Früher borgten alle bei ihm: "Jetzt muss ich die anderen fragen"
In Druisheim haben Rekordmengen an Wasser Keller und Wohnungen verwüstet. Manche Menschen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Wie machen sie weiter?
Auch wenn er auf seinem Grundstück aktuell nur wenig zu bewachen hat, läuft Hund Mogli pflichtbewusst die Einfahrt entlang und bellt. In der Küche räumt Blandina Willner gerade die Schränke aus, in den Händen in blauen Latexhandschuhen hält sie einen Stabmixer. Im Nebenraum, wo einst das Wohnzimmer war, türmen sich die Habseligkeiten der Familie Willner: Gläser, Bücher, Fotos in Rahmen, Orchideen. Das Wasser hat dort die Tapeten zerfressen, die Holzmöbel aufgeweicht und den Boden ruiniert. Mehr als einen halben Meter hoch floss es durch das Erdgeschoss. "Das Hochwasser war am Sonntag mein Überraschungsgeschenk zum Geburtstag", sagt Blandina Willner bitter und steht, immer noch mit dem Stabmixer in der Hand da, inmitten von dem, was die Flut übrig gelassen hat und was sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Enkel in den nächsten Stunden aus der der Wohnung hinaus tragen wird. Das meiste davon wird im Sperrmüllcontainer landen.
Den Mertinger Ortsteil Druisheim hat am Sonntagnachmittag das Wasser heimgesucht. Es ist nicht nur über die Schmutter gekommen, sondern vor allem über die Felder von Nordendorf her, wie Feuerwehrkommandant Florian Völk erklärt. Im Nachbarort sei ein Damm gebrochen und das Wasser konnte über die Durchlässe unter der Kreisstraße nicht abfließen. Hinter dem Matthäus-Günther-Weg staute es sich daher auf. Die Feuerwehr versuchte noch, mit Sandsäcke und Schotter gegen die Fluten anzukämpfen und den steigenden Pegel abzupumpen. Als sie am Sonntagnachmittag aufgeben mussten, schwappte die Welle in die Siedlung hinein, füllte Keller auf und floss in Erdgeschosswohnungen. Weil die Häuser bereits am Samstag evakuiert worden waren, konnte Schlimmeres verhindert werden. Viele Menschen kehrten am Montag zurück und sahen, was die Flut angerichtet hatte.
Das Hochwasser zog sich aus Druisheim zurück. Die Folgen blieben
Vom Feuerwehrhaus hat sich das Hochwasser am Mittwoch bereits zurückgezogen. Bei 84 Zentimeter steht der Pegel der Schmutter an jenem Tag, am Sonntag waren es 260 Zentimeter. Dezentes geglättetes Gras an der Uferböschung erinnert an den hohen Wasserstand, der auch das Feuerwehrhaus erfasste. Feuerwehrkommandant Florian Völk hat die erste Nacht seit Samstag wieder durchschlafen können. Die vergangenen Tage war er im Dauereinsatz, dazwischen hatte er nur drei bis vier Stunden Pause. Nachdem die Hilfskräfte das Feuerwehrhaus leergesaugt hatten, pumpten sie die Keller der Druisheimer Siedlung aus. Unterstützung kam von der Feuerwehr Mertingen und vor allem von den Damen und den Angehörigen, hebt Völk hervor: "Die haben uns mit Essen und Getränken unterstützt. Es gab eine Nacht, da standen fünf bis sechs Kuchen da, die konnten wir alle gar nicht essen." Noch ein bis zwei Tage werden sie brauchen, um die Keller auszupumpen, schätzt Völk.
Auch im Keller von Andreas Heindl ist das Wasser verschwunden. Der Boden ist noch feucht, in den Räumen riecht es nach Heizöl. 3000 Liter davon hat das Technische Hilfswerk jüngst abgesaugt, nachdem die Ölbehälter im Keller vollgelaufen waren, wie Heindl erklärt. Hinüber sind eine Dusche, eine Waschmaschine, der Trockner, Kleidung von Heindl und die Sammlung von Miniatur-Lastwägen, die der Sohn in einem Kellerabteil gesammelt hatte. Auf einem Regal knapp unter der Decke stehen noch ein paar Exemplare, bis knapp dorthin reichte das Hochwasser. Den Speicher für die Photovoltaik konnte Heindl gerade noch retten. Denn am Samstagabend musste es schnell gehen, erinnert er sich. Da stand die Feuerwehr vor der Tür. "Sie haben gesagt: Pack was für dich und deinen Sohn ein und komm ins Schützenheim." Seitdem wohnen Heindl und sein Sohn bei einem guten Kumpel, Bekannte kochen für die beiden.
"Das Hochwasser in Druisheim war das i-Tüpfelchen"
Während Heindl die Hasen und die Katze retten konnte, musste er die Hühner zurücklassen. Er tritt aus dem Keller hinaus, führt durch den Garten, wo sich der Hausrat in Haufen türmt, und man hört es schon gackern. Hinter dem Gitter laufen sie, durch den aufgeweichten Boden, und sie haben überlebt: Die Hühner müssen sich wohl selbst in höhere Lagen gerettet haben, erzählt Heindl und schaut den Tieren dabei zu, wie sie aus einem Behälter Getreide picken, das er von einem Bauern im Ort geschenkt bekommen hat. "Da heißt es immer, dumme Hühner, aber das stimmt gar nicht", sagt er. Dann geht er weiter zur Garage, wo das Wasser knietief stand. Zuerst will Heindl das Haus auf die Beine bringen, schauen, dass wieder Strom fließt und er und sein Sohn in den eigenen Räumen kochen und in ihren Betten schlafen können. Erst danach will er die Garage aufräumen. "Es tut schon weh. Früher sind alle Freunde zu mir gekommen und haben sich bei mir Werkzeuge ausgeliehen, jetzt darf ich die Menschen fragen", sagt er.
Trost hat Andreas Heindl bei seiner Arbeit erfahren, wie er erzählt. "Mein Chef hat gesagt, ich soll diese Woche daheim bleiben und mich rühren, wenn ich Hilfe brauch. Das ist schön", sagt er. Denn Arbeit gebe es auch hier zuhause genug. Er blickt auf seine Garage, die noch länger warten muss, bis er sie endlich räumen wird. Vor einem Dreivierteljahr hat Andreas Heindl sich scheiden lassen. "Das war ein Schlag, aber das Hochwasser war jetzt das i-Tüpfelchen", erzählt er. Aber er habe seinen Sohn, der gebe ihm unendlich Kraft. "Mit Rückendeckung von guten Freunden und von der Arbeit kriegt man alles hin. Und hier in Druisheim hilft jeder jedem. Das war schon bei dem Hochwasser 2005 so". Dann vibriert sein Handy: Feuerwehrkommandant Völk hat ein Formular weitergeschickt, wo unkompliziert Hilfen beantragt werden können.
Blandina Willner und ihr Mann sind aktuell bei ihrem Sohn im Dorf untergebracht. Sie hoffen, dass in ihrem Haus bald wieder Strom fließt und sie die obere Etage beziehen können. Blandina Willner hält sich immer noch am Stabmixer fest. Draußen fließt die Schmutter vorbei und die Frösche quaken. Sie wohne gern hier, sagt Blandina Willner plötzlich, denn sie möge die Natur. Sie sagt das auch jetzt noch, wo sie ihre brutale, gewaltvolle Seite kennengelernt hat. Aber so sei das nun mal, sagt Willner. "Nur herumhängen und traurig sein bringt nichts. Wir machen weiter." Hund Mogli liegt auf dem Boden, denn das Parkett hat der Enkel schon herausgerissen. Er blinzelt müde hinaus aus der offenen Balkontür, wo die Natur wieder zur Ruhe gekommen ist. Auch Mogli wird weitermachen und pflichtbewusst den nächsten Besuch ankündigen.
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