Die Medaille hat stets zwei Seiten – und so manches gesellschaftliche Phänomen auch. Die gute Nachricht: Die Menschen im Landkreis Donau-Ries werden immer älter – was aber andererseits heißt, dass es auch mehr Jüngere geben müsste. Denn, kurz gesagt, das ist der Deal im Sozialstaat: Die Jüngeren kümmern sich um die Senioren. Genau daran hapert es. "Der Generationenvertrag kann nicht mehr erfüllt werden", fasste der christsoziale Kreisrat Gottfried Hänsel die womöglich bald schon prekäre Situation zusammen. Es ist fünf vor zwölf in puncto Demografie im Kreis Donau-Ries, könnte man nüchtern bilanzieren, folgt man den jüngsten Analysen im Sozialausschuss des Landkreises.
Magdalena Blumenfelder und Doris Rudolf haben dieDonauwörth, dass der Prozentsatz der Älteren, sprich: der über 65-Jährigen, merklich steigen wird. Heuer sind 21 Prozent in dieser Altersstufe, 2042 werden es wohl 27 Prozent sein – oder, in konkreten Zahlen ausgedrückt, 38.000 statt 28.000 Seniorinnen und Senioren. Parallel nimmt der sogenannte Altersbaum nach unten hin ab, er wird zu den jüngeren Altersstufen hin merklich dünner.
genau unter die Lupe genommen. Die beiden Expertinnen vom Institut Afa (Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Altersforschung) schauten sich die Bevölkerungsstruktur in den vergangenen Jahren sowie deren Entwicklung an und trafen anhand von Wahrscheinlichkeitsrechnungen Prognosen. Im Gegensatz zu früheren Aussagen berechneten Blumenfelder und Rudolf ein leichtes Wachstum der Landkreisbevölkerung bis zum Jahr 2042: von aktuell gut 137.000 Einwohnern auf dann 140.000. Klar sei aber auch, so resümierte Blumenfelder vor den Mitgliedern des Sozialausschusses inRealistische Bestandsaufnahme der Donau-Rieser Demografie
Diese Entwicklung ist zunächst einmal eine realistische Bestandsaufnahme – aber sie ist auch ein Weckruf zur Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur in der Region. Im Behördendeutsch heißt das, dass das sogenannte Seniorenpolitische Gesamtkonzept fortgeschrieben werden muss. Die Landkreise und kreisfreien Städte sind nach Artikel 69 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) verpflichtet, solche integrativen regionalen Konzepte zu entwickeln. Jenes Gesamtkonzept basiert auf einer Bestandsanalyse sowie auf Prognosen, welche Herausforderungen sich für die hiesigen Kommunen in Zukunft ergeben werden, um diesen aktiv zu begegnen. Damit sollen zudem "passgenaue Unterstützungsstrukturen vor Ort" geschaffen werden. Im Jahr 2010 wurde das erste Mal für den Landkreis Donau-Ries ein Seniorenpolitisches Gesamtkonzept erarbeitet. Seitdem, so Landrat Stefan Rößle, habe der Kreis seine Infrastrukturen sowohl für Senioren als auch für Menschen mit Behinderungen sukzessive ausgebaut: "Trotz langer Diskussionen haben wir uns im Kreis Donau-Ries entschieden, Stellen für Ansprechpartner zu schaffen." Beratungsangebote in der Kreisbehörde, Foren, regionale Netzwerke – das sind die bisherigen Pfeiler. Doch es braucht mehr.
Die Expertinnen Blumenfelder und Rudolf bestätigten, dass der Landkreis auf dem richtigen Weg sei: Die älteren Menschen und deren Angehörige bräuchten Ansprechpartner vor Ort, Informationen, konkrete Handlungsempfehlungen, gleich, ob es sich um die Themenbereiche Pflege oder Behinderung handele. Auf diesem Weg müsse der Landkreis bleiben, möchte man hier nicht kalt vom demografischen Wandel erwischt werden. Es brauche Pflegeforen, den Aufbau von "Kümmererstrukturen" in den Kommunen, Quartierskonzepte (etwa über "Gute-Pflege-Lotsen"), kommunale Seniorenvertretungen und -beiräte sowie die Einrichtung von Nachbarschaftshilfen.
Infrastruktur für Senioren – da muss noch einiges kommen
In Sachen Infrastruktur, vor allem in Bezug auf konkrete direkte Hilfen (etwa: Tagespflegeplätze), gälte es allerdings, auch gerade seitens der Kommunen einiges auf den Weg zu bringen: Schaffung von Barrierefreiheit (auch im halböffentlichen Raum), die Ausweitung öffentlich zugänglicher und barrierefreier Toiletten, Hitzeschutz, Sicherung der Nahversorgung, alternative Mobilitätsangebote (Fahr- und Begleitdienste), Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr – und, ganz besonders: leistbaren, altersgerechten Wohnraum. Klar scheint dabei: Weder können Hilfen allein durch das Ehrenamt leisten, noch können sämtliche Aufgaben von Hauptamtlichen geleistet werden. Wichtig seien stets konkrete Hilfen vor Ort und konkrete Ansprechpartnerin der Region – erst recht im Falle einer Behinderung: "Hier sind die Menschen oft plötzlich mit der neuen Situation konfrontiert."
Ein Zukunftsthema bildet das Wohnen im Alter – ob gemeinschaftsorientierte Wohnformen oder generell die Schaffung von Wohnangeboten für ältere Menschen (auch mit Behinderung), hier steht man vielerorts noch am Anfang. Der Wemdinger Kreisrat Gottfried Hänsel unterstrich, dass der Generationenvertrag nach derzeitigem Stand kaum mehr erfüllbar sei; viele Jüngere wohnten nicht mehr in der Nähe der Eltern. Der demografische Wandel mitsamt seinen Konsequenzen sei daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Infrastruktur, Personal, Pflegeplätze – es gebe hierbei noch enorm viel zu tun in.
Fachkräftemangel in der Pflege im Donau-Ries-Kreis
Und über allem schwebt das Damoklesschwert des Fachkräftemangels. "Es sind sehr große Aufgaben und Herausforderungen, die sich uns stellen", fasste Landrat Rößle zusammen. Hierbei gelte es auch, die Wichtigkeit der Familie für das Ziel "ambulant statt stationär" zu unterstreichen. Rößle sieht den Landkreis weiterhin als verantwortungsbewussten Akteur bei der Koordination von Hilfen, bei der Beratung und Unterstützung: "Beratung und Prävention kann enorme Folgekosten abmildern." Es ist demnach auch an den Kommunen, gemeinsam mit sozialen, privaten und kirchlichen Trägern Modelle der Hilfen im Alter zu entwickeln – und diesbezügliche Berufe attraktiv zu gestalten.