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Ebermergen: Ein Lazarett mit Baseball-Stadion im Wörnitztal

Ebermergen

Ein Lazarett mit Baseball-Stadion im Wörnitztal

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    Eine Zeltstadt auf den Wörnitzwiesen: Von Ende April bis Mitte Juni 1945 betrieb die US-Armee bei Ebermergen ein großes Feldlazarett. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Othelia Rosten, die damals als Krankenschwester in der Einheit tätig war. Die Aufnahme entstand im Juni 1945.
    Eine Zeltstadt auf den Wörnitzwiesen: Von Ende April bis Mitte Juni 1945 betrieb die US-Armee bei Ebermergen ein großes Feldlazarett. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Othelia Rosten, die damals als Krankenschwester in der Einheit tätig war. Die Aufnahme entstand im Juni 1945. Foto: Nachlass Othelia Rosten

    Nachdem die US-Armee in den Tagen bis zum 27. April 1945 die Region erobert hatte, verschob sich die Front am Ende des Zweiten Weltkriegs zwar rasch in Richtung Süden. Direkt bei Ebermergen wimmelte es aber weiter vor Amerikanern. Der Grund: Sie wählten die Umgebung des Dorfs, speziell die Wörnitzauen, als Standort für ein Feldlazarett, einen kleinen Flugplatz und mindestens ein weiteres Lager. Einem

    Ein Hospital mit bis zu 400 Betten auf den Bruckwiesen

    Nach dem Einmarsch der Befreier begannen diese damit, auf den sogenannten Bruckwiesen östlich der Wörnitz – genauer gesagt nahe der steinernen Brücke – eine Zeltstadt zu errichten. Auf der ebenen Fläche installierte die US-Einheit namens 95. Evacuation Hospital am 29. April 1945 ein Lazarett. Das – so ist in Aufzeichnungen über die Geschichte der Einheit nachzulesen – knapp 300-köpfige Personal bestand aus 39 Offizieren (Ärzten), 40 Krankenschwestern sowie 217 Unteroffizieren und Mannschaftsdienstgraden. Das Hospital hatte eine Kapazität von bis zu 400 Betten.

    Ein Evacuation Hospital befand sich nach der Definition der amerikanischen Armee idealerweise 12 bis 30 Meilen hinter der Front. Das Lazarett nahm von dort Verwundete auf. Diese erhielten eine Erstversorgung bis hin zu Operationen.

    Baseball-Spielfeld nahe des Lazaretts

    Nach Ebermergen kam die US-Einheit von Kist (bei Würzburg) her. Am Tag, bevor sie die Wiesen an der Wörnitz erreichte, vermerkte Major Dr. Arthur B. deGrandpre in seinem Tagebuch (veröffentlicht 2001), dass die US-Armee 35 Meilen vor München stehe und Regensburg bereits eingenommen habe. Berlin sei eingekesselt. Der Krieg sei „fast vorbei“, so der Offizier, der in dem Lazarett tätig war.

    Überbleibsel der Holztribüne des Baseball-Stadions: Diese Armlehne hat Walter Oberländer aufgehoben.
    Überbleibsel der Holztribüne des Baseball-Stadions: Diese Armlehne hat Walter Oberländer aufgehoben.

    Nachdem es in Ebermergen aufgebaut worden war, trieben sich Kinder und Jugendliche aus dem Dorf auf dem Gelände herum und waren durchaus geduldet. Eine Attraktion stellte im Bereich des Lazaretts eine ungewöhnliche Sportstätte dar. Auf der ebenen Fläche am Fluss errichteten die Amerikaner ein Baseball-Spielfeld und bestückten dieses mit einer Tribüne aus Holz. So entstand ein kleines Stadion. In dem war bisweilen mächtig was los. Offenbar trafen sich dort Einheiten der US-Armee zum sportlichen Vergleich. Das Lazarett und Baseball spielende Soldaten sind auf Fotos verewigt, welche die damalige US-Krankenschwester Othelia Rosten mit in ihre Heimat nahm.

    Krankenschwestern kümmern sich um die Überlebenden aus dem KZ Dachau

    Das Hospital blieb – so wird in einer Auflistung der Standorte angegeben – bis 12. Juni vor Ort. Das Lazarett-Personal erlebte in Ebermergen das am 8. Mai verkündete Ende des Kriegs in Europa. Major deGrandpre vermerkte in seinen Aufzeichnungen, an jenem Tag habe der britische Premierminister Winston Churchill eine Rede gehalten. Die Reaktion im Hospital: „Kein großer Enthusiasmus.“ Erst habe Chefkrankenschwester Evelyn E. Swanson zu der Einheit gesprochen, dann Kommandeur Colonel Paul K. Sauer, dann Sergeant Stanley J. Polanski. Die Zukunft der Einheit sei noch unklar. Jedoch schrieb der Offizier: „Wir sind alle glücklich, nach Hause zu gehen.“

    Auch wenn sich die Situation in Ebermergen rasch entspannte – ein Teil des medizinischen Personals erlebte noch Szenen, die sich ins Gedächtnis einbrannten: Einige Krankenschwestern erhielten im Mai den Spezialauftrag, sich vorübergehend mit um die Überlebenden im Konzentrationslager Dachau zu kümmern.

    Eine dieser Schwestern war Othelia Rosten. Sie hielt in ihren Aufzeichnungen fest, dass sie und ihre Kolleginnen während ihres Kriegseinsatzes praktisch täglich mit verstümmelten Körpern von den Schlachtfeldern konfrontiert worden, dann aber geschockt gewesen seien angesichts dessen, was sie im befreiten KZ sahen. Männer, Frauen, Kinder kurz vor dem Hungertod, von Ungeziefer befallen, erkrankt an Tuberkulose und Typhus und so schwach, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten. Die Krankenschwester notierte: „Worte können die Situation nicht beschreiben.“

    Einem Ebermergener rettet das US-Krankenhaus das Leben

    In Ebermergen rettete das Krankenhaus quasi direkt vor der Haustür Karl Kopp wohl das Leben. Kopp, Jahrgang 1906, hatte an der Ostfront gekämpft und war in Russland in Gefangenschaft geraten. Die Russen steckten ihn 1945 in einen Güterzug in Richtung Deutschland. Ärzte sollen dem kranken und völlig unterernährten Ebermergener prophezeit haben, er würde auf dem Transport sterben. Wider Erwarten kam der Soldat lebend am Bahnhof in Donauwörth an. Er wurde nach Ebermergen heimgeholt. Seine Familie rief einen in Harburg praktizierenden Arzt. Der stellte fest, dass Kopp dringend Medikamente brauchte. Er hatte eine Lungenentzündung und drohte zu sterben.

    Über die nötige Arznei verfügte der Mediziner jedoch nicht. Einzige Hoffnung: die US-Armee. Man kontaktierte den Ebermergener Dekan Georg Hertrich, der Englisch sprach. Der Arzt und Hertrich wurden im Lazarett vorstellig und baten um Hilfe. Sie bekamen das notwendige Antibiotikum ausgehändigt. Penicillin gehörte seit 1944 zur Standard-Ausstattung der US-Kriegsmedizin. Karl Kopp überlebte und wurde 82 Jahre alt.

    Auch andere Menschen aus Ebermergen und Umgebung suchten das Feldlazarett auf. Bei einem Unglück an der alten Wörnitzbrücke in Harburg, wo durch eine Tellermine vier Kinder starben, erlitt Hans Kirchner schwerste Verletzungen. Die Mutter – so schildert Heimatforscher Fritz Leimer aus Ronheim – brachte den erblindeten Buben im Leiterwagen nach Ebermergen. Ein Arzt schaute sich das Kind an. Er konnte aber nicht helfen. Der Mutter gab der Mediziner eine Tafel Schokolade mit.

    Zeltlager der US-Armee zwischen Ebermergen und Brünsee

    Auf den Wörnitzwiesen zwischen Ebermergen und Brünsee (im „Staudich“) befand sich 1945 eine gewisse Zeit ebenfalls ein Zeltlager der US-Armee. Die dort stationierte Einheit gehörte wohl einem Artilleriebataillon an und bestand hauptsächlich aus US-Japanern.

    Die entsorgten nach Berichten von Augenzeugen in der Wörnitz massenweise Gewehre und Munition, die sie in der Umgebung eingesammelt hatten. Manche Waffe blieb nicht lange im Fluss. Kinder und Jugendliche tauchten in der Wörnitz und holten einige Exemplare wieder heraus. Die Amerikaner seien nicht eingeschritten, schildert Adolf Hertrich (Jahrgang 1933): „Wir Kinder konnten tun, was wir wollten.“

    Freizeitvergnügen der US-Soldaten auf der Wörnitz. Rechts am Bildrand stehen offenbar ein paar Verwundete, die in dem Lazarett versorgt wurden.
    Freizeitvergnügen der US-Soldaten auf der Wörnitz. Rechts am Bildrand stehen offenbar ein paar Verwundete, die in dem Lazarett versorgt wurden.

    Sofie Steiner (Jahrgang 1924) vermerkte in ihrem Tagebuch: Die Soldaten suchten im Dorf auch Waschplätze, das heißt Frauen, die ihnen die Wäsche machten. Die Amerikaner bezahlten diese Dienstleistung mit Kaffee und Schokolade, „das war gefragt“. So seien Kontakte zustande gekommen. Die „Japanesen“ – so seien diese Soldaten im Dorf genannt worden – seien „freundliche, zierliche Menschen“ gewesen: „Sie hatten Namen wie Okazaki, Kazumi und so weiter.“

    Soldaten nehmen Kinder in "Rundflügen mit"

    Direkt am Dorf – auf den Wiesen zwischen Wörnitz und Heckstraße – betrieben die Amerikaner in Ebermergen einige Wochen einen provisorischen Flugplatz. Auf diesem waren mehrere Propellermaschinen – wohl vom Typ Piper L-4 – stationiert. Diese dienten der US-Armee, genauer gesagt der Artillerie, als Aufklärungs- und Beobachtungsflugzeuge. Die Besatzung der Flieger bestand aus zwei Mann.

    Zwei Jugendliche im Frühjahr 1945 beim Stiefelputzen am Flugplatz der US-Armee bei Ebermergen. Rechts ist das Heck einer der Maschinen zu sehen.
    Zwei Jugendliche im Frühjahr 1945 beim Stiefelputzen am Flugplatz der US-Armee bei Ebermergen. Rechts ist das Heck einer der Maschinen zu sehen. Foto: Familie Löw

    Die Soldaten dieser Einheit waren am Dorfrand in Zelten untergebracht. Bisweilen mussten weidende Rinder von den Wiesen getrieben werden, bevor ein Flieger startete oder landete. Die Soldaten waren der Bevölkerung anscheinend durchaus freundlich zugetan. Sie nahmen ab und zu Kinder zu „Rundflügen“ mit, so auch Hermann Kopp, damals sechs Jahre alt.

    Die Bewohner profitierten auch in ganz anderer Hinsicht von den Amerikanern. Die warfen den Müll, der in den Lagern bei Ebermergen anfiel, in die Kiesgrube an der „Alten Bürg“.

    Abfälle erweisen sich als wahre Fundgrube

    Für die Bevölkerung, der es an allem fehlte, erwiesen sich die Abfälle als wahre Fundgrube. Laut Karl Löw, damals 14 Jahre alt, ergatterten die Einheimischen dort noch essbare Lebensmittel. Anna Hagner, Jahrgang 1937, kam auf gleiche Weise zu ihrer ersten Turnhose. Die entdeckte der Vater der damals Achtjährigen an der „Alten Bürg“. Das kam der kleinen Anna höchst gelegen, denn für sie gab es keine Sportkleidung: „Ich hätte in einer Unterhose turnen müssen. Das wollte ich nicht, weil ich mich schämte.“ Umso stolzer sei sie dann auf die zwar viel zu große, aber sportlich aussehende Hose aus den USA gewesen.

    Als das Militär freilich bemerkte, dass die Bevölkerung den Abfall regelmäßig nach Brauchbarem durchwühlte, gossen die Soldaten Benzin darüber und zündeten es an. Das behielt Karl Ramler (Jahrgang 1931) im Gedächtnis.

    In Ebermergen floriert kurzzeitig die käufliche Liebe

    Die Anwesenheit der amerikanischen Soldaten brachte es Zeitzeugen zufolge mit sich, dass in Ebermergen kurzzeitig die käufliche Liebe florierte – und zwar ausgerechnet im Schulhaus. Dort hielten sich Frauen aus Polen und der Sowjetunion auf, die als Zwangsarbeiterinnen nach Deutschland verschleppt worden waren. Das Motiv, den Soldaten ihre Dienste anzubieten, war die pure Not. Die Uniformierten „bezahlten“ auch hier mit Schokolade und Kaffee.

    Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Kapitel „Baseball-Stadion und Flugplatz“ des Buchs „Diktatur.Krieg.Vertreibung. Der Nationalsozialismus und seine Folgen in Ebermergen, Brünsee und Marbach“. Das Buch, das 2019 der Heimatgeschichtliche Verein Ebermergen herausgegeben hat, ist für 23 Euro unter anderem erhältlich im Buchhaus Greno (Donauwörth), in der Raiffeisen-Volksbank-Filiale in Ebermergen und im Rathaus in Harburg.

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