Satvinder Kaur ist etwas beunruhigt seit einiger Zeit, denn sie braucht diese Wohnung. Einfach wegzuziehen oder mehr zu bezahlen, das wäre beides nicht denkbar, erzählt die 45-Jährige, die hier, in der Invalidenkaserne – im Volksmund auch "Alte Kaserne" genannt – gemeinsam mit ihrem Sohn lebt. 17 Wohnungen gibt es in dem alten, denkmalgeschützten Gemäuer aus dem frühen 18. Jahrhundert. Das Besondere: Die Wohnungen sind städtisch, die Mieten günstig. Eigentlich sollten sie verkauft werden, doch jetzt wird die Stadt doch daran festhalten. Und dennoch gibt es offene Fragen.
Die aus Indien stammende Frau bittet freundlich herein in ihr kleines Reich. Sie reicht schwarzen Tee aus der alten Heimat, bietet Platz auf dem Sofa an, während sie sich auf einen Stuhl gegenüber hinsetzt. Kaur sagt, eine andere Wohnung wäre nicht denkbar, finanziell kann sie gerade einmal die 305 Euro kalt stemmen. Kaur ist Reinigungskraft, kann aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten. Ihr Mann ist vor acht Jahren gestorben, die Kinder hat sie dann alleine großgezogen, hier, auf 75 Quadratmetern in der Invalidenkaserne. Während die Tochter schon ausgezogen ist, sie studiert Lehramt in Erlangen, wohnt ihr 18-jähriger Sohn Manpreet Singh weiterhin bei der Mutter. Er steht kurz vor dem Fachabitur an der FOS, danach will er zur Physiotherapeutenausbildung nach Ingolstadt.
Kaurs Sohn fragt sich, ob er die Mutter alleine lassen kann
Bezogen auf die Mutter hat er dabei nicht das beste Gefühl: Kann er sie alleine lassen? Kann sie die Wohnung halten? Was ist, wenn der Wohngeldantrag nicht durchgeht? "Das alles arbeitet in mir", sagt der junge Mann. Das Beispiel von Satvinder Kaur zeigt, dass es einige Menschen gibt, die auf dem angespannten Wohnungsmarkt ohne öffentlichen oder genossenschaftlichen Wohnraum kaum eine Chance hätten.
Die Stadt Donauwörth besitzt selbst nur wenige Wohnungen. Am Donnerstagabend kündigte Oberbürgermeister Jürgen Sorré an, dass die Stadt bald einige ihrer Immobilien verkaufen wolle. Die Alte Kaserne gehört, das weiß man nun seit Ende vergangener Woche, nicht mehr dazu. Ein gutes Jahr hatte man versucht, einen privaten Investor zu finden, "einen Liebhaber", wie es hieß. Offenbar gab es keinen. Vielleicht ist das nun das Glück für Menschen wie Kaur, die auf günstige Mieten angewiesen sind, für die jede Erhöhung von 30 Euro, wie zuletzt Anfang des Jahres, zu einer Belastungsprobe werden. Ein wichtiger Grund für den vormals angestrebten Verkauf war die Sanierungsbedürftigkeit der Wohnungen. Am liebsten würde die Stadt diese en bloc herrichten lassen, weshalb seit längerer Zeit auch einige der 17 Einheiten leer stehen. Doch Kaur kann nicht weg, höchstens wenn die Wohnungen im Wechsel saniert würden, sprich: Sie zöge dann in eine andere Wohnung im selben Haus, solange die eigene eine Baustelle ist. So pflegen es beispielsweise Genossenschaften zu machen. Wie es in der Alten Kaserne geschehen soll, ist bislang unklar.
Riedelsheimer: Donauwörth muss sich auch um Wohnraum kümmern
Albert Riedelsheimer und die Ratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatten stets gefordert, dass die Stadt die Alte Kaserne behalten sollte. Der Stadtrat aus Riedlingen sieht es trotz der Erleichterung über den Nichtverkauf nun ebenso kritisch, dass andere Wohnungen veräußert werden sollen. Er sagt: "Die Frage ist doch: Wo setzen wir als Stadt Prioritäten? Wir haben als Kommune eine Verantwortung gegenüber den Menschen, bei denen nun mal weniger auf dem Lohnzettel steht, die sich nichts auf dem freien Markt leisten können."
Oberbürgermeister Sorré hingegen sagt, die Bereitstellung von Wohnraum sei nicht originäre Kernaufgabe der Stadt; Donauwörth selbst habe ja außerhalb der Invalidenkaserne ohnehin nur noch wenige eigene Wohnungen. Der Erlös aus dem Verkauf städtischer Immobilien, die entweder leer stehen oder nicht jener Bewältigung sogenannter Kernaufgaben dienen, solle zudem dazu genutzt werden, die Alte Kaserne sanieren zu können. 5,2 Millionen Euro sind für die Invalidenkaserne heuer in den städtischen Haushalt eingestellt. Sorré betont ob des anstehenden Verkaufs anderer Immobilien: "Wir verschleudern kein Tafelsilber." In der Tat sei es im Interesse der Stadt, "ausreichend Wohnraum mit verträglichen Mieten" anzubieten, aber hierzu setze man eher auf neue Grundstückserschließungen, und in diesem Zusammenhang auch auf die Projekte der beiden hiesigen Genossenschaften.
Lange Wartelisten bei den Genossenschaften im Donau-Ries-Kreis
Riedelsheimer betont derweil, dass auch eine städtische Sanierung nicht dazu führen dürfe, dass die Bewohner nachher stärker belastet würden. Satvinder Kaur sagt, sie wisse nicht, woher sie mehr Geld nehmen sollte. Sie gehe arbeiten, müsse und wolle ihre Kinder unterstützen, für sie selbst bliebe schon jetzt kaum etwas. Die freundliche Frau sagt das mit einem Lächeln, nicht etwa verbittert oder anklagend. Riedelsheimer ist eigentlich Umwelt-Bürgermeister in Donauwörth, doch die sozialen Themen hätten ihn immer beschäftigt, sagt er. Er ist Sozialarbeiter, kennt die Sorgen und Nöte derer, die oftmals übersehen werden in der Gesellschaft. Er fordert in aller Deutlichkeit, mit Blick auf die seit Jahren grassierende Wohnungsnot: "Die Kommunen müssen sich verstärkt auch selbst kümmern." Es habe sich eben nicht bewahrheitet, dass der freie Markt es für alle richtet. Auch die Wartelisten der hiesigen Genossenschaften für leistbare Wohnungen sprechen Bände, Hunderte Interessenten sind darauf verzeichnet. Es stelle sich die drängende Frage, ob Kommunen und Kreise sich nicht auch wieder selbst in den Wohnungsmarkt einbringen sollten. Satvinder Kaur weiß unterdessen: Die Kaserne muss ihr Zuhause bleiben.