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Steigende Zahl jugendlicher Asylbewerber bringt Helfer in den Notmodus
![Zwei der vier unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber in ihrer Wohngemeinschaft in Fünfstetten. Die Betreuung ist personal- und kostenintensiv. Zwei der vier unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber in ihrer Wohngemeinschaft in Fünfstetten. Die Betreuung ist personal- und kostenintensiv.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715674498059-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Es kommen seit Monaten wieder mehr unbegleitete minderjährige Asylbewerber in den Landkreis Donau-Ries. Ein Vor-Ort-Besuch in einer Wohngemeinsaft in Fünfstetten.
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Am Tag zuvor erst ist er hier angekommen. Nennen wir ihn Sami, denn seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er stammt aus Afghanistan, bis vor einigen Monaten war dort sein Zuhause. Viel mehr weiß man hier noch nicht über ihn. 16 Jahre soll er sein, er ist ohne Eltern eingereist, mutmaßlich über die Schweizer Grenze. Jetzt steht das neue Heim in Fünfstetten. Wobei, es ist nicht direkt Fünfstetten, eher der Ortsrand. Mit Sami sind drei Landsleute hier seit Kurzem einquartiert, alle im jugendlichen Alter zwischen 16 und 18 Jahre. Sie sind vier von 50 unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern im Kreis Donau-Ries, wie junge Leute wie Sami im Amtsdeutsch heißen.
Es schneit an diesem Freitag über den Hügeln in und um Fünfstetten. Ein pappiger Schnee zwar, aber schön, wegen der dicken Flocken. Für die interessiert sich aber in diesem Moment niemand hier in dem sanierten kleinen Reihenhaus neben der Bahnlinie, mitten in dieser beschaulichen Puderzuckerlandschaft. Die Jungs, die hier wohnen, müssen ihre Sachen schnell zusammensuchen, weil bald der Bus in Richtung Donauwörth geht. Jacken, Hefte, Rucksäcke, Stifte. Eines der Highlights der Woche steht an, eine Abwechslung im manchmal drögen Alltag: der Weg zum Deutschkurs bei der Vhs.
Der Sozialarbeiter schaut an fünf Tagen vorbei in Fünfstetten
Sozialpädagoge Lukas Schaudig zahlt gerade das Taschengeld aus. Er schaut an fünf Tagen in der Woche nach der Wohngruppe, für etwa sechs Stunden täglich. Mehr ist derzeit nicht drin - aber Jugendamtsleiter Adelbert Singer ist froh, dass die jungen Leute überhaupt ein Dach über dem Kopf haben und zumindest zeitweise betreut sind. "Wenn auch nur im Notmodus", wie er sagt. Normalerweise bräuchte es fünf Vollzeitkräfte hier, 24 Stunden, sieben Tage die Woche, erklärt Singer. Aber normal sind die Zeiten nun mal nicht.
Singer drückt das alles recht sachlich-nüchtern aus, aber das täuscht. Er ist derjenige, der, wenn es sein muss, zu jeder Uhrzeit ausrückt, sollte es einem der Jungs schlecht gehen oder der Schuh irgendwo drücken. Er lebt für den Job. Jeder im Landratsamt weiß das. Anders könnte man die Arbeit, die in Singers Abteilung seit der ersten Flüchtlingskrise 2015/16 aufschlägt, auch kaum bewältigen. Das Amt ist am Limit, zweifelsohne. Sieben neue Stellen für die 70 Köpfe zählende Abteilung wurden kürzlich eingeplant. Angesichts des grassierenden Personalmangels im sozialen Sektor steht noch in den Sternen, ob jene Posten besetzt werden können. Auch die Bürokratie tue ihr übriges dazu, dass es schwierig wird, sagt Singer - aber das ist wieder ein anderes Thema.
Aktuell geht es um die grundlegenden Alltagsdinge, sagt Singer
Sozialarbeiter Schaudig ist für einen externen sozialen Träger aus Augsburg tätig. Momentan verständigen sich Schaudig und die Jugendlichen mit Händen und Füßen sowie mit dem Google-Übersetzer via Smartphone. Das kann helfen, aber es ersetzt nicht das Lernen, das mühevolle Am-Ball-Bleiben. Der 30-jährige Sozialarbeiter nimmt die Jungs aus dem Reihenhaus sprichwörtlich von Anfang an an der Hand, will heißen: Er bringt ihnen eine Alltagsstruktur bei, geht die Hauswirtschaft durch, geht mit zum Einkaufen und erkundet den "Sozialraum", wie es das Fachhochdeutsch es umschreibt, wenn man seine neue Umgebung kennenlernen und sich dort einbringen soll.
Schaudig hat einiges an Ideen. Er will die Jungs mittels Nachbarschaftshilfe beschäftigen, wenn möglich auch im Sportverein oder bei der Feuerwehr vor Ort integrieren. Und mit ihnen einer sinnvollen Leidenschaft nachgehen: Handwerken. Schaudig ist auch gelernter Zimmermann, er könnte sich vorstellen, Sami und seinen Landsleuten das Tischlern beizubringen. "Im Moment geht es aber um die ersten Alltagsdinge", erklärt der junge Mann aus Auhausen. Alltagsdinge, das sind eben jene Deutschkurse, einkaufen und all solche grundsätzlichen Sachen. Singer sagt, das mit dem Deutschlernen und der Betreuung müsse von Tag eins an klappen, man dürfe die jungen Leute bloß nicht sich selbst überlassen, "sonst ist der Zug abgefahren".
Es fehlt an Fachpersonal und Zeit für den Bereich Migration
Die Metapher ist keinesfalls aus der Luft gegriffen, denn allerorts fehlt es an Menschen, die die Zeit oder die Profession haben, sich zu kümmern um die unbegleiteten Minderjährigen aus vieler Herren Länder. "Wir improvisieren überall", erklärt Singer, und das klingt wie eine Mischung aus Realismus und Verzweiflung. Aber Singer betont auch sein Motto, ohne das er seine Arbeit hier kaum schaffen könnte, wie er meint: "Geht nicht, gibt`s nicht."
Momentan geht es hier im Landkreis auch darum, die vier jungen Leute nicht nur unterzubringen. Das Haus ist sauber, saniert, gut in Schuss, die Heizung bollert warm vor sich hin. Von der Einrichtung her versprüht es den spartanischen Charme des Rekrutentrakts einer Kaserne: Stahlrohrbett, Tisch, Spind. Das ist okay für eine dreimonatige militärische Grundausbildung, aber als Zuhause auf Jahre womöglich? Ein Sofa geht jedenfalls schon mal nicht: Brandschutzvorschriften. Die funktionieren in Deutschland, wenngleich man auf dem Gesamtsektor Migration und Integration noch riesige Fragezeichen vor sich sieht.
Singer ist nur noch wenige Wochen im Dienst, dann tritt er in den Ruhestand. Gerne geht er er nicht in dieser Zeit, in der so viele Probleme, für die er nichts kann, die aber auf seinem Schreibtisch landen, ungelöst sind. Die Zeit drängt, die Jungs verschwinden alle noch mal vor dem Spiegel im Badezimmer, bevor es nach Donauwörth geht. Wie gesagt: Die Fahrt in die Stadt ist ein Highlight.
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