In sechs bis sieben Jahren geht die jetzige Lechbrücke zwischen Rain und Genderkingen bekanntlich in ihren Endspurt. Sie hat also – wenn alles planmäßig klappt – bald ausgedient. Denn dann wird ab 2025 nördlich davon eine neue, vierspurige Brücke gebaut, so die aktuelle zeitliche Einschätzung des Staatlichen Bauamts Augsburg. Wie mehrfach berichtet, sieht der Bundesverkehrswegeplan 2030 vor, die B 16 als bedeutende West-Ost-Achse auf 110 Kilometern zwischen Manching und Günzburg dreispurig auszubauen. Der Abschnitt zwischen Genderkingen und Burgheim gilt als Verkehrsschwerpunkt und soll deshalb sogar noch breiter werden. Seit 2017 laufen die Vorbereitungen.
Und in diese Planungen ist auch Rainer Haßfurter aus Schrobenhausen involviert – ein nach den Richtlinien des Sprengstoffgesetzes ausgebildeter Feuerwerker und Experte für Kampfmittelbeseitigung. Er hat den Auftrag des Staatlichen Bauamts Augsburg, ein besonderes Gutachten über die Umgebung der Brücke und der B 16 zwischen Burgheim und Rain zu erstellen. Ein Gutachten mit explosivem Inhalt. Denn Haßfurter kennt sich mit Sprengkörpern aller Art aus. Er soll der Behörde sagen, wo sich noch Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg befinden könnten, die derzeit als mitunter gefährliche Hinterlassenschaften der Aliierten im Untergrund schlummern.
Mit schweren Geschützen gefeuert
„Die Stadt Rain und ihre Umgebung sind ein extremes Kampfmittel-Verdachtsgebiet“, weiß Rainer Haßfurter. „Dort haben in den letzten Kriegstagen fast täglich Tiefflieger-Angriffe und heftige Artillerie-Gefechte stattgefunden.“ 1945 hatten sich, so Haßfurter, die Amerikaner bei Marxheim positioniert, von dort aus mit schweren Geschützen gefeuert – etwa den 155 Millimeter Feldhaubitzen, „Long Toms“ genannt – mit einer Reichweite von 25 Kilometern. Dann sind sie von Norden und Nordwesten her kommend nach Rain marschiert. Auch die Lech- und Donaubrücken waren massiv umkämpft und wurden schließlich von den Deutschen gesprengt.
Ein besonders schwerer Luftangriff hat sich am Ostermontag, 2. April 1945 am Rainer Bahnhof abgespielt. Der Rainer Geschichtsforscher Adalbert Riehl schildert in seinem historischen Band „Der April 1945 im östlichen Lech-Donau-Winkel nach den Berichten von Zeitzeugen“ (erschienen von 1995), was sich kurz nach 7 Uhr zugetragen hat: „Nur wenige Minuten waren vergangen, als von Osten mehrere feindliche Flugzeuge auftauchten, direkt auf den stehenden Zug zusteuerten und ihn beschossen. Die Maschinen, es waren mindestens vier (ein Zeuge spricht von acht), zogen Schleifen und beschossen aus geringer Höhe den Zivilistenzug noch mehrere Male. (...) Die beiden Zeitzeuginnen saßen in dem zweiten Waggon. Hier mischte sich in den Lärm der Flugzeuge das Schreien der Schwerverletzten ...“.
Riehls Aufzeichnungen gehören mit zu den wertvollen Quellen, die Haßfurter helfen, für sein Gutachten zu recherchieren. Literatur und Dokumente aller Art aus Archiven lassen verwertbare Rückschlüsse auf die Lage von Blindgängern zu, die auch 74 Jahre nach Kriegsende noch zahlreich da sein müssen.
Luftbilder von 1945 als Hilfsmittel
Für Haßfurters historisch-genetische Erkundung des Gebiets sind auch Luftbilder aus dem letzten Kriegsjahr 1945 unerlässliche Hilfsmittel. Er erwirbt sie unter anderem aus englischen und amerikanischen Luftbilddatenbanken. Sie sind oft aus einer Höhe von 8000 Fuß (rund 2500 Metern) geschossen. Winzig kleine Pünktchen erkennt Haßfurter darauf als Einschüsse und Bombentrichter.
Ergänzend dazu setzt er sich mit Zeitzeugen zusammen – sofern es sie noch gibt – und lässt sie erzählen. Für sein Gutachten über Rain ist es ihm gelungen mit vier ortsansässigen Bürgern zu sprechen, die noch wertvolle Erinnerungen an den Krieg haben. „Da liegt einiges im Boden“, ist seine Erkenntnis – auch aus diesen Gesprächen.
Einiges – damit meint Haßfurter Munition, die eigentlich beim Aufprall hätte explodieren sollen, es aber aus irgendeinem Grund nicht getan hat. Zwei wesentliche Erklärungen gibt es nach seiner Aussage für solche Blindgänger. Einmal die Situation, dass ein Tiefflieger so tief geflogen ist, dass die Zeit zwischen dem Abwurf der Bomben und deren Aufprall einfach zu kurz war. „Der Zünder einer Bombe hat vorne ein Windrad, das durch seinen Luftzug diesen Zünder scharf macht. Wenn die Zahl der Umdrehungen des Windrads nicht ausreicht, ist der Zünder nicht scharf.“
Gebiet mit Sonden absuchen
Solche Bomben sind dem 71-Jährigen deutlich lieber, als die andere Variante. Bei der nämlich ist der Zünder scharf, die Bombe schlug aber zu flach auf dem Boden auf, sodass der Zünder nicht aktiviert wurde. „Diese Dinger sind deutlich gefährlicher, denn sie kommen aus dem Boden raus wie neu und können jederzeit hochgehen.“ 15 Prozent aller im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Bomben sind rein statistisch gesehen Blindgänger.
Für Rain sieht Haßfurter momentan – trotz einer gewissen Gefährdungsstufe – keine Notwendigkeit, aktiv zu werden. „Aber sobald es um Bodenarbeiten geht, muss unbedingt etwas unternommen werden“, sagt er. Ehe das Staatliche Bauamt mit dem Neubau der B 16 beginnt, müssen Mitarbeiter einer Kampfmittelräumfirma die jeweiligen Gebiete mit Sonden absuchen und – wenn sie fündig werden – die Sprengkörper bergen. „Natürlich finden wir oft auch ganz andere Dinge“, erzählt Haßfurter. „Vom weggeworfenen Kochtopf über eine Badewanne bis hin zu Waffen aus dem 30-jährigen Krieg.“ Erst danach können die Bagger anrücken, in der Hoffnung, dass alles beseitigt wurde. Der Feuerwerker: „Ein Restrisiko bleibt...“