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Kriegsende: Oberndorf: Fast die ganze Familie stirbt im Granatenhagel

Kriegsende

Oberndorf: Fast die ganze Familie stirbt im Granatenhagel

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    Alois Müller (rechts) und Josef Schäfstoß am Gedenkstein, den Josef Schäfstoß zur Erinnerung an seine getötete Familie vor zehn Jahren an seinem Grundstück errichten ließ.
    Alois Müller (rechts) und Josef Schäfstoß am Gedenkstein, den Josef Schäfstoß zur Erinnerung an seine getötete Familie vor zehn Jahren an seinem Grundstück errichten ließ. Foto: Christian Hornung

    Wenn Alois Müller (geboren 1927) heute von den letzten Kriegstagen in Oberndorf erzählt, meint man, er berichte von Ereignissen, die erst wenige Tage zurückliegen. Und dennoch ist es nun bereits 75 Jahre her, dass der Krieg auch in dem Dorf am Lech Einzug hielt. Es gibt nur noch sehr wenige Zeitzeugen, die davon aus eigener Erinnerung berichten können.

    Rauchfleisch im Bienenstock gelagert

    Die Tage und Monate vor dem Einmarsch der Amerikaner waren auch in Oberndorf sehr angespannt. Alois Müller erzählt: „Natürlich hatten wir von den schweren Bombenangriffen auf Asbach-Bäumenheim und Donauwörth gehört. Ich selbst habe die vollkommen zerstörte Innenstadt von

    Zwei Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner musste ich auf Befehl eines Wehrmachtsoffiziers mit einem Pferdegespann Panzerfäuste nach Donauwörth bringen. Als ich wegen eines Bombentrichters bei Bäumenheim nicht weiterfahren konnte, tobte der Offizier und sprach von Sabotage. Auf Umwegen und vorbei an Deserteuren, die an den Bäumen aufgehängt waren und Schilder um den Hals trugen, kam ich nach Donauwörth, wo ich beim damaligen Gasthof Grüner Baum anhalten sollte. Nach einer halben Stunde kam ein Kradmelder und sagte mir, dass die Amerikaner bereits vor der Stadt stünden. Wir haben dann die Kisten mit den Panzerfäusten einfach vom Wagen geworfen und ich fuhr im Trab nach Hause.“

    Oberndorf: Panzersperren, um den Einmarsch der Amerikaner zu verhindern

    Auch in Oberndorf wurde noch in fanatischer Weise versucht, den Einmarsch der Amerikaner durch den Bau von Panzersperren zu verhindern. Am 25. April 1945 überflog zunächst ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug die Lechgemeinde, ehe kurz darauf bereits die ersten Granateinschläge auf die Häuser niedergingen. Eine Frau kam dabei ums Leben.

    Alois Müller, der damals 17 Jahre alt war, erinnert sich: „Am Abend und in der Nacht des 25. April wurde vor allem der Fuggerwald mit Störfeuer belegt, da die Amerikaner dort versteckte deutsche Truppen vermuteten. Die Einwohner hielten sich überwiegend in Kellern, selbst gebauten Bunkern und Splittergräben auf. Auch drei deutsche Soldaten, die sich den Amerikanern ergeben wollten, hatten sich bei mir im Schweinestall versteckt.“

    Versteck im Keller wird Familie zum Verhängnis

    Am Mittag des 26. April geschah dann ein schreckliches Unglück. Eine Granate streifte den Giebel des Austragshauses der Familie Kränzler im Römerweg und fiel danach in den Keller, wo sie schließlich detonierte.

    Josef Schäfstoß, damals knapp zwei Jahre alt, erzählt: „In diesen Kellerraum hatte sich meine gesamte Familie mit Ausnahme meines Vaters geflüchtet: Dies wurde uns nun zum Verhängnis. Meine 80-jährige Großmutter sowie die Geschwister Hedwig (elf Jahre), Maria (zehn Jahre), Hildegard (neun Jahre) und Xaver (sieben Jahre) waren sofort tot. Nur meine Mutter Hedwig Schäfstoß sowie ich selbst überlebten den Angriff.“

    Sterbebild der Familie Schäfstoß in Oberndorf aus dem Jahr 1945. Von den weiteren Kindern gab es damals noch keine Bilder.
    Sterbebild der Familie Schäfstoß in Oberndorf aus dem Jahr 1945. Von den weiteren Kindern gab es damals noch keine Bilder. Foto: Christian Hornung

    Alois Müller erinnert sich auch daran: „Mein Bruder Ludwig kam und informierte uns von dieser Tragödie. Aus lauter Verzweiflung hatte ich die Idee, am Kirchturm eine weiße Fahne anzubringen. Mit einer Korngabel und einem Bettlaken ausgerüstet, lief ich mit meinem Bruder schnell zur Kirche. Dort fanden wir bereits sehr viele Menschen vor, die im Kirchturm Schutz suchten. Oben im Turm saßen SS-Soldaten, die uns das Anbringen der weißen Fahne verweigerten. Bürgermeister Michael Leidel, der die Soldaten zur Aufgabe überreden wollte, drohten sie die standrechtliche Erschießung an, wenn er die weiße Fahne hissen sollte. So sind wir unverrichteter Dinge wieder abgezogen.“

    Phosphorgranaten richten größten Schaden an

    Die amerikanischen Truppen rückten Alois Müller zufolge nun von Eggelstetten Richtung Oberndorf vor, wobei sie von der SS vom Oberndorfer Kirchturm aus beschossen wurden. Zahlreiche amerikanische Phosphorgranaten richteten im Ort größten Schaden an. In kurzer Zeit brannten sieben verschiedene Anwesen gleichzeitig. Außerdem erlitten zahlreiche weitere Häuser teilweise schwere Schäden durch Artilleriebeschuss.

    Diese Phosphorgranate schlug am 26. April 1945 in Oberndorf ein. Heute wird sie im Heimatmuseum aufbewahrt.
    Diese Phosphorgranate schlug am 26. April 1945 in Oberndorf ein. Heute wird sie im Heimatmuseum aufbewahrt. Foto: Christian Hornung

    Müller weiter: „Als ich den großen Brand beim Anwesen Dambauer sah, bin ich sofort umgekehrt, um zur Alarmierung der Feuerwehr die Kirchenglocken zu läuten. Es verging aber einige Zeit, bis sich ein paar

    SS verlässt das Dorf durch den Wald

    Während der Löscharbeiten dort hörten die Oberndorfer plötzlich das Rattern von Fahrzeugen und Männerstimmen: Es kamen schließlich etwa 100 amerikanische Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag durch das Kirchengässchen. Sie liefen einfach vorbei und lachten. Zuvor hatte Müller seinen Feuerwehrhelm, der das Hakenkreuz trug, noch ins Feuer geworfen.

    Später war wieder ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug zu sehen, das das Gelände nach SS-Soldaten absuchte. Die SS hatte jedoch das Dorf still und heimlich durch den Wald verlassen. Damit war in Oberndorf der Zweite Weltkrieg zu Ende. Als Müller nach den Löscharbeiten zu Hause ankam, hörte er ein lautes, schmerzliches Schreien. Im Hausflur lag ein schwer verletzter deutscher Soldat mit aufgerissenem Bauch und schrie immerzu: „Erschießt mich!“ Ein amerikanischer Krankenwagen hat ihn später abtransportiert.

    Opfer des NS-Regimes nicht in Vergessenheit geraten lassen

    Nach einigen Monaten verließen die amerikanischen Besatzungstruppen Oberndorf und Eggelstetten wieder. Alois Müller resümiert heute: „Der Krieg hat das Leben meiner Generation stark geprägt. Viele meiner Freunde sind nicht mehr aus dem Krieg heimgekommen, meine beiden Brüder Nikolaus und Karl sind im Osten vermisst. Ich selbst hatte großes Glück. Obwohl ich zweimal einen Stellungsbefehl an die Front erhielt, wurde ich jedes Mal zurückgestellt, da ich meinen Hof allein versorgen musste.“

    Josef Schäfstoß: „Während ich selbst wie durch ein Wunder beinahe unverletzt blieb, war meine Mutter durch einen Granatsplitter am Bein schwer verwundet. Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurde sie von GIs ins Krankenhaus nach Monheim gebracht, wo sie mein Vater wegen der Ausgangssperre aber nicht einmal besuchen durfte. Trotz der Amputation des Fußes verstarb sie dort am 9. Mai 1945.“ Und weiter: „Aus meinem persönlichen Schicksal heraus war es mir mein Leben lang wichtig, dass nie in Vergessenheit gerät, wie viele Menschenleben dem Naziregime und dem Krieg zum Opfer gefallen sind. Wer Egoismus und Unrecht sät, kann keinen Frieden ernten. Die Vergangenheit holt jeden irgendwann ein.“

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