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Heimatgeschichte: Wie Schriftsteller Erich Mühsam seine Haftzeit in Niederschönenfeld erlebte

Heimatgeschichte

Wie Schriftsteller Erich Mühsam seine Haftzeit in Niederschönenfeld erlebte

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    Erich Mühsam in der Festungshaftanstalt Ansbach im Herbst 1919. Im Oktober 1920 wurde er nach Niederschönenfeld überstellt.
    Erich Mühsam in der Festungshaftanstalt Ansbach im Herbst 1919. Im Oktober 1920 wurde er nach Niederschönenfeld überstellt. Foto: Österreichische Nationalbibliothek

    Als sich der Schriftsteller Erich Mühsam am 15. Oktober 1920 früh von Rain aus mit einer Gruppe weiterer Festungsgefangener und in Begleitung von Gendarmen zu Fuß Niederschönenfeld nähert, ist er heilfroh, der Festungshaftanstalt Ansbach entkommen zu sein. An Mühsam kleben viele Etiketten: Anarchist, Revolutionär, Sozialist, Kommunist, Spartakist, Pazifist und schließlich auch das des Bohemien, der in Schwabinger Literaten- und Künstlerkreisen verkehrt. Mühsam ist Mitarbeiter verschiedener satirischer Zeitschriften wie des Simplicissimus und der Jugend. Sein politisches Credo ist ein freies, herrschaftsfreies Leben, das er ohne Gewaltanwendung durchsetzen will.

    Mühsam befindet sich im Herbst 1920 bereits seit eineinhalb Jahren in Gefangenschaft. Am 13. April 1919 hatten ihn Republikanische Schutztruppen bei dem – letztlich gescheiterten – Versuch, die kommunistische Räterepublik in München mit Gewalt zu beseitigen, gefangen genommen. Mühsam wird zunächst im Zuchthaus Ebrach inhaftiert. Nach der Niederschlagung der Räterepublik in den ersten Maitagen 1919 verurteilt man ihn im Juli 1919 in einem Hochverratsprozess als „treibendes Element“ der Räterepublik zu 15 Jahren Festungshaft, die er zunächst in Ansbach verbüßt.

    Erich Mühsam: "Sich fügen heißt lügen!"

    Obwohl Festungshaft als sogenannte Ehrenstrafe mit Sonderrechten und Privilegien verbunden ist, schränkt die bayerische Regierung diese für die Akteure der Räterepublik immer stärker ein.

    Mühsam werden zum Beispiel im April 1920 vom Ansbacher Staatsanwalt die Tagebücher der Jahre 1918 bis 1920 beschlagnahmt. Aber er lässt sich nicht einschüchtern. In Ansbach entsteht im Sommer 1919 sein berühmtes Gedicht „Der Gefangene“ – jede Strophe endet mit der Aufforderung: „Sich fügen heißt lügen!“

    Mühsam freut sich, als die Verlegung nach Niederschönenfeld durchsickert, das man im Laufe des Jahres 1920 zu einer zentralen Haftanstalt für die Revolutionäre einrichtet. Eine Veränderung der Haftbedingungen erwartet er aber nicht. So notiert Mühsam kurz vor der Abreise in sein Tagebuch: „Daß in Niederschönenfeld die Zustände im allgemeinen viel erfreulicher sind als hier, ist kaum anzunehmen.“ Zwei Wochen davor war er noch euphorischer: „Ich werde unter Freunden sein, werde Genossen um mich haben und mich nicht mehr als Paria fühlen: wär ich nur erst dort!“

    Platznot in der Festungshaftanstalt Niederschönenfeld

    Am Morgen des 15. Oktober scheinen sich seine Hoffnungen zu bestätigen: „Die Ankunft hier war ergreifend. Von Rain aus gings zu Fuß die Landstraße hinunter, und als wir in Sicht kamen, sahen wir aus der Anstalt Tücher schwenken und aus vielen Männerkehlen erklang meine Rätemarseillaise. Der Empfang unten bei den Beamten war allerdings toll. Überall Aufseher und Soldaten mit Flinten behängt, im Empfangsraum Taschendurchsuchung und Abtastung. … Man wies mir zwei winzige, enge, einander gegenüberliegende Jammerzellen an, da keine größere Zelle … frei war.“

    Die Platznot in der überfüllten Anstalt war groß. Ernst Toller beschreibt seine Zelle: „Die Zellen sind schmal. Wenn ein Mensch sich an die Wand lehnt, berührt er mit der ausgestreckten Hand die andere.“ Glaubt man zeitgenössischen Schilderungen, sind allerdings auch die Aufseher mangels Räumlichkeiten nicht viel besser untergebracht.

    Schreiben wird für Mühsam existenziell

    Arbeiten müssen die Festungsgefangenen nicht, aber sie müssen für die Verpflegung zahlen. Viele Inhaftierte sind daher auf Spenden von außen angewiesen. Schreiben wird für Mühsam existenziell, muss er doch mit den Tantiemen seiner Ehefrau Kreszentia „Zenzl“ Mühsam ein Auskommen ermöglichen.

    In Niederschönenfeld arbeitet er an einer Geschichte der Revolution und am Gedichtband „Brennende Erde“, beginnt mit der Niederschrift des Romans „Ein Mann des Volkes“ und der Streitschrift „Das Standrecht in Bayern“ – alles nicht zur Freude der Anstaltsleitung und des bayerischen Justizministeriums. Gleich zu Jahresbeginn 1921 verhängt Anstaltsleiter Schröder an Mühsam Einzelhaft und bis auf Weiteres das Verbot, Zeitungen zu lesen und die Kantine zu benutzen, weil er den roten Sowjetstern nicht abgelegt hatte. Überhaupt ist der Alltag in Niederschönenfeld geprägt von Briefzensur, Besuchs- und Schreibverboten, Isolationshaft und Verbot des Hofganges.

    Viele Gefangenen werden 1924 entlassen

    Viele Festungsgefangene befinden sich daher bald in einem körperlich und geistig fragilen Zustand. Mühsam leidet an Schlaflosigkeit und immer wiederkehrenden Zahnschmerzen. Im Mai 1923 lässt Anstaltsleiter Heinz Hoffmann die Schwalbennester aus den Zellen entfernen – die Gefangenen hatten sich am Zwitschern der Vögel erfreut. Allerdings sind sich auch die inhaftierten Revolutionäre bei Weitem nicht einig. Die „Intellektuellen“ um Ernst Toller, Ernst Niekisch und Gustav Klingelhöfer reiben sich mit den anderen Gruppierungen. Vor allem KPD-Anhänger sorgen mit ihren politischen Forderungen und persönlichen Intrigen für Unruhe.

    Im Lauf des Jahres 1924 ändert sich die Stimmung. Immer mehr Festungsgefangene werden entlassen, die Repressionen mindern sich. Reichstag und bayerische Regierung diskutieren über eine Amnestie für die politischen Gefangenen. Mitte Oktober 1924 befinden sich neben Mühsam nur noch neun Revolutionäre in Niederschönenfeld in Festungshaft, am Jahresende 1920 waren es noch 95. Im bayerischen Landtag wird taktiert, Mühsam verliert die Hoffnung auf eine Amnestie. Dann kurz vor Weihnachten die plötzliche Wende. Mühsams letzter Eintrag im Tagebuch lautet: „Sonnabend, 20. Dez. 24, Vormittag 10½ Uhr. Frei!“ Niederschönenfeld wird wieder Jugendstrafanstalt.

    Erich Mühsam engagiert sich bei Gefangenenhilfsorganisation

    Nach seiner Entlassung zieht Mühsam nach Berlin und gibt die anarchistische Zeitschrift Fanal heraus. Er engagiert sich in der KPD-nahen Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe Deutschlands und arbeitet weiter an der Propagierung seiner anarchistischen Ideen. Noch nach der NS-Machtübernahme 1933 verspottet Erich Mühsam Hitler als „Herrn der Heerscharen alias Herrn der Haarscheren“. In der Nacht des Reichstagsbrandes wird er Ende Februar 1933 verhaftet und am 10. Juli 1934 im Konzentrationslager Oranienburg nach über 16-monatiger „Schutzhaft“ von SS-Angehörigen ermordet. Die Folterer im KZ Oranienburg fordern Mühsam mehrfach auf, sich selbst zu erhängen. Er weigert sich.

    Seine Tagebücher stehen seit 2019 online und stellen eine Fundgrube zur Zeitgeschichte und zu seinem Aufenthalt in Niederschönenfeld dar.

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