Herr Riehl, Sie sprechen bei den Ereignissen des Sommers 1704 rund um Rain von der „großen Verwüstung“. Würde man ein solches Thema nicht eher mit dem Dreißigjährigen Krieg verbinden?
ADALBERT RIEHL: Sicherlich waren die Zerstörungen und die Entvölkerung zwischen 1632 und 1648 weitaus größer. Aber es wird verkannt, dass die Nordwest-Ecke des Kurfürstentums Bayern durch die Ereignisse vom Juli und August 1704 unsägliches Leid erlitten hat.
Inwiefern haben sie dieses Leid erlitten?
RIEHL: Aus strategischen Gründen wurden hier hunderte Dörfer fast völlig zerstört. Nach seiner verlorenen Schlacht am Schellenberg wartete Kurfürst Max Emanuel in seinem Lager westlich des Lechs bei Augsburg auf seine Verbündeten, die Truppen Frankreichs, die über den Schwarzwald anrückten. Auf Friedensangebote der Alliierten – Kaiser Leopold, die Engländer und ihre zahlreichen Verbündeten – ging Max Emanuel nicht ein. Bündnistreue und Machtstreben waren ihm wichtiger als das Schicksal seiner Untertanen. Mit Ansage verwüsteten die Engländer, um Max Emanuel in die Knie zu zwingen, das nordwestliche Oberbayern. Der Kurfürst sah von seinem Lager die Rauchsäulen aufsteigen
Warum befand sich Max Emanuel im damals „schwäbischen Ausland“?
RIEHL: Seine Streitmacht und sein Lager waren am 2. Juli 1704 größtenteils westlich des Lech. Nach der Niederlage am Schellenberg flüchtete man nach Süden. Dem Feind stand kampflos der Weg über den Lech offen und er setzte sich ab 9. Juli hier fest.
UND DIE GRENZFESTE RAIN?:
RIEHL: Mit einer Garnison von weniger als 500 Mann widersetzte sie sich drei Tage dem am 13. Juli begonnenen schweren Beschuss durch ein 5000-Mann-Heer. Die ganze Streitmacht, die der englische Feldherr Marlborough befehligte, umfasste rund 50.000 Soldaten, die derweil bei Staudheim und Burgheim lagerten.
Wie ging es dann weiter?
RIEHL: Am 16. Juli ergab sich die Rainer Garnison und durfte ehrenvoll ins Lager des Kurfürsten abziehen. Die Alliierten aber zogen nun über Aichach nach Friedberg, Spuren der Verwüstung insbesondere in Gempfing, Bayerdilling, Pessenburgheim, Holzheim und Baar hinterlassend. Nachdem Max Emanuel weitere Verhandlungen scheitern ließ, strömten Ende Juli 3000 Reiter von Friedberg rundum in die Dörfer bis vor die Tore Münchens und richteten vor allem durch Feuer massive Schäden an. Von Pöttmes kommend, zog das große Heer dann nochmals durch den Rainer Winkel gen Höchstädt, wo die große Schlacht geschlagen wurde.
Was wissen wir von diesen Schäden, die angerichtet wurden?
RIEHL: Es war bekannt, dass allein im Gerichtsbezirk Rain 856 Häuser und 521 Städel, dazu Mühlen, Schlösser und Kirchen der „großen Verwüstung“ zum Opfer gefallen sind. Der ganze „Rachezug“ ist durch den Schriftwechsel von Marlborough, Bücher des 18. und 19. Jahrhunderts und meterhohe Aktenberge nachvollziehbar. Die Schäden im Gerichtsbezirk Rain summierten sich auf 832.000 Gulden, das entspricht über 10.000 Jahreslöhnen eines Maurers! Was ich wohl jetzt erstmals ausgewertet habe, sind die pfarrlichen Sterbebücher, denn der einzelne Mensch interessierte die Obrigkeit und Bürokratie damals nicht. Die Sterbebücher von 19 der 23 Pfarreien (vier sind verloren gegangen oder nicht auswertbar) des früheren Rainer Sprengels lassen auf eine Übersterblichkeit von mehr als 1.000 Zivilpersonen in den zwölf Monaten nach der Schellenberg-Schlacht schließen. Und das bei deutlich weniger als 10.000 Einwohnern.
Kam also zum Brennen und Plündern noch Mord und Totschlag?
RIEHL: Anders als die marodierenden Horden des Dreißigjährigen Krieges quälten die Soldaten das Volk nicht systematisch oder mordeten im großen Stil, sondern raubten wichtige Lebensgrundlagen. So sind zumindest die Pfarrbücher zu lesen. Unsere Vorfahren starben reihenweise bis ins Frühjahr 1705 an den Entbehrungen – kein Dach über dem Kopf, Vorräte verbrannt oder geplündert, dazu ein Teil des Viehs geraubt. In Rain raffte während und unmittelbar nach der Belagerung die Ruhr 50 Menschen dahin, in Einzelfällen ist der Tod an Kriegsverletzungen festgehalten. Die 27 Toten in der Pfarrei Holzheim am 10. August geben mir allerdings ein Rätsel auf. Leider schweigen die allermeisten Sterbebücher zu den Todes-Ursachen.
info: Der Vortrag „Die große Verwüstung“ findet am Donnerstag, 24. Oktober, 19 Uhr, im Pfarrhof Gempfing statt. Anmeldungen unter Telefon 09090/1346 oder michael.hofgaertner@t-online.de. Der Eintritt ist frei. (AZ)
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