Es ist eine bittersüße Geschichte vom Leben, die Jutta Speidel an diesem frühherbstlichen Abend ins Donauwörther Zeughaus mitbringt. Eine Geschichte, die sie in samtene Worte kleidet, die ohne Bitterkeit daherkommt, ohne Hadern, indes aber voll melancholischer Betrachtung des Nichtgelebten. Voller unausgesprochenem Schmerz auch über Geschehenes, der zwischen den Zeilen mitschwingt. Und trotzdem ist es auch eine heitere Geschichte, die mit leisem Humor die Tücken des Seins augenzwinkernd kommentiert. Es ist eine schöne Geschichte mit einer tiefen, reifen Botschaft an diejenigen, die sie vernehmen können.
Allerdings ist es kein Rezept, das Leben zu leben. Es lässt die Zuhörer mit der unbeantworteten Frage zurück: Was wäre wenn man an den entscheidenden Punkten des Lebens anders gehandelt hätte? Anders handeln würde?
„Amaryllis“ ist Jutta Speidels erster Roman. Mit ihm sitzt sie nun also hier also am Lesepult auf der Bühne der Donauwörther Kulturtage, flankiert von ihrer Tochter, der Sängerin Antonia Feuerstein, und dem Pianisten Peter Rodekuhr. Die Stimme, das Gesicht der beliebten Schauspielerin aus München sind durch Filme so vertraut, dass man meint, sie zu kennen. Nicht nur OB Jürgen Sorré ist hingerissen von den Künstlern, die er freudig begrüßt.
Und dann ist der Scheinwerfer auf Jutta Speidel gerichtet. Eine schlanke Frau in bodenlangem weißen Strick-Ensemble, die mit fein nuancierter Gestik und Mimik ihre fast szenische Lesung illustriert. „Ich bin Valerie“ stellt sie ihre Protagonistin kapitelweise in ganz unterschiedlichen Lebensphasen vor. Chronologisch vom kleinen Mädchen, das die Gerüche wahrnimmt, die seine Großmutter ausdünstet, das den verkehrsregelnden Schutzmann mit nahezu tänzerischer Choreografie beschreibt, bis hin zur reifen Frau, die die hinter sich liegenden Jahrzehnte reflektiert. 130 Besucherinnen und Besucher hängen Jutta Speidel andächtig an den Lippen, lassen sich von ihr nur zu gerne in Valeries Geschichte mitnehmen.
Sie begleiten sie nach Jesolo inmitten eines vollgestopften Familienautos, in dem die Mutter den Spirituskocher zwischen den Beinen platziert, hören von den Pobacken des schnorchelnden Vaters, die aus dem Wasser ragen, erfahren vom Beginn ihrer großen Liebe mit dem schwyzerdütsch sprechenden Lorenzo. Jutta Speidel wechselt Tonarten und Klangfarben der unterschiedlichen Stimmen genauso geschmeidig wie die Dialekte ihrer Personen. Lebhaft und temperamentvoll malt sie mit Worten die Lebensgeschichte jener Valerie.
Jutta Speidel sagt: „Sei ganz du selbst, sei dein Geschenk!“
Nach Jahren der verblassenden Erinnerungen an Lorenzo kreuzen sich ihre Wege erneut und die gemeinsame Liebe zum Zirkus, zum Clowntheater gibt ihnen eine besondere Verbindung. Sie sind ein Paar das gemeinsame Schicksalsschläge wie den Verlust des ungeborenen Babys verbinden, das miteinander lebt und in dessen Partnerschaft Valerie fast selbstverständlich ins zweite Glied tritt. Sie steckt ihre Leidenschaft Clownin zu sein, zurück, um Lorenzo groß werden zu lassen, um ihm den Rücken zu stärken. „Ich begreife, dass immer alles möglich ist, wenn man nur bereit ist, es anzunehmen“, sagt Valerie. Sie sagt aber auch: „Sei ganz du selbst, genieße deinen Zauber, sei dein Geschenk!“
Valeries großer Augenblick kommt, als Lorenzo kurz vor dem grandiosen Moment des Auftritts beim Zirkusfestival in Monte Carlo krank wird und sie statt seiner ins Clowns-Kostüm schlüpft. Nun darf sie ihren Traum leben. Spät - aber nicht zu spät.
Wo die Worte Pause machen, setzt die Musik ein. Geschmeidig ergänzen sich Text, Gesang und Klavierbegleitung zu einer intuitiv spürbar, wunderbaren Einheit. Chansons und Filmmusik nehmen die situativen Stimmungen von Valeries Geschichte sensibel auf und geben sie in ihrer Sprache der Töne wieder. Peter Rodekuhr greift als Liedbegleiter sensibel in die Tasten, wenn er nicht selbst singt. Vor allem aber interpretiert mit hellem, klaren Timbre Antonia Feuerstein unter anderem aus Fellinis Film „Otto e mezzo“ (Achteinhalb), Edith Piafs „Mon manege a moi“ oder Burt Bacharachs „A house is not a home“. Leidenschaftlich, tief in den Charakter der Songs versunken, fühlt sich Jutta Speidels Tochter spürbar in die Lieder ein. Es ist eine Inszenierung wie aus einem Guss - ein flüssiger Dialog zwischen Erzählung und Musik.
Am Ende der Geschichte bleibt etwas Melancholie stehen. Nichts, womit man hadern müsste. Man hat auch nicht das Gefühl, dass Valerie hadert. Es ist wie es ist. Und so ist es wohl gut ...
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden