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Missbrauch im Kinderheim: So lautet die Einschätzung der Kirche zum Schlussbericht

Missbrauch im Kinderheim

So lautet die Einschätzung der Kirche zum Schlussbericht

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    Missbrauchsopfer sitzen bei einer Pressekonferenz. Vor knapp einem Jahr wurden Missbrauchsfälle aus früheren Jahrzehnten in einem Kinderheim in Donauwörth bekannt.
    Missbrauchsopfer sitzen bei einer Pressekonferenz. Vor knapp einem Jahr wurden Missbrauchsfälle aus früheren Jahrzehnten in einem Kinderheim in Donauwörth bekannt. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

    Die vom Bischof von Augsburg beauftragte unabhängige Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der Vorgänge und Vorfälle im Kinderheim Heilig Kreuz der Pädagogischen Stiftung Cassianeum in Donauwörth hat heute ihren Schlussbericht vorgelegt. Sie war im April 2018 eingerichtet worden. Ihr gehören Manfred Prexl (Vorsitzender Richter i.R. am Oberlandesgericht München), Michael Triebs (

    So lautet die Pressemittelung des Bistum Augsburg:

    Wie Richter i.R. Prexl bei der Vorstellung des 68 Seiten langen Dokuments in Augsburg betonten, sei die Arbeitsgruppe bei der Erstellung des Berichts völlig unabhängig und an keinerlei Weisung gebunden gewesen. Professor Riedl hob mit Bezug auf die Ergebnisse ihrer Recherchen hervor, keine Anhaltspunkte gefunden zu haben, dass in der Vergangenheit Archivmaterial zur Verschleierung der Straftaten bewusst entsorgt worden sei. Bei den Recherchen in verschiedenen Archiven hätte sich ein aufschlussreiches Bild der Verhältnisse im Kinderheim ergeben. „Schon die Gründungsidee des Kinderheims darf heute als fragwürdig gelten“, unterstrich sie. Professor Riedl konstatierte eine „paternalistische Grundidee der Stiftung“, es sei in dem Kinderheim um eine Erprobung privater Pädagogikkonzepte ohne externe Evaluation gegangen. Die Lebensbedingungen im Kinderheim seien über lange Zeiträume hinweg prekär gewesen. Wegen ungeeigneter Unterbringung und einem eklatanten Mangel an Nahrungsmitteln habe es in den Jahren zwischen 1945 und 1953 im Kinderheim sogar eine ungewöhnlich hohe Säuglingssterblichkeit gegeben. Außerdem sprach Professor Riedl von einer Überforderung des Personals. Als weitere strukturelle Problemzonen identifizierte sie „das unkontrollierte Agieren einer charismatischen Leitungsperson“, die „effiziente Vernetzung in kirchliche und gesellschaftspolitische Bereiche“ sowie das „Diktat der Wirtschaftlichkeit auf verschiedenen Ebenen“.

    Vierzehn Betroffene sind namentlich bekannt

    Manfred Prexl stellte beim Pressegespräch das Ergebnis aus den Anhörungen der Betroffenen vor. Vierzehn namentlich bekannte Personen seien bereit gewesen, über ihre Erlebnisse zwischen den Jahren 1952 und 1975 zu sprechen. Beschuldigte Personen hätten nicht befragt werden können; diese seien bereits verstorben oder namentlich nicht bekannt. Allerdings sei den Berichten der Betroffenen zu den Gewaltanwendungen im Heim eine so hohe Plausibilität beizumessen, dass an deren Wahrheitsgehalt keine vernünftigen Zweifel bestünden. „Den bedrückenden Schilderungen der Betroffenen nach erlebten sie physische, psychische und soziale Gewalt“, so Prexl. Ihre Erlebnisse könnten zudem keinesfalls mit dem Hinweis auf andere Erziehungsstandards in früherer Zeit abgetan werden. „Die dargestellten Fälle physischer Gewaltanwendung erfüllten allesamt auch nach damaliger Gesetzeslage den objektiven und subjektiven Tatbestand der Körperverletzung.“

    Als „noch gravierender“ bezeichnete Prexl die Fälle sexuellen Missbrauchs. Drei Betroffene – zwei Männer und eine Frau – seien regelmäßig vom Pädagogischen Direktor der Stiftung, einem Priester, in massiver Weise sexuell missbraucht worden. Sechs weitere Frauen hätten zudem von sexuellem Missbrauch durch Mitarbeiter der Stiftung und ältere Heimkinder berichtet.

    Arbeitsgruppe spricht von überbordender Gewalt im Kinderheim

    Wie Prexl festhielt, gebe es mit Blick auf die Rahmenbedingungen dieser massiven Fälle von Gewaltanwendung keinen Nachweis für eine Pflichtverletzung durch den Aufsichtsrat der Stiftung, des Bistums und der Vormundschaftsgerichte. Allerdings sei dem Landesjugendamt anzulasten, „dass es weder selbst noch mittels der örtlichen Jugendbehörden im Heim hinreichend präsent und um das Wohl der betroffenen Kinder ausreichend bemüht war“. Soweit Vormünder beziehungsweise Pfleger überhaupt persönlichen Kontakt zu den Betroffenen gehabt hätten, sei dieser in keiner Weise von einem Bemühen um das Kindeswohl geprägt gewesen. Zwei Personen, einem Mitarbeiter des Jugendamts Lindau sowie einer Lehrerin der Volksschule Donauwörth, warf Prexl zudem Versagen vor. Sie hätten nicht unerheblich dazu beigetragen, dass zum einem der sexuelle Missbrauch von Heimkindern unentdeckt geblieben sei und zum anderen überbordende Gewalt im Kinderheim bis zu dessen Schließung ungehindert habe geschehen können.

    Für das Bistum Augsburg nahm Generalvikar Harald Heinrich zum Abschlussbericht Stellung. Er bedankte sich an erster Stelle bei den Betroffenen, die nach langer Zeit von ihren schlimmen Erfahrungen berichtet hätten. „Es ist schwer, hier eigene Empfindungen in Worte zu fassen“, bekundete er. Er habe in dem Bericht „zutiefst Erschütterndes, Verstörendes gelesen. Oder bewusst auch ganz juristisch formuliert: Ich habe durch den Bericht Kenntnis von abscheulichen Straftaten bekommen, verübt von Frauen und Männern, auch von einem Priester, deren eigentlicher Auftrag im Sinne der Stiftung Cassianeum ja gerade der Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlichen gewesen wäre.“ Dieser Auftrag sei völlig pervertiert worden. Menschen, die zu Opfern wurden, seien viel zu lange nicht gehört worden. An die Betroffenen gewandt, die bei der Vorstellung des Berichts zugegen waren, sagte er: „Ich kann deshalb nur stellvertretend für die Täterinnen und Täter von damals um Verzeihung für das bitten, was Ihnen widerfahren ist.“

    Neuer Stifungsvorsitzender seit 2017 im Amt

    Worte des Dankes richtete der Generalvikar auch an die Arbeitsgruppe für „monatelange akribische Arbeit“. Die Vorkommnisse selbst und deren Hintergründe seien in dem Bericht sehr ausführlich dargelegt. Dem Vorstand der Stiftung, Peter Kosak – er hat dieses Amt erst seit Dezember 2017 inne – dankte der Generalvikar zudem ausdrücklich für seinen persönlichen Einsatz, mit dem er die Aufarbeitung vorangebracht habe. „Ich hatte stets das Gefühl, dass es Ihnen wirklich ein Herzensanliegen war.“ Er bitte Herrn Kosak ausdrücklich darum, in diesem Bemühen nicht nachzulassen und sicherte ihm seine vollste Unterstützung zu.

    Die Kirche befinde sich gerade in einem sehr intensiven Prozess der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte, was sexuellen Missbrauch und körperliche Gewalt betreffe, so der Generalvikar. Gerade in diesem Zusammenhang sei er für diesen „profunden Bericht“ dankbar. „Wir werden jetzt mit großer Sorgfalt daran gehen, welche Konsequenzen sich aus diesem Bericht ergeben und auch angegangen werden müssen“, kündigte der Generalvikar an. Es seien in den vergangenen Jahren intensive Bemühungen zur Prävention von Missbrauch und körperlicher Gewalt unternommen worden. „Aber wir dürfen darin nicht nachlassen.“ Deshalb erarbeite die Diözese gerade ein umfangreiches Compliance-Regelwerk, um ihrer Verantwortung besser gerecht zu werden. Genau in dieser Hinsicht könnte der Bericht vielleicht noch wichtige Anhaltspunkte liefern, hoffe er.

    Betroffene mussten unvorstellbares Leid ertragen

    Für den Stiftungsvorstand des Cassianeums nahm auch Peter Kosak an dem Pressegespräch teil. Er richtete sich wie der Generalvikar persönlich an die anwesenden Betroffenen. Sie hätten unvorstellbare Leiden ertragen müssen. Der in den vergangenen Monaten entstandene Bericht sei „nichts weniger als ein aufrüttelndes Zeugnis monströser Verfehlungen.“ Mit diesem Schlussbericht sei jedoch die Verantwortung des Cassianeums nicht erschöpft, kündigte Kosak an. Bereits am gestrigen Mittwoch sei der Bericht den Betroffenen präsentiert worden. Es sei dabei auch um zukünftige Schritte im Prozess der Aufarbeitung gegangen. Als konkrete Ergebnisse nannte Kosak die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, bei der auch gewählte Sprecher der Betroffenen entscheidend miteinbezogen sein werden. Ein zentrales Anliegen in den Gesprächen und Treffen sei das Thema „Erinnerungskultur“ gewesen.

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