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Donauwörth: Neustart in Donauwörth: Was Ukrainer Sasha in seiner Heimat erlebt hat

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Neustart in Donauwörth: Was Ukrainer Sasha in seiner Heimat erlebt hat

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    In der Ausländerbehörde des Landratsamtes im Donauwörther Fuggerhaus werden die ukrainischen Flüchtlinge erfasst. Hier wird auch die Erstunterbringung geregelt.
    In der Ausländerbehörde des Landratsamtes im Donauwörther Fuggerhaus werden die ukrainischen Flüchtlinge erfasst. Hier wird auch die Erstunterbringung geregelt. Foto: Thomas Hilgendorf

    Sasha kauerte vor gut 14 Tagen noch in seinem Versteck im Haus der Großeltern. Dann trat er den Russen entgegen, bewaffnet nur mit Worten. Worten, die nicht stimmten, aber ihm den Weg in die Freiheit bahnen sollten. Am Donnerstagvormittag steht er nun im Erdgeschoss des Fuggerhauses in Donauwörth. Verschwitzt, fertig mit den Nerven, aber auch erleichtert. Er wird als einer der ersten Bewohner dabei sein bei der Neuauflage des Blumenhotels in Rain als Flüchtlingsunterkunft. Erlebt hat er viel.

    Der Ukrainer könnte der nette junge Mann aus der Nachbarschaft sein. Gut 1,90 Meter groß, kurze, braune Haare, gewinnendes Lächeln, höflich, dazu perfektes Englisch, Baseball-Cap, blaues T-Shirt mit dem Werbeaufdruck eines deutschen Elektronik-Konzerns, Bermudashorts. Den Pass mit der ukrainischen Fahne hält er in der Hand, den Rollkoffer im Schlepptau. Darin ist das, was geblieben ist von 25 Jahren Leben in der

    Sasha berichtet von Befragungen, von Folterungen in der Ukraine

    "Ich komme aus einem von den Russen besetzten Gebiet", sagt Sasha. Er stammt aus der Region Saporischschja - dort, wo Europas größtes und seit Kriegsbeginn stark umkämpftes Atomkraftwerk steht. Über Russland und Lettland sei er geflohen, nachdem Sasha sich über Monate im Haus der Großeltern versteckt gehalten hatte. Die Russen hätten stichprobenartig die Häuser und Smartphones der Menschen kontrolliert, die Bewohner - allem voran junge Männer - teils peinlichen Befragungen unterzogen. Er habe von Folterungen erfahren, sagt Sasha. Probleme habe es mitunter dann gegeben, wenn der Befragte noch keine russische Staatsbürgerschaft beantragt hatte. Sasha wollte Ukrainer bleiben. 

    Im Landratsamt in Donauwörth müssen die Flüchtlinge registriert werden.
    Im Landratsamt in Donauwörth müssen die Flüchtlinge registriert werden. Foto: Thomas Hilgendorf

    Vor Ausbruch des Krieges hatte er als IT-Spezialist in der Computerspielbranche gearbeitet. Nach dem 24. Februar ging irgendwann das Verstecken los. Bis zu diesem Sommer. Er legte sich erdachte Geschichten für die russischen Grenzer zurecht, schaffte es schließlich über Russland nach Lettland in die EU. Deutschland lautete das Ziel der Flucht. Warum

    Hier erkennt man: Verwaltung ist wichtig - sie kann auch Würde geben

    Michael Dinkelmeier und seine Kollegen in der Ausländerbehörde des Landratsamtes sind diejenigen, die daran arbeiten, dass Sasha und dessen gut 50 Landsleute, die an diesem Tag im Fuggerhaus ankommen, anständig "erstversorgt" werden. Es ist die zwölfte Buszuweisung in diesem Jahr. Etwa 1500 Ukrainerinnen und Ukrainer sind im Landkreis Donau-Ries derzeit untergebracht, davon gut 800 in privaten Wohnungen. 180 Neuankömmlinge werden nun nach Rain kommen. Ungebrochen sei der Zustrom, erklärt Dinkelmeier - zwei Wochen habe es zwar keine Zuweisungen an Flüchtlingen und Asylbewerbern gegeben, dafür seien es in dieser Woche umso mehr Menschen, die beherbergt werden müssen. An diesem Tag sind es vor allem junge Familien, die auf den Fluren der Ausländerbehörde warten, bis sie registriert werden. 

    Es ist ein seltsam anmutendes Bild. Viele Familien mit großen Rollkoffern kommen still herein, zwar sommerlich gekleidet, aber müde, die Kinder haben bunte Rucksäcke mit Comicaufdrucken umgeschnallt, ein Plüschtier oder das Handy der Mama in der Hand. Der Jüngste ist ein Jahr alt, der Älteste 63.

    Teamleiter der Ausländerbehörde in Donauwörth: "Wir laufen am Limit"

    "Wir laufen alle am Limit", sagt Dinkelmeier. Man kommt kaum mehr vor die Lage - will heißen, die Ausländerbehörden müssen von jetzt auf gleich Wohnraum für Geflüchtete besorgen, den es eigentlich gar nicht gibt - zumindest nicht auf dem Markt. Klinkenputzen bei Vermietern und Bürgermeistern, recherchieren, nachtelefonieren, begutachten, anmieten … und eigentlich reicht es dann doch nicht, weil die nächste "Zuweisung" im wahrsten Sinne des Wortes vor der Türe wartet. "Wir jonglieren täglich", sagt Dinkelmeier, auf dem als Teamleiter in der Behörde viel Verantwortung lastet - "die große Kunst ist die Koordination", der reibungslose Ablauf: vollständige Registrierung, Ausstellung der wichtigsten Dokumente, ordentliche Unterbringung. Das, was manchmal schlicht als Bürokratie verschrien ist, es zahlt sich hier aus: eine funktionierende Verwaltung. Die Menschen werden nicht sich selbst überlassen, sondern versorgt; sie bleiben keine namenlosen Flüchtlinge, sie haben hier Namen, Biografien, auch wenn das Netzwerk im Ankerzentrum Augsburg wegen einer Störung heute ausfällt und nun in Donauwörth der gesamte Verwaltungsakt mit Fotos, Fingerabdrücken und Co. an jenem Vormittag zusätzlich gemacht werden muss. Von 10 bis 15.30 Uhr dauert das Prozedere. Dann geht es weiter nach Rain. Dort werden die Koffer untersucht. Keine Waffen, keine Haustiere, nichts ansonsten Verbotenes.

    Sasha sagt, er wolle jetzt rasch Deutsch lernen. Und dann? Arbeiten in der IT-Branche, wieder Fuß fassen im neuen Land, im Frieden. Die Ukraine habe er sich dennoch nicht aus dem Kopf geschlagen, sagt er an diesem 24. August, dem Nationalfeiertag seines Landes. Der Krieg könne aber noch lange dauern, meint er. Er hat ihn jetzt hinter sich gelassen: Das Verstecken, die russischen Patrouillien, die Unsicherheit. Es möge ja paradox klingen: Er sei einerseits resigniert - bleibe aber doch hoffnungsvoll. "Tschüss", sagt er schließlich zum Abschied. Ein erstes deutsches Wort. Darauf will er aufbauen. 

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