Kurz nach der Jahrtausendwende begann im Monheimer Stadtteil Wittesheim ein neues Zeitalter. 45 Bewohnerinnen und Bewohner des 200-Seelen-Dorfs sowie 20 Auswärtige beschlossen, ein Windrad zu bauen, um alternativen Strom zu erzeugen. Die Gesellschafter seien „ganz normale Leute“, blickt Hans Glaß zurück. Landwirte, Beamte, Techniker, Rentner. Manche der Gesellschafter stiegen mit 5000 Euro ein, manche mit bis zu 50.000 Euro. Im August 2002 ging der Rotor, der einen Durchmesser von 70 Meter hat, in Betrieb. Fast 38 Millionen Kilowattstunden umweltfreundlich produzierten Strom speiste die dafür gegründete Firma Erneuerbare Energien Wittesheim (EEW) bislang ins Stromnetz ein. Doch damit ist bald Schluss, wenn nicht ein (politisches) Wunder passiert. Dem Windrad, das einst rund zwei Millionen Euro kostete, droht der Abriss.
Der Ertrag des Windrads bewegt sich am unteren Rand der einstigen Prognose
Entsprechend enttäuscht, ja geradezu frustriert sind die Männer, die sich an diesem sonnigen Spätsommertag am Fuße des 98 Meter hohen Betonmasts versammeln. 17 Jahre hat es gedauert, bis die Gesellschaft die 1,1 Millionen Euro Eigenkapital verdient und den 900.000-Euro-Kredit bezahlt hat. 20 Jahre lang garantiert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) des Bunds den Wittesheimern einen Einspeise-Preis von neun Cent pro Kilowattstunde Strom. Es bleiben folglich drei Jahre, um ein paar Prozent Rendite zu erwirtschaften. Den Beteiligten war laut Glaß – er ist Geschäftsführer der EEW – klar, dass sie keine Reichtümer ansammeln würden können. Der Standort in der Monheimer Alb sei nicht so windreich. Der von einem Experten errechnete Ertrag von 1,9 bis 2,5 Millionen Kilowattstunden pro Jahr sei aber – wenn auch am unteren Rand – im Schnitt erreicht worden.
Was dem Geschäftsführer zufolge mindestens genauso wichtig ist: Die Anlage ist in der Bevölkerung akzeptiert. Viele der Investoren hätten 2002 gesagt: „Das ist eine Investition für die Zukunft meiner Kinder.“ Ein kleiner, aber nachhaltiger Beitrag für die Umwelt und den Klimaschutz. Doch die Luft wurde nach Angaben von Glaß in den vergangenen Jahren immer dünner. Die vielen neuen Auflagen hätte man noch hinnehmen können. Doch in die Gesamtkalkulation spiele auch der mögliche Abriss des Windrads mit hinein. 40.000 Euro habe die EEW dafür zurückgelegt. Vor vier Jahren habe man erfahren, es wäre eine Summe von 100.000 Euro nötig. Also erhöhten die Wittesheimer die Rücklage dafür. Doch nun der „Schock“, wie es Glaß nennt: Neueste Prognosen gehen von einem Kostenaufwand von schätzungsweise 250.000 Euro aus.
Fast die komplette Rendite würde in den Abriss des Windrads fließen
Dies bedeutet: Fast die komplette Rendite würde in den Abriss fließen: „Das wäre ein Schlag ins Gesicht.“ Die Gesellschafter hätten 2002 „etwas riskiert“, viele Firmen und Institutionen hätten in den vergangenen Jahren an dem Windrad verdient: unter anderem Wartungsunternehmen, die Telekom (600 Euro pro Jahr für den nötigen Telefonanschluss) und die Stadt über die Gewerbesteuer.
Damit nicht genug: Vor ein paar Wochen meldete sich das Hauptzollamt Augsburg. Dieses monierte, dass die EEW spätestens seit 2019 die Stromsteuer für den sogenannten Eigenstrom – das ist der Strom, der für den Betrieb der elektrischen Anlagen des Windrads verwendet wird – zu zahlen habe. Die Behörde schätzt diesen Verbrauch auf 80.000 Kilowattstunden pro Jahr. Macht eine jährliche Steuerbelastung von etwa 1600 Euro. „Das ist, als ob man im eigenen Garten Tomaten anbaut und für deren Verzehr dann Steuern zahlen muss“, verdeutlicht der Geschäftsführer. Möglicherweise werde auch noch eine EEG-Umlage von Tausenden von Euro fällig.
Dabei habe man ursprünglich fest damit gerechnet, die Anlage auch über die 20 Jahre hinaus betreiben zu können, in denen der Strompreis per Gesetz garantiert ist. Man habe den Mast bei Wittesheim vor Ort aus Beton gegossen. Damit sei die Konstruktion besonders langlebig und stabil. „Das Windrad könnte noch einmal zehn bis 15 Jahre laufen“, erklärt der Geschäftsführer. Im Zuge der Energiewende werde der „grüne Strom“ ja dringend gebraucht, vor allem nachts und im Winter, wenn die Photovoltaikanlagen nicht liefern können.
Ein Neubau eines größeren Windrads ist in Wittesheim derzeit unvorstellbar
Doch inzwischen rücke – abgesehen von den explodierenden Kosten – der Stichtag 7. August 2023 immer näher. Dann sind die 20 Jahre vorbei und die Wittesheimer wären gezwungen, ihren Strom auf dem freien Markt anzubieten. Für die wenigen Cent, die man pro Kilowattstunde erhalte, würde sich das aber aus heutiger Sicht nicht rentieren. Die Hoffnung, dass die Politik für die Windräder, die aus dem EEG fallen, eine Übergangslösung schafft, habe sich bislang nicht erfüllt. Rund 6000 Windkraft-Rotoren in Deutschland sind davon betroffen. Mancherorts werden, so berichtet Glaß, die alten Windräder abgerissen und durch neue, größere und effektivere Anlagen ersetzt. In Wittesheim sei dies aufgrund der geltenden Rahmenbedingungen – dazu gehörten die schärfere Abstandsregel (10H) und hohe Auflagen bezüglich des Artenschutzes – undenkbar. Gerade in Bayern gebe es für Windkraftanlagen kaum überwindbare Hindernisse. Genehmigungsverfahren zögen sich über Jahre hin.
Klimaschützer in Wittesheim werden ausgebremst
Damit stehen die Zeichen auf Abriss. „Es ist absurd, was wir in diesem Land treiben“, schimpfen Hans Glaß und seine Mitstreiter. Zu denen gehört Windkraft-Pionier Michael Stecher, der in Huisheim lebt, eine Firma betreibt und auf dem Hahnenkamm im angrenzenden Mittelfranken zehn Anlagen gebaut hat. Er ist auch einer der Gesellschafter in Wittesheim. Sein Kommentar: „Was den Klimaschutz betrifft, ist Deutschland der größte Bremser in Europa.“ Die Wittesheimer haben indes noch die kleine Hoffnung, dass sich politisch etwas ändert und sich das Windrad weiter dreht.