Sicher und leicht gleiten seine Hände über die Tastatur des Klaviers, ein Lied erklingt – Halleluja, die Luft vibriert. Wissend, ohne zu sehen, spielt Rainer Herteis, und entlockt dem Instrument eine einzigartige Komposition aus Tönen. Er selbst hat sich diese Melodie ausgedacht, abgeleitet aus dem von ihm gehörten Original. Der 49-jährige Pfarrvikar aus Wemding improvisiert, ständig, denn er kann keine Noten mehr lesen. Mittlerweile ist er nämlich vollkommen blind. Doch das war nicht immer so.
Tatsächlich entwickelt sich Rainer zunächst nicht anders als andere Kinder. Erst im Kindergarten fällt auf, dass der Bub sehr häufig über sein Spielzeug stolpert. Die Diagnose des Augenarztes ist hart: Retinitis pigmentosa - eine unheilbare Stoffwechselerkrankung, die die Netzhaut, die Retina, im Laufe der Zeit zerstört. Mit jedem weiteren Jahr seines Lebens verliert er vier Prozent seiner Sehkraft, bis er mit 25 Jahren offiziell als blind gilt.
Rainer Herteis kam 1975 sehend in Neumarkt auf die Welt
Als Kind spielt die Krankheit zunächst noch eine geringe Rolle – auch wenn sie ihn bereits früh prägt: Nach den ersten Versuchen auf dem Akkordeon als Sechsjähriger bei Nachbar Wolfgang Fuchs, tritt er in der fünften Klasse in das Ostendorfer Gymnasium in Neumarkt über. Als Hauptfach wählt er damals die Violine, da ihr Spiel als weniger anstrengend für die Augen gilt. Ein Irrtum - denn mit der Violine kann er sich am wenigsten anfreunden. Dennoch spielt er sie neun Jahre lang und schließt sein Abitur mit einer befriedigenden Leistung in dem Fach ab.
Mit dem Klavier dagegen ist es Liebe auf dem ersten Blick: In der achten Klasse fliegen seine Hände mühelos über die Tasten hinweg und sein Talent wird immer sichtbarer. Damit nicht genug, lernt er im nächsten Jahr mit seinem Nachbar die Gitarre kennen und lieben.
Sein Talent auf dem Klavier war offensichtlich
Seine Leidenschaft soll schließlich zum Beruf werden: 1996 beginnt er eine Ausbildung als Musiklehrer an der Berufsschule für Musik in Sulzbach-Rosenberg, die er 1999 noch abschließen wird. Doch tritt zuvor noch das für ihn wichtigste Ereignis ein.
Immer mehr wird sich Rainer Herteis mit 15 Jahren bewusst, dass er eines Tages erblinden wird. „Ich wollte einfach alles dafür tun, um wieder sehen zu können. Die Schulmedizin konnte mir nicht mehr helfen, also bat ich meine Eltern mit mir Wahlfahrtsorte zu besuchen. An diesen Orten haben bereits mehrere Pilger Heilung erfahren“, erklärt er mit bewegter Stimme.
Auch Herteis wird in Bosnien-Herzegowina in Medjugorje an Pfingsten 1996 von Gott berührt. Seine Augen werden nicht geheilt, aber schlagartig wird ihm in der Messe bewusst: Er ist zum Priester berufen. So begann für ihn mit dem Theologiestudium ein neuer Lebensabschnitt. Nach seiner Priesterweihe im Mai 2006 wird er vom Bischof in Eichstätt zunächst nach Fünfstetten versetzt, wo er die nächsten acht Jahre in der Seelsorge tätig ist. Im Seniorenheim der rüstigen Franziskanerinnen erfährt er dabei, wie viel Fröhlichkeit er mit seiner Musik verbreiten kann: Die Ordensschwestern singen und klatschen begeistert Volkslieder aus ihrer Kindheit mit. „Auch heute sehe ich immer wieder, wenn ich während meiner Seelsorge im Seniorenheim spiele, wie selbst demente Senioren beim Klang des Akkordeons plötzlich wieder lebendig werden und glücklich bekannte Lieder singen.“
Rainer Herteis aus Wemding erlernt neue Stücke rein über das Gehör
Später bittet ihn die Pfarrei in Fünfstetten, mit seinem Talent im ganzen Pfarrleben Fröhlichkeit zu verbreiten. Mittlerweile ist er nach Wemding umgezogen, doch können sich die Menschen nach wie vor an seinem Spiel erfreuen: So begleitet er beispielsweise fünf Gebetskreise, die er auch leitet, musikalisch. Auch bei der Erstkommunion springt er spontan an der Kirchenorgel ein, als der Organist sich krankmeldet.
Das Erlernen von neuen Stücken stellt für ihn dabei eine gewisse Herausforderung dar: Mit seinem feinen Gehör merkt er sich die Grundmelodien und erschafft daraus die Begleitung für das jeweilige Instrument; dabei ist jede Darbietung seiner Kunst einzigartig – er improvisiert, je nach Anlass und Stimmung.
„Wäre ich nicht blind, so hätte ich wohl nicht so gut improvisieren gelernt. Heute sehe ich in meiner Blindheit einen höheren Sinn. Was die Musik betrifft, aber auch für meinen Glauben. Ich sehe die Menschen nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen. Und bekanntlich sieht man nach dem kleinen Prinzen nur damit wirklich gut, nicht wahr?“
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