Kurz vor Kriegsende durchlebten die Wemdinger vom 23. auf den 24. April eine Nacht, die, obwohl Todesopfer und erhebliche Schäden zu beklagen waren, nicht zu einer totalen Katastrophe geworden ist. Die anrückende US-Armee startete einen Artillerie-Angriff auf den Ort, den ein dort anwesender SS-Offizier zur „befestigten Stadt“ erklärt hatte. Die folgenden Schilderungen stützen sich auf Zeitzeugenberichte aus dem Jahr 1995, die, angeregt durch Hans Heppner, auf Tonband mitgeschnitten wurden.
Die Interviews führte Theo Knoll bei Bärbel Bosch, Arnold Fischer, Michael Osterrieder, Johann Sailer, Georg Schlecht, Dionys Trollmann, Alfred Kaczmarek. Sylvester Hänsel sprach mit Josef Meister.
Granateneinschlag südlich der Stadt
Am Nachmittag des 23. April 1945 wurde der Forstarbeiter Dionys Trollmann zu Bürgermeister Schneid befohlen, bei dem auch zwei SS-Leute saßen. Unter strengster Ermahnung wurde ihm befohlen, „an jedem Stadttor zwei Arbeiter vom Bauhof zur Verteidigung einzuteilen“. Bereits am sogenannten Neuen Tor hörte er einen Granateneinschlag südlich der Stadt. Die Aktion wurde abgebrochen. Auch Werner Appl war im Auftrag seiner Tante unterwegs zur Post (heutige Raiffeisenbank): „Plötzlich gab es einen furchtbaren Knall und ich hatte den Eindruck, als wäre die Luft voller weißer Federn, ohne zu wissen, was das war.“
Michael Osterrieder stand am Marktplatz, „plötzlich schlug eine Granate im Gasthof Stern ein“. Um die gleiche Zeit, es war 17 Uhr, kam Georg Schlecht mit einem Leiterwagen vom Bahnhof nach Hause, wo er eine Ration Getreide abgeholt hatte: „Ich hörte die ersten Einschläge von Granaten aus Richtung Schwalberholz im Süden der Stadt.“
Die dritte Salve geht Mitten ins Herz von Wemding
Josef Meister erinnerte sich, dass die ersten Salven über Wemding hinweg hinter der Post einschlugen, „die dritte Salve hat Wemding voll ins Herz getroffen“. Nach über ei-ner Stunde Beschuss sah Michael Osterrieder an der Oettinger Straße ein Fuhrwerk kommen. Ein Bauer aus Ursheim war mit seinem Knecht in Richtung Amerbach unterwegs. Osterrieder dazu: „Direkt vor unserem Haus donnerte eine Granate mitten in sein Gefährt. Zwei Männer und ein Pferd waren sofort tot, das zweite schwer verletzte Pferd musste getötet werden.“ Arnold Fischer berichtet, dass seine Familie um 22 Uhr den eigenen Keller in der Wallfahrtsstraße verließ und sich in den „Laber-Bunker“ in der Wolferstädter Straße begab: „Dort waren wir zusammen mit vielen anderen Leuten untergebracht.“
Menschen werden schwer verletzt und getötet
Der Beschuss dauerte abgesehen von kurzen Feuerpausen bis Mitternacht, dann war etwa eine Stunde Ruhe. Diese nutzte Dionys Trollmann, um nachzusehen, was passiert war. Er berichtet: „Beim Roßkopf unterhalb vom Hahnenwirt sind Granaten eingeschlagen, sodass das Vieh an die Decke geschleudert wurde.“ Bärbel Bosch erzählt: „Auf dem Weg zum Lachner-Keller haben wir gesehen, wie es beim Fahnenschmied in den Stadel eingeschlagen hat, der sofort lichterloh brannte.“ Sie selbst hatte im Rücken einen Splitter abbekommen; mit Maria Jung vom Roten Kreuz begab sie sich in den Spitalkeller, wo der Wemdinger Arzt Dr. Bayer gerade eine Frau operierte, der eine Granate den Arm abgerissen hatte.
Ein schwer verletzter Soldat und schließlich Bärbel Bosch selbst wurden ebenfalls medizinisch versorgt. In der Langgasse war in der Zwischenzeit der Teufel los. „In kurzer Zeit sind in allernächster Nähe vier Granaten eingeschlagen“, berichtet Georg Schlecht, „in unseren Hofgarten, in die vordere Giebelwand und in eine Scheune.“ Ein weiterer Treffer detonierte auf der gepflasterten Straße. Schlecht: „Unmittelbar darauf hörten wir einen fürchterlichen Schrei und anschließend das Wimmern einer menschlichen Stimme. Am Morgen haben wir Herrn Andreas Stöckle (Feuerwehrkommandant) tot aufgefunden.“
Familie Fischer erfährt von der Vernichtung ihres Anwesens
Die Familie Fischer erfuhr noch im Schutzkeller von der Vernichtung ihres Anwesens. „Es war eine Phosphorgranate, die nachts um 3 Uhr eingeschlagen hatte. Bis 7 Uhr war das Haus vollkommen abgebrannt“, erläutert Arnold Fischer und fügt hinzu: „Es war dies für meinen Vater und meine Mutter ein ganz schwerer Schlag.“
Am Morgen des 24. April war Wemding immer noch in der Hand der SS. Ungeachtet dessen begaben sich gegen 8.30 Uhr Walburga Wenger (Arbeiterin in der Land- und Gastwirtschaft zur Krone), Josefine Birzele (Tochter) und Cseslaus Kaczmarek (polnischer Fremdarbeiter beim Kronenwirt) mit einem weißen Tuch vom Gasthaus Krone in den Kirchturm. Wie sein Sohn Alfred Kaczmarek darlegte, war diese Situation gerade für seinen Vater, der als Pole besonders gefährdet war, sehr traumatisch.
Einmarsch der "Rainbow Infantry"
„Auch die Traudl Imm und ihr Vater von gegenüber kamen mit einem Betttuch, das haben wir dann zusammen mit dem anderen hinausgehängt“, erzählt Frau Wenger. Sie berichtet auch, „dass Frau Agnes Meister auf dem Marktplatz (beim Benedikter) mit dem SS- Kommandanten Buttmann verhandelte“. Sie kam – nach Aussage von Josef Meister – gegen Mittag heim, ließ zwei Leinentücher zusammennähen, eine Fahnenstange anfertigen und ging mit ihrem Ehemann zum Marktplatz.
Die amerikanischen Bomber kamen nicht mehr zum Einsatz. Es folgte der Einmarsch der „Rainbow Infantry“, der unspektakulär verlief. Erhalten geblieben ist das Foto eines amerikanischen Kriegsberichterstatters. „Die Soldaten gingen durch die Straßen“, erinnert sich Bärbel Bosch. „Zum ersten Mal haben wir schwarze Menschen gesehen. Wir Mädchen haben uns versteckt. Am dritten Tag haben uns die Soldaten eine Tafel Schokolade auf den Tisch gelegt. Von da ab haben wir uns nicht mehr versteckt. Bei uns waren oft Soldaten im Haus, sie haben von meiner Mutter warmen Kaffee (Malzkaffee) bekommen. Und als sie gingen, haben sie uns ein richtig schönes Päckchen Bohnenkaffee dagelassen.“
Geschütze feuern in Richtung Donauwörth
Für die amerikanischen Soldaten war der Krieg noch nicht zu Ende. Am Breingäßchen, so berichtet Johann Sailer, haben sie Geschütze in Stellung gebracht, von denen in Richtung Donauwörth gefeuert wurde: „Ich habe die Geschütze nicht direkt gesehen, aber die Erschütterungen, wenn gefeuert wurde, waren weithin zu spüren.“
Die traurige Bilanz in Wemding: Elf Zivilisten starben. Sieben Häuser wurden total zerstört. 19 Gebäude wurden schwer beschädigt, 74 mittel und leicht. Die Strom- und Wasserversorgung funktionierte nicht mehr. Auch deutsche Soldaten kamen in und um Wemding ums Leben. Genaueres ist hierzu nicht bekannt. Auf einem Foto, das ein Wemdinger von der US-Armee bekam, sind Soldaten zu sehen, die auf einen mit Bäumen bewachsenen Hügel zulaufen, der sich möglicherweise östlich von Wemding befindet und an dem augenscheinlich Leichen liegen. Auf einem Text zum Bild ist auf Englisch von SS-Soldaten die Rede, die auf Fahrrädern unterwegs gewesen seien: „Alle wurden getötet.“ (mit wwi)
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