"Zeitenwende" ist ein häufig strapazierter Begriff, dem sich nicht nur die Politik bemächtigt und daraus Handlungsschritte ableitet, um Antworten auf all die Widrigkeiten und Herausforderungen zu finden, mit denen sich die Gesellschaft derzeit in oft drastischer Art und Weise konfrontiert sieht. Auch der Kreisverband der Volks- und Raiffeisenbanken im Landkreis Donau-Ries hat es so gemacht und seinen Wirtschaftstag unter das Motto "Zeitenwende: Perspektiven für morgen" gestellt. 350 Gäste aus dem öffentlichen Leben waren am Donnerstag in die Harburger Wörnitzhalle gekommen, um nicht zuletzt zwei bekannte Fernsehleute zu sehen und zu hören: den Diplom-Meteorologen Sven Plöger und den Leiter der ARD-Finanzredaktion, Markus Gürne.
Plöger machte in seinem Vortrag auf den Ernst der Lage bei Klima nachdrücklich aufmerksam. Wetterkatastrophen wie vergangenes Jahr im Ahrtal, bisher nicht gekannte Hitzewellen in Europa, längere Dürreperioden, die Erwärmung der Meere, wiederkehrende Starkregen – alles Ereignisse, die in dieser Ausprägung bisher nicht bekannt gewesen seien.
Rekordtemperatur in der Ostsee ist eine Ursache für die Flutkatastrophe im Ahrtal
Der Wetterexperte, der aus dem Rheinland stammt, jetzt in Ulm wohnt und in Nördlingen Eigentümer eines Hauses ist, verwies auf Zeitungsveröffentlichungen vom Anfang der 1990er-Jahre, in denen die Titelseiten auf die teils zu erwartenden drastischen Wetterveränderungen hingewiesen hätten: "Es ist also bereits früh davor gewarnt worden. Die Aufmerksamkeit hat sich in der Bevölkerung jedoch sehr in Grenzen gehalten, ebenso die Lernprozesse". Deshalb fällt Plögers Fazit, was die Erreichung der Klimaziele betrifft, sehr ernüchtert aus. Ablesen könne man dies deutlich an stetig ansteigenden Durchschnittstemperaturen, abschmelzenden Gletschern und Temperaturen der Ostsee von nie dagewesenen 26 Grad, die unter anderem zur Katastrophe im Ahrtal geführt hätten. Der viele Wasserdampf über der See habe sich dann an der Ahr abgeregnet.
Plöger benannte auch klar die Verursacher der Veränderungsprozesse: die Menschen. Die Gesellschaft habe die Dinge maßgeblich verändert, sicherlich nicht mit der Absicht, die Umwelt zu zerstören. Sie passierten halt. Der größte Fehler wäre allerdings, die bedenkliche Entwicklung schönzureden und keine Konsequenzen zu ziehen. Wenn weiterhin so wenig wie derzeit gegen den Klimawandel unternommen werde, komme es zu noch mehr dramatischen Folgen, ist sich Plöger sicher. Ein mögliches Szenario: "Wir werden dann vielleicht in Europa eine zehnjährige Dürrephase erleben."
Was kann jeder Einzelne tun, damit es besser wird? Der Meteorolge sieht Chancen. "Wir müssen umdenken und umsteuern. Wir haben aber nicht mehr ewig Zeit." Weniger oder keine Flugreisen, Verzicht auf Kreuzfahrten, regenerative Energien stärker nutzen – dies wären wichtige Ansätze, um dem Klima etwas Gutes zu tun.
Markus Gürne kritisiert übertriebene Bürokratie in Europa und Deutschland
Der Finanzexperte Markus Gürne referierte über die Stellung Europas in einer veränderten Weltordnung. Der gebürtige Stuttgarter, der jahrelang für die ARD als Kriegsreporter im Einsatz war, versuchte aufzuzeigen, warum Europa und nicht zuletzt Deutschland bei der Transformation der Wirtschafts- und Arbeitswelt oft hinterherhinkten: "Wir sind zu langsam, zu träge. Wir leiden an einer übertriebenen Bürokratie."
Dabei böten die Transformationsprozesse große Chancen für die Wirtschaft. Ökologie bringe Rendite, meinte Gürne. Eine Lanze brach er für manchen Eingriff des Staates in den Wirtschaftsprozess: "Es gibt ein paar Bereiche, die der Markt auf gar keinen Fall regeln sollte." Ein Beispiel sei die Hilfe für die Lufthansa. Dort habe sich der Staat massiv finanziell engagiert und das Unternehmen damit gerettet. Mittlerweile seien die Hilfen auch wieder zurückgezahlt worden. Insgesamt prognostizierte der Wirtschaftsjournalist Europa eine Zukunft mit Perspektiven. Man müsse nur die gebotenen Chancen nutzen. Woran es nicht fehle, sei Geld. Dadurch gebe es auch eine hohe Kaufkraft.
VR-Kreisvorsitzender Paul Ritter hatte zuvor die Genossenschaftsbanken als bedeutende Finanzierer des Mittelstandes bezeichnet. Wie gut der Kreisverband dastehe, machte Ritter an Zahlen aus dem vergangenen Jahr deutlich. Die drei Genossenschaftsbanken in Nördlingen, Donauwörth und Wemding hätten allein 2021 an ihre Kunden neue Kredite in Höhe von 704 Millionen Euro ausgegeben. Der hohe Vertrauensvorschuss der Kundschaft komme in der Zahl der anvertrauten Gelder zum Ausdruck: 7,7 Milliarden Euro.
Landrat Stefan Rößle hatte in seinem Grußwort auf eine aktuelle Studie des Institutes Prognos hingewiesen, in der der Landkreis Donau-Ries eine Spitzenstellung im Ranking der wirtschaftsstarken Landkreise in Deutschland einnehme. „Wir stehen in der Kategorie Top-Aufsteiger auf dem dritten Platz“, betonte Rößle nicht ohne Stolz. Das Problem sei und bleibe jedoch der Fachkräftemangel in der Region.
Harburgs Bürgermeister Christoph Schmidt sagte, die derzeitige Krise zwinge die Kommunen zu Maßnahmen, die nicht angenehm seien. Dennoch gelte es trotz aller Probleme, den Blick auf eine positive Entwicklung zu richten.