Der Morgen wirkt ruhig – bis plötzlich ein schriller Alarm die leise Hintergrundmusik durchbricht. Es ist Freitag, 8.47 Uhr: Auf der Rettungswache des Bayerischen Roten Kreuzes herrscht schlagartig hektische Betriebsamkeit. Notfallsanitäter Christian Mayr und Johannes Feistle springen auf, das Adrenalin schießt hoch. Nun beginnt der Wettlauf gegen die Zeit – daran erinnert auch das Vibrieren des Funkgeräts am Gürtel, das zur Eile drängt. „Vermutlich eine Nierenkolik“, murmelt Christian, während er hastig zur Jacke greift. Wenige Minuten später rast der Rettungswagen mit aufheulendem Martinshorn durch die Straßen. Was erwartet die Sanitäter vor Ort und wie wird dieser Einsatz verlaufen? Ein Tag mit Menschen, die täglich Leben retten.
In nur sechs Minuten erreichen Christian und Johannes den Einsatzort, wo bereits eine Menschenmenge wartet. Unter ihnen: Notfallarzt Dr. Marx. Eine Frau liegt und windet sich vor Schmerzen. Während Dr. Marx Symptome abfragt und einen Zugang legt, bringt Christian die Trage – mit Spuckbeutel und Decke. Gemeinsam heben sie die Patientin auf die Liege und bringen sie in den Wagen. Feistle erklärt: „Wir fahren sie jetzt ins Krankenhaus nach Donauwörth“, während Christian sich ans Steuer setzt.
Auf der Fahrt spricht Johannes der Kranken zu, kontrolliert ihre Krankenkassenkarte, dokumentiert den Einsatz auf seinem Tablet und informiert die Notaufnahme – eine wahre Multitasking-Aufgabe. Dennoch: Jede Bewegung des 33-Jährigen ist ruhig und routiniert. Bei ihrer Ankunft stehen bereits Ärzte und Pfleger bereit, um die Patientin zu empfangen. Dort endet der erste Einsatz der Notfallsanitäter.
Notfallsanitäter im Einsatz: Jeder Handgriff muss sitzen
Feistle und Mayr stehen schon mehr als zwei Stunden im Dienst. Pünktlich um sechs Uhr beginnt ihre Frühschicht. Wie bereiten sich die Notfallsanitäter darauf vor, Leben zu retten? „Zuerst überprüfen wir unsere Ausrüstung“, erklärt der 47-jährige Christian Mayr und greift zur täglichen Checkliste. Die Dokumentation – sie nimmt einen großen Teil ihres Arbeitsalltags ein. „Oft bleibt weniger Zeit für den Patienten“, so Feistle. Schmerzmittel? Genügend vorhanden. Sauerstoffflasche? Ausreichend befüllt. Das EKG? Blinkt, piepst und ist einsatzbereit. „Bei uns pfeift und piepst alles“, scherzt Johannes, während Christian zwei schwere Koffer zur Kontrolle hervorholt: einen blauen für die Atemwegsicherung und einen roten zur Stabilisierung des Kreislaufs. Beide Koffer sind essenziell für den täglichen Einsatz – und wiegen einige Kilogramm.
Acht Stunden Arbeit stehen den beiden bevor. In jeder Sekunde mit dabei – die ständige Alarmbereitschaft. Der Druck ist hoch. Beide Männer sind Teil von rund 6200 Einsatzkräfte, die für das Rote Kreuz in Bayern (BRK) arbeiten. Neben Organisationen wie die Johanniter oder der Malteser-Hilfsdienst betreibt das BRK rund 80 Prozent des Rettungsdienstes in Bayern. „Notrufe landen zuerst bei der Zentrale, wo Mitarbeiter den Patienten fragen, was passiert ist und wo er sich befinden“, erklärt Mayr. Diese Leitstelle funke dann die wichtigsten Informationen an den Wagen, der dem Patienten am nächsten ist – und schickt die Einsatzkräfte los.
„Es ist ein schönes Gefühl, im Einsatz alles zu geben“
9.18 Uhr: Johannes und Christian eilen zum nächsten Einsatz. Für eine Rückkehr zur Wache bleibt keine Zeit. „Wir fahren zu einer Wohnungsöffnung“, erklärt Johannes. Ein Patient benötigt Hilfe, kann jedoch nicht erreicht werden. Mehr wissen sie nicht. Beim Eintreffen sind Feuerwehrkräfte aus Donauwörth bereits vor Ort, um den Sanitätern Zugang zu verschaffen. „Wir arbeiten oft parallel mit anderen Einsatzkräften zusammen und haben ein gutes Verhältnis“, so Feistle. Eine Frau ist in ihrem Zimmer gestürzt, die Tür ist verriegelt. Ihre Familie erwartet die Helfer schon besorgt.
Mit einem Brecheisen wird die Tür geöffnet, Holzsplitter verteilen sich am Boden. Endlich erreichen die Sanitäter die Patientin, die hilflos auf dem Boden liegt und sich die Hände vors Gesicht hält. Schnell und routiniert stellen beide die Erstversorgung sicher und entscheiden: Sie muss nicht ins Krankenhaus – steht allerdings unter Schock. Während sich die Angehörigen aufgelöst um die Gestürzte sorgen, gelingt es den Sanitätern, mit Ruhe und Professionalität, die chaotische Atmosphäre zu beruhigen. Christian hält die Hand der zitternden Frau und redet sanft auf sie ein.
„Wir prüfen immer genau, ob wir den Patienten mitnehmen oder nicht“, sagt Feistle, während es zurück auf die Wache geht. Seit elf Jahren ist der Sanitäter aus Bäumenheim im Rettungsdienst und bildet selbst junge Menschen aus. „Ich könnte mir einen Bürojob nicht vorstellen. Es ist ein schönes Gefühl, im Einsatz alles zu geben und sein Wissen anwenden zu können“, schwärmt er. Insgesamt habe er schon an die 8000 Einsätze gefahren. Auch für Mayr ist der Beruf eine Berufung. „In meiner militärischen Ausbildung damals wurde ich als Sani eingeteilt. Das hat mir so gut gefallen, dass ich im Zivilen weiter gemacht habe. Man weiß nicht, was einen erwartet, jeder Tag ist anders“.
Was beide in ihrer Laufbahn bemerkten: Seit einigen Jahren steigt die Zahl der „Bagatell-Einsätze“, wie Feistle es nennt. „Die Leute werden gefühlt immer hilfloser“. Aber auch die Strukturen verschärften die Situation: „Es gibt immer weniger Anlaufstellen und weniger Personal. Patienten rät man, sich an die 116 117 zu wenden, doch oft kommt man nicht einmal durch“. Vielen Patienten bliebe aus Verzweiflung nur noch die 112.
An diesem Freitag folgen noch zwei weitere Einsätze, dann ist um 14 Uhr Schluss und die Spätschicht übernimmt. Doch schon bald steht Feistle und Mayr die nächste Acht-Stundenschicht bevor.
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