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Bauernproteste: So abgehängt fühlen sich Menschen auf dem Land

Landkreis Donau-Ries

Nicht nur die Bauern? So abgehängt fühlen sich Menschen auf dem Land

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    Agrarminister Cem Özdemir meint, auf dem Land fühle man sich abgehängt. Tatsächlich haben die Bürger rund um Donauwörth einige Kritikpunkte - allen voran die schlechte ÖPNV-Anbindung.
    Agrarminister Cem Özdemir meint, auf dem Land fühle man sich abgehängt. Tatsächlich haben die Bürger rund um Donauwörth einige Kritikpunkte - allen voran die schlechte ÖPNV-Anbindung. Foto: Barbara Würmseher (Archivbild)

    Es ist Mittwochmorgen, kurz vor neun Uhr, als eine Kolonne von Traktoren auf der B2 entlang tuckert. Ihr Ziel: Der Augsburger Plärrer, wo an diesem Tag erneut eine Kundgebung der Landwirte angemeldet ist. Sie wollen kämpfen, wollen gesehen werden. Zumindest Letzteres gelingt: Aus der Politik kommen erste Reaktionen. So warnte etwa Bundesagrarminister Cem Özdemir gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vor einer Spaltung der Gesellschaft. "Die Menschen auf dem Land haben das Gefühl, abgehängt zu sein", sagte er. Wir haben im Kreis Donau-Ries herumgefragt: Stimmt das?

    Johannes Schachaneder ist ein eingefleischter Oberpeichinger - sozusagen ein "Eingeborener". Er stammt aus dem knapp 200-Seelen-Ortsteil von Rain und ist nach zehnjähriger Interimszeit in München bewusst zurückgekommen, um im ländlichen Raum zu leben. Als Mitglied der Feuerwehr, des Theatervereins, der Jagdgenossenschaft, als Rainer Stadtrat und als Lektor in der kleinen Dorfkirche nimmt er aktiv an der Gemeinschaft teil. Im Gegensatz zu Landwirtschaftsminister Özdemir sieht er keinen Zusammenhang zwischen den Bauernprotesten und Stadt-Land-Gefälle. Viel Bürokratie für die Landwirte und zuletzt der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, hätten die Demos ausgelöst, nicht eine zunehmend von den "Städtern" dominierte Gesellschaft.

    Vater zu schlechtem ÖPNV: Spiele oft den "Taxifahrer" für meine Kinder

    Schachaneder sieht "die vermeintlich schlechtere Position auf dem Land" differenziert. "Natürlich sind wir infrastrukturell im Hintertreffen, aber wir genießen auch erhebliche Vorteile." Der 48-Jährige spricht von "unterschiedlichen Welten". Keine sei besser als die andere - sondern schlichtweg anders. Der Oberpeichinger genießt das Freiheitsgefühl auf dem Land im Unterschied zur beengten Großstadt. Ein wichtiger Punkt fürs Landleben ist in seinen Augen das soziale Gefüge, in das man im Dorf eingebettet ist - im Gegensatz zur Anonymität einer Millionenstadt. "Das ist ein subjektives Empfinden, aber für mich überwiegt das."

    Auch in Donauwörth haben sich am Montagmittag hunderte Landwirte zum Protest zusammengefunden.
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    Im Zuge des landesweiten Protests versammeln sich auch in Donauwörth hunderte Landwirte mit ihren Traktoren und Schildern auf dem Schwabenhallenparkplatz.

    Man habe einfach andere Baustellen auf dem Land - der fehlende ÖPNV sei sicher eine davon. Der dreifache Vater fungiert oft in der Rolle des "Taxifahrers". Hinzu kämen weitere Themen wie der Breitbandausbau. Schachaneder sieht die Politik in der Pflicht, "überall gute Lebensbedingungen herzustellen".

    "Kulturkampf": Energiepolitik sorgt im Raum Donauwörth für Probleme

    Eine ähnliche Geschichte erzählt Manfred Wegele aus Tapfheim. Ebenso wie Schachaneder hat er zehn Jahre in der Stadt gelebt, jedoch nicht in München, sondern in Augsburg, ist nach dem Studium "hängengeblieben", wie er sagt. "Ich bin aber gerne wieder aufs Land gezogen", sagt er heute. Wegele bekleidet viele Ehrenämter, leitet den Heimat- und Brauchtumsverein, ist in der Ahnenforschung auf Bezirksebene aktiv und schreibt Bücher - unter anderem. 

    Doch obwohl er das Landleben nicht missen möchte, sieht er auch die Probleme. "Es ist ein Kulturkampf", sagt er. Die Politik betrachte die Probleme Deutschlands eher aus urbaner Sicht. "Aber wir auf dem Land sind bei vielen Entscheidungen benachteiligt", sagt er. In diesem Zuge spricht er unter anderem von der Energiepolitik. "Gehen Sie mal durch die Dörfer, wie viele kleine, alte Häuser Sie da sehen - wo soll man da anfangen, wenn man gleichzeitig neue Fenster, eine neue Heizung und Solarzellen auf dem Dach bräuchte?" Zumal die Rente dafür ohnehin oft nicht reiche. "In der Stadt mieten ja die meisten, die betrifft das nicht in dem Maß."

    Doch auch der Personalmangel treffe das Land härter als die Stadt. Würde hier ein Metzger oder ein Wirtshaus schließen, gebe es oft keine Alternative. Der Mangel an Unterhaltung ziehe dafür die jungen Leute in die Stadt, was wiederum starke Auswirkungen auf das örtliche Vereinsleben habe. Insbesondere die Soldaten- und Kameradschaftsvereine würden nacheinander aussterben. "Die Politiker müssten mal aufs Land kommen, sich in die Wirtschaft hocken und mit den Leuten reden."

    Daitinger Bürgermeister zu Energie: "Wir versorgen die Großstädte mit"

    Daitings Bürgermeister Roland Wildfeuer findet: "Özdemir hat nicht Unrecht. Was nutzt uns auf dem Land ein zweiter S-Bahn-Tunnel in München, in den Milliarden gesteckt werden, während wir keinen ÖPNV haben. Für dieses Geld könnte man viele Busse kaufen und deren Fahrer übertariflich bezahlen." Viele Begünstigungen, viele Vorschriften würden sich an den Bedürfnissen der Städter orientieren, findet der Gemeindechef der 800 Einwohner starken Kommune. 

    Als Beispiel nennt er das Thema Heizen. "Wir haben in Daiting viel Wald und könnten mit Abfallholz Nahwärme bedienen. Das war unser Vorhaben und 100 von 500 Haushalten im Kernort hätten sofort mitgemacht. Dann wurden die Zuschüsse gekürzt und wir konnten die Pläne aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr umsetzen." Auch bei der CO₂-Steuer- und Spritpreis-Erhöhung sei das Land benachteiligt. "Wir sind aufs Auto angewiesen. Die Städter haben ihren ÖPNV, der im Takt weniger Minuten fährt." Roland Wildfeuers Wunsch an die Politik: "Dass alles gerechter wird. Schließlich sorgen wir auf dem Land auch für die Energieversorgung, indem wir Fotovoltaik- und Windenergieparks bauen, mit denen wir die Großstädte mitversorgen. Die Städter tun das umgekehrt nicht."

    Jugendarbeiterin aus Wemding: "Junge Leute können hier nicht weggehen"

    Dem schließt sich Maren Kriegler an. Sie ist Jugendarbeiterin in Wemding. Wenn sie auf die Pinnwand blickt, auf die ihre Schützlinge ihre Wünsche schreiben dürfen, liest sie nicht selten: In die Stadt fahren. "Die jungen Leute können hier nicht weggehen, wir fahren gemeinsam nach Donauwörth, Nördlingen oder Augsburg, um shoppen zu gehen oder in ein schönes Café", erzählt sie. Dass die Jugendlichen das nicht alleine können, liege an der schlechten Infrastruktur. "Ich kenne Jugendliche, die eine Ausbildung machen und täglich von ihren Eltern mindestens zum Bahnhof gefahren werden müssen, weil es zu den Zeiten keine Anbindungen gibt." In Familien mit über 18-jährigen Kindern gebe es daher häufig genauso viele Autos wie Familienmitglieder. 

    Auch für Ausflüge im Zuge der Jugendarbeit versuche Kriegler oft, den ÖPNV zu nutzen. "Aber dann fallen Verbindungen aus oder nur manche Kinder haben ein 49-Euro-Ticket, andere können es sich nicht leisten." Da habe sie auch schon mal ihren privaten Kleinbus genutzt. "Wenn man sich anschaut, wie andere Länder das machen, da könnten wir uns auch ein Vorbild nehmen", findet sie. Gerade den ÖPNV sollten alle nutzen dürfen, im Idealfall kostenfrei. "Gleiches Recht für alle."

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