Thomas Loder hat schon so manches Vorhaben für die Deutsche Bahn verwirklicht. Nun steht der Ingenieur in Ebermergen vor der komplett eingerüsteten Brücke, auf der die Strecke Donauwörth-Nördlingen die Badgasse/Schäfgasse überquert. Das Bauwerk besteht größtenteils aus Steinquadern, von denen jeder einzelne Hunderte von Kilos wiegt. Nur 200 Meter davon entfernt überspannt ein praktisch baugleiches Viadukt die Angelgasse. Beide Brücken werden in den kommenden Wochen und Monaten restauriert. Die Baustelle birgt für Projektleiter Loder und die beteiligten Firmen noch so manche Unwägbarkeit, obwohl die Vorbereitungen bereits vor Jahren starteten. Grund: Es handelt sich um denkmalgeschützte Konstruktionen, die in ihrer Art und Dimension in Bayern und möglicherweise darüber hinaus altersmäßig einmalig sind.
Loder zufolge dürfte es sich um die betagtesten intakten Eisenbahnbrücken im Freistaat handeln: "Ich kenne keine älteren." Das Besondere: Die Relikte aus der Gründerzeit der Eisenbahn befinden sich weitgehend im Originalzustand. Soll heißen: Sie stehen noch immer so da wie vor 175 Jahren, als die Strecke zwischen Donauwörth und Nördlingen gebaut wurde. Es handelte sich um einen Abschnitt der Ludwig-Süd-Nord-Bahn. Die entstand von 1843 bis 1854 zwischen Lindau und Hof. Der erste staatliche Eisenbahnbau im damaligen Königreich Bayern verschlang riesige Summen. Zwischenzeitlich ging sogar das Geld aus.
Welch großer Aufwand betrieben wurde, zeigt sich auf dem am 15. Mai 1849 eingeweihten Teilstück im heutigen Donau-Ries-Kreis an mehreren Stellen. In Donauwörth war nicht nur ein Donauübergang (heute nicht mehr vorhanden) nötig, sondern auch ein 125 Meter langer Tunnel, durch den bis 1877 die Züge rollten und der noch immer existiert. Durch das Wörnitztal führte die Route in Richtung Harburg. Dort überquert das Gleis auf kurzer Strecke gleich viermal den Fluss. Wenigstens die Pfeiler stammen noch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
In Ebermergen schmiegt sich die Trasse an die Ausläufer der Schwäbischen Alb. Im Dorf mussten Mitte der 1840er-Jahre gleich 18 Anwesen abgerissen werden. Grund für die einschneidende Maßnahme: Es musste ein großer Damm errichtet werden, um die Täler zu überwinden, in denen der Morschbach und der Reisbach zur Wörnitz hin fließen. In die Bachauen setzten die damaligen Baumeister von 1846 bis 1848 die beiden Steinbrücken. Jede von ihnen ist etwa 47 Meter lang, 13 Meter hoch und über neun Meter breit. Die Bögen, durch die der Straßenverkehr fließt, sind circa acht Meter hoch. "Das wurde vorausschauend gebaut", merkt Thomas Loder dazu an. Der Ingenieur hat die vorhandenen Bauwerksbücher von 1934 genau studiert und zeigt sich tief beeindruckt von den Leistungen der Erbauer, die lange nicht die technischen Möglichkeiten hatten wie heute: "Wahnsinn, unglaublich."
Im Inneren der mächtigen Brücken in Ebermergen befinden sich Gewölbe
Im Vorfeld der Restaurierung bohrten Fachleute durch die Steinquader, um mit einer Kamera in das Innere der Bauwerke zu blicken. Dort bestätigte sich das, was in den Plänen dokumentiert ist: Die Brücken sind nicht massiv gebaut, sondern enthalten in ihren Widerlagern jeweils mehrere Spitzgewölbe, sind also innen zum Teil hohl. Dies stelle jetzt auch eine Herausforderung dar, so der Ingenieur, denn: "Wasser von oben hat das Mauerwerk durchfeuchtet." Deshalb müsse man nun handeln.
Von oben wurden bereits etwa zwei Meter der Brückenkonstruktionen abgenommen. Weil auch Kies und Erde entfernt werden, kommt die seit 175 Jahren unter dem Gleis verborgene Steinkonstruktion zum Vorschein. Der Bereich über den Gewölben wird zunächst mit Leichtbeton ausgegossen. Dann kommt auf die Steinmauern eine knapp 60 Zentimeter dicke Stahlbetonplatte. Damit soll zum einen das Bauwerk abgedichtet werden, zum anderen soll die Gesamtkonstruktion auf diese Weise alle jetzigen und künftigen Lasten tragen können. Der Beton soll mit Natursteinen verblendet werden. Loder: "Das soll stimmig aussehen."
An der Fassade hat der Zahn der Zeit ebenfalls genagt. So mancher Stein ist ein Stück weit zerbröselt, die Friese sind lückenhaft, aus den Fugen sprossen zunehmend Löwenzahn und Bäumchen. Hier kommt auf eine Spezialfirma einige Arbeit zu. "Das wird spannend", sagt der Bahn-Vertreter. Mit einem Laser werden laut Loder alle optischen Schäden an den Steinen erfasst und bewertet. Außerdem werden die Blöcke abgeklopft, um versteckte Risse oder Hohlräume aufzuspüren. Es gelte der Grundsatz: "Was erhalten werden kann, wird erhalten."
Die Steine, die kaputt sind, werden aus den Brücken in Ebermergen herausgenommen
Was dann kommt, gleicht der Tätigkeit von Bauhütten an alten Kirchen. Die Steine, die kaputt sind, werden herausgenommen und durch identisch gearbeitete Blöcke ersetzt. Dies erledigen Steinmetze. Da die Brücken unter Denkmalschutz stehen, sollen die neuen Steine so wenig wie möglich auffallen. Deshalb suchten die Spezialisten nach einem passenden Gestein mit möglichst gleicher Bruchfestigkeit und Farbe. Ergebnis: Das Material namens "Dietfurter Gala" von der Firma Frankenschotter aus einem Steinbruch bei Treuchtlingen passt am besten. Um der Brücke mehr Halt zu geben werden in das Mauerwerk auch sogenannte Nadelanker aus Metall eingesetzt.
Um auch "von oben" an die Brücken zu gelangen, wurden inzwischen auf einer Länge von mehreren hundert Metern die Schienen samt Schwellen und das Gleisbett entfernt. Die Bahnstrecke wird dadurch zu einer "Baustraße". Die Bauarbeiten finden nach Auskunft von Loder nach aktuellem Stand bis zum 11. September täglich statt, also auch an Sonn- und Feiertagen. Nachtarbeiten seien nicht geplant, teilt der Projektleiter mit. Die Deutsche Bahn macht keine Angaben zu den Kosten für die Maßnahme. Nach Informationen unserer Redaktion sollen es über fünf Millionen Euro sein. Darin enthalten sind auch unter anderem archäologische Ausgrabungen im Bereich von zwei landwirtschaftlichen Flächen, die vorübergehend als Lagerplätze genutzt werden. Die Bahn erneuert zudem einen Durchlass, durch den einst der künstlich angelegte Mühlbach das Gleis unterquerte. Heute verlaufen dort Ver- und Entsorgungsleitungen.
Bis zum 14. November muss die Restaurierung der beiden Brücken so weit abgeschlossen sein, dass die Züge auf der Strecke zwischen Donauwörth und Nördlingen wieder viele Jahre über die historischen Bauwerke fahren können. Die Deutsche Bahn, die sich gerade daran macht, mit Milliardensummen die marode Infrastruktur zu erneuern, wäre wohl froh, wenn auch andere Bauwerke so lange halten würden.