft. Da kichert das Publikum begeistert mit.
Quirlige Lebensfreude durchströmt den Konzertsaal
Johannes Brahms „Mainacht“ und Benjamin Brittens „On this Island“ op. 11 werden durch Francis Poulencs „Sonate für Klarinette und Klavier in B-Dur ersetzt. Überraschend unterhaltsam, fast neckisch beginnend, kurzzeitig übergehend in ruhigen Verlauf, im zweiten Satz raffiniert, gelassen und ruhig – im dritten Satz gibt sie mit musikalischen Scherzen quirliger Lebensfreude Raum. Anklänge an Klezmer, an Tanzmusik gar. Klein und Geuer spielen hochkultiviert, technisch brillant, mit mitreißendem Feuer.
Dann Richard Strauss` Lieder, geschrieben für seine Frau Pauline de Ahna, eine berühmte Sopranistin, und anspruchsvoll zu singen: „Zueignung“, „Nichts“, „Die Nacht“, „Die Georgine“, „Geduld“, „Die Verschwiegenen“, „Die Zeitlose“ bis zu „Allerseelen“ verführerische, meisterliche Sangeskunst. Noch einmal zärtliches Umschmeicheln – nach langem, begeistertem Beifall als Zugabe von Massenet die „Elegie“. Ein Abend, der bleibt, so zauberschön ...