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Harburg-Großsorheim: Mit einem Affenzahn durch die „Applauskurve“ bei Harburg

Harburg-Großsorheim

Mit einem Affenzahn durch die „Applauskurve“ bei Harburg

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    Die Kreisstraße mit ihrer scharfen Kurve am Riesrand bei Großsorheim ist ein beliebter Treffpunkt für Motorradfahrer und Autofahrer, die dort ständig auf und ab fahren, während sich die Zuschauer auf dem Parkplatz versammeln.
    Die Kreisstraße mit ihrer scharfen Kurve am Riesrand bei Großsorheim ist ein beliebter Treffpunkt für Motorradfahrer und Autofahrer, die dort ständig auf und ab fahren, während sich die Zuschauer auf dem Parkplatz versammeln. Foto: Wolfgang Widemann

    Wer zum ersten Mal die Kreisstraße DON16 südöstlich von Großsorheim befährt, wundert sich vielleicht ein wenig. Die Fahrbahn windet sich zwischen Magerrasenflächen einer Gebirgsstraße gleich hinauf auf die bewaldeten Höhen der Schwäbischen Alb. Der Bockberg, von dem bei schönem Wetter weite Teile des Landkreises Donau-Ries zu sehen sind, ist quasi gleich um die Ecke, ebenso die idyllische Waldschänke Eisbrunn. Auf halber Höhe lädt ein Parkplatz zur Rast ein. Er ist bei Wanderern als Startpunkt für eine Tour am Riesrand beliebt. An vielen Samstagen, Sonn- und Feiertagen im Sommerhalbjahr herrscht dort reger Betrieb. Bei schönem Wetter versammeln sich fast ausnahmslos junge Menschen. Die interessiert die schöne Landschaft beziehungsweise Natur aber kaum.

    Sie kommen mit schnellen Motorrädern und aufgemotzten Autos, packen Bierbänke, Klappstühle und Grill auf dem Parkplatz aus, legen sich auf Decken an den Hang gegenüber und warten, bis die nächste Maschine beziehungsweise das nächste Fahrzeug mit einem Affenzahn in der scharfen Kurve um die Ecke kommt. Dann johlt und klatscht die Menge. Passenderweise ist die Serpentine in der Szene unter dem Namen „Applauskurve“ überregional bekannt.

    Haarsträubende Szenen und Unfälle auf diesem Abschnitt am Riesrand

    Der Spaß an der Geschwindigkeit und an spektakulären Fahrmanövern hat jedoch seine Schattenseiten. Immer wieder kommt es auf dem 1,3 Kilometer langen Abschnitt der Kreisstraße zwischen der Abzweigung nach Möggingen und der Kreuzung im Wald zu haarsträubenden Szenen und zu Unfällen. Ganz abgesehen davon ist das Heulen der Motoren im nahen Großsorheim, bei entsprechendem Wind aber auch im einige Kilometer entfernten Möttingen, zu hören – was Bewohner seit Jahren nervt.

    „Da wird die Straße zur Rennstrecke gemacht“, stellt ein Großsorheimer fest. Zuletzt nahmen nach Auskunft von Stephan Roßmanith, Pressesprecher der Polizeiinspektion Donauwörth, die Beschwerden von Anwohnern und Verkehrsteilnehmern zu. Den Behörden sei das Problem schon lange bekannt, jedoch sei der Handlungsspielraum bislang eingeschränkt gewesen. Sobald die Polizei – egal ob mit normalem Streifenwagen, Zivilfahrzeug oder -motorrad – am Horizont auftauchte, verhielten sich die Versammelten regelkonform. Roßmanith weiß: Es werden eigens „Späher“ postiert, die beim Anrücken der Gesetzeshüter per Handy sofort die anderen Teilnehmer warnen: „Die sind gut organisiert.“

    Den Beamten bleibt dann nichts weiter übrig, als die Anwesenden zu ermahnen, sich auf der Straße ordentlich zu benehmen – und einen Blick auf die Fahrzeuge vor Ort zu werfen. Dabei sei an der ein oder anderen Maschine eine technische Manipulation entdeckt worden. Oder Änderungen seien nicht in den Fahrzeugschein eingetragen worden. Die daraus resultierenden Anzeigen und Bußgelder hätten zwar den Einzelnen getroffen, aber das Problem als Ganzes nicht im Geringsten eingedämmt.

    Jetzt sind auch noch Autos am Start

    Ganz im Gegenteil: In den vergangenen Monaten hat der „Rennbetrieb“ am Riesrand noch zugenommen. Waren bis heuer fast ausschließlich Motorradfahrer am Start, so haben nun auch Besitzer von getunten Pkw die Strecke für sich entdeckt. Es seien hauptsächlich „junge Leute, die Spaß haben wollen“, wisse man aus den Gesprächen, berichtet Roßmanith. An die Vernunft der Beteiligten zu appellieren, habe nicht gefruchtet. Die kommen inzwischen aus dem weiten Umkreis – bis aus dem Raum Augsburg, Nürnberg und Stuttgart.

    Leider habe das waghalsige Verhalten der Freizeitmotorsportler auf dem Abschnitt der Kreisstraße DON16 auch böse Folgen. Dies zeigt dem Hauptkommissar zufolge ein Blick in die Statistik. Seit Anfang 2017 sind 56 Unfälle aktenkundig geworden, davon neun mit Motorrädern. Fünf Kradfahrer erlitten schwere Verletzungen. Dass nicht noch mehr passierte, grenzt beinahe an ein Wunder.

    Hier zwei Beispiele: Anfang September 2019 war eine Gruppe von Joggern ein kurzes Stück auf der Kreisstraße unterwegs. Deshalb verringerte ein Autofahrer, 80, die Geschwindigkeit. Ein 18-Jähriger, der auf seinem Motorrad nachfolgte, bemerkte dies zu spät und prallte auf das Heck des Pkw – genau auf Höhe der Läufer, nur eineinhalb Meter von diesen entfernt, wie ein Augenzeuge schildert. Der Kradfahrer blieb unverletzt – „ein paar Tage später war er schon wieder da“.

    Motorrad prallt frontal gegen ein Auto

    Im Oktober 2019 schoss ein 24-Jähriger mit überhöhter Geschwindigkeit die Kreisstraße hinunter, geriet in einer lang gezogenen Rechtskurve auf die Gegenfahrbahn und stieß frontal mit einem Auto zusammen. In diesem waren zwei Beamte der Polizeiinspektion Donauwörth auf dem Weg zum Dienst. Alle drei Männer wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Was den Helfern am Unfallort auffiel: Ein Begleiter filmte mit einer Helmkamera die Fahrt des 24-Jährigen.

    Hauptkommissar Roßmanith geht davon aus, dass in den vergangenen Jahren noch mehr Unfälle passiert sind, jedoch – weil die Folgen nicht so gravierend waren – nicht gemeldet wurden.

    Um einmal genau beobachten zu können, was sich auf der Strecke bei Großsorheim abspielt, wählte die Polizei konspirative Maßnahmen. Zivile Ermittler versteckten sich im Wald und blieben unbemerkt. Was sie sahen, bestätigte alle Schilderungen, so Roßmanith: „Es finden regelmäßig Beschleunigungs- und Driftrennen sowie Zeitfahrrekordversuche statt.“ Dies deckt sich mit der Schilderung eines Radfahrers aus dem Harburger Stadtgebiet, der kürzlich zufällig mitbekam, wie ein Auto mit NÖ-Kennzeichen innerhalb weniger Minuten wiederholt quer zur Fahrbahn durch die „Applauskurve“ driftete. Ein anderer Radler berichtet unserer Zeitung von einem Motorradfahrer, der ihn auf dem Abschnitt überholt habe – auf einem Rad. „Wheely“ nennt sich dieses „Kunststück“. Er sei fassungslos über den Leichtsinn des jungen Mannes gewesen. Auch der Harburger Bürgermeister Christoph Schmidt weiß: „Es grenzt zum Teil an Wahnsinn, was sich dort abspielt.“

    Parkplatz und Feldweg sind an Wochenenden und Feiertagen für Fahrzeuge gesperrt

    Ein Großsorheimer geht davon aus, dass sich die „Rennfahrer“ über soziale Netzwerke zu den Treffen verabreden: „Innerhalb kurzer Zeit sind plötzlich viele Leute vor Ort.“ Was sich rund um die „Applauskurve“ abspiele, „schreit zum Himmel“. Vor den Rennen kehrten die Beteiligten manchmal sogar die Straße, um noch schneller fahren zu können. Inzwischen haben sich Polizei, Landratsamt und die Stadt Harburg darauf verständigt, Maßnahmen zu ergreifen. Die sehen so aus: Der Parkplatz an der „Applauskurve“ und der Feldweg nebenan sind samstags, sonntags und feiertags für Fahrzeuge gesperrt. Die Anordnung gilt vorerst für ein Jahr. Fehlten die Zuschauer, würden die Fahrer nicht dazu verleitet, ein so hohes Risiko einzugehen – so die Hoffnung, denn es wird befürchtet, dass irgendwann ein Fahrzeug unkontrolliert im Bereich des Parkplatzes „einschlägt“. „Das gäbe eine Katastrophe mit Toten und Schwerverletzten.“

    Autos und Motorräder unerwünscht: Die Stadt Harburg hat direkt an der Applauskurve dieses Schild postiert.
    Autos und Motorräder unerwünscht: Die Stadt Harburg hat direkt an der Applauskurve dieses Schild postiert. Foto: Wolfgang Widemann

    Wer gegen das Verbot verstößt, riskiert ein Bußgeld in Höhe von 55 Euro. Wenn Vorsatz im Spiel ist, sind sogar 110 Euro fällig. Nahe Eichstätt habe die Sperrung eines Parkplatzes dazu geführt, dass in der dortigen „Schönblickkurve“ seit 2019 Ruhe eingekehrt sei, weiß Roßmanith.

    Unbekannter flext Metallstange samt Verbotsschild ab

    Die Einsicht, auch bei Großsorheim auf das Spektakel zu verzichten, scheint zumindest bei einzelnen nicht vorhanden zu sein. Nachdem am Freitag das Verbotsschild am Parkplatz aufgestellt worden war, flexte offenbar tags darauf ein Unbekannter wohl mit einem Trennschleifer die zwei Meter lange Trägerstange samt Schild direkt über dem Boden ab und stahl sie. Schaden: über 500 Euro. Die Polizeiinspektion Donauwörth, die in nächster Zeit „massiv kontrollieren“ will, bittet um Hinweise. Telefon: 0906/7806-31.

    Unbekannte haben an dem Parkplatz das Verbotsschild samt Stange gestohlen. Letztere wurde direkt über dem Boden abgeflext.
    Unbekannte haben an dem Parkplatz das Verbotsschild samt Stange gestohlen. Letztere wurde direkt über dem Boden abgeflext. Foto: Polizei

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