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Donauwörth: Rotes Kreuz schließt Sozialstation in Donauwörth

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Rotes Kreuz schließt Sozialstation in Donauwörth

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    Überwiegend ältere Menschen werden von den Sozialstationen gepflegt. In Donauwörth schließt das BRK seinen ambulanten Pflegedienst Ende Juni.
    Überwiegend ältere Menschen werden von den Sozialstationen gepflegt. In Donauwörth schließt das BRK seinen ambulanten Pflegedienst Ende Juni. Foto: Annette Zoepf

    Franziska Müllers Alltag ist geprägt von der Krankheit – und das seit Jahren. Sie braucht die Dienste von Pflegefachkräften, die zu ihr nach Hause kommen, um bei ganz grundlegenden Dingen des Alltags zu helfen: waschen, anziehen, zweimal in der Woche duschen. Was für Andere selbstverständlich erscheint, bedeutet für die an Multiple Sklerose Erkrankte viel Aufwand und Anstrengung. Dazu kommt nun eine weitere Belastung: Sie steht bald ohne helfende Hände da. Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) wird seinen ambulanten Pflegedienst für den Bereich in und rund um Donauwörth auflösen.

    Die Sozialstation soll ab 1. Juli Vergangenheit sein. Für einige Patienten – neudeutsch mittlerweile „Klienten“ genannt – steht derweil noch nicht fest, wie es dann weitergehen soll.

    Donauwörtherin wird von Schließung der Sozialstation überrascht

    Franziska Müller heißt nicht Franziska Müller. Die 50-jährige Frau aus Donauwörth will jedoch ihren echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen – schließlich ist sie auf der Suche nach einem anderen Pflegedienst, und allzu bekannt möchte sie daher nicht im Vorfeld sein; die Dienste sollen ihr möglichst vorurteilsfrei begegnen.

    Die Donauwörtherin berichtet im Gespräch mit unserer Zeitung, dass sie völlig überrascht worden sei, als sie vom BRK über die Schließung der Sozialstation informiert wurde. Sie brauche die Hilfe der Pflegekräfte dringend, fünf Mal die Woche Anziehen und Waschen, zusätzlich zweimal in der Woche Duschen. Seit 1991 leide die Frau unter Multipler Sklerose, voriges Jahr kam ein Haarriss im Kreuzbein dazu. Ihre Osteoporose sei sehr schmerzhaft, in der Klinik stellten die Ärzte ihr zuletzt zwei Optionen in Aussicht: ein Leben im Heim im Alter von 50 Jahren oder die häusliche Pflege. Müller wollte so selbstständig wie möglich bleiben, sie entschied sich für einen Pflegedienst.

    Ohne dessen Hilfe stünde sie gänzlich im Regen, das körperlich Notwendige könnte nicht gemacht werden. Bereits jetzt helfe ihr abends die 85-jährige Mutter, doch diese könne unmöglich das nötige Gesamtprogramm leisten. Für Müller ist es irgendwie eine Situation zwischen Wut und Unverständnis, zwischen Hoffen und Bangen.

    Ambulanter Pflegedienst wird vom BRK in Dillingen betrieben

    Arthur Lettenbauer ist Kreisgeschäftsführer des BRK in Donauwörth. Er erklärt, dass der ambulante Pflegedienst seit zwei Jahren nicht mehr unter Donauwörther Ägide betrieben werde, sondern vom BRK in Dillingen. Der Grund: Man habe vormals keine neue Pflegedienstleitung gefunden – und ohne Leitung dürfe ein solcher Dienst nicht geführt werden. Die Kreisverbände hätten sich sodann geeinigt, dass die Donauwörther Station vorerst von den Dillingern mitbetreut werden sollte. So geschah es. Doch nun ließe sich dieses Konstrukt nicht mehr aufrechterhalten, es sei „nicht mehr zu stemmen“, erklärt Lettenbauer.

    Der Markt an Fachkräften ist "leer gefegt"

    Stephan Härpfer führt in Dillingen die Geschäfte. Er bestätigt Lettenbauers Aussagen. Es sei eine schwierige Lage, erläutert er: Für Donauwörth sei keine Leitung zu gewinnen – zwei Jahre habe man gerungen, eine Fachkraft zu finden, doch der Markt sei schlichtweg „leer gefegt“. Tragisch sei die Lage zum einen freilich für die Patienten, zum anderen sei die Station in Donauwörth ja wirtschaftlich gut gelaufen. 80 Klienten wurden von 20 Pflegekräften versorgt. Momentan sind es, nach der Ankündigung der Schließung vor etwa einem Vierteljahr, noch 30 Klienten. Und einige davon sind ab Juli noch unversorgt. Härpfer erklärt, er könne das Blatt nun drehen und wenden wie er wolle, aber „ohne Leitung darf es gesetzlich gesehen eben keinen Pflegedienst geben“. Die Leitung überwache die Qualität, erstelle Dienstpläne, plane die Touren, um nur einige Aufgaben zu nennen. Dies alles ließe sich nicht mehr von Dillingen aus für beide Standorte bewältigen, erklären die beiden BRK-Vorderen.

    Härpfer betont, dass ihn die Schließung der Sozialstation schmerze, zumal er diese mitgegründet habe. Für ihn habe die Entwicklung in der Pflege mitunter politische Gründe: Drei Altenpflegeschulen habe es früher in der Region gegeben, davon sei keine mehr übrig geblieben. Angehende Pfleger mussten bis vor Kurzem Schulgeld für die Ausbildung zahlen – für einen anstrengenden und nicht eben fürstlich entlohnten Beruf: „Da braucht sich doch niemand zu wundern, dass kaum jemand die Arbeit machen will“, sagt Härpfer.

    Bedürftige Menschen "im Stich lassen" während Corona

    Das Ergebnis in einer alternden Gesellschaft: mehr Bedürftige, zu wenige Pfleger – und eben auch zu wenig Leitungspersonal. Dies sei noch schwerer zu finden. Härpfer betont allerdings, dass er stets bereit gewesen sei, den Klienten bei der Suche nach einem neuen Dienst behilflich zu sein: „Es hat aber keiner Kontakt mit mir aufgenommen.“ Härpfer sagt zudem, er habe den beiden großen Mitbewerbern in Donauwörth die Übernahme der BRK-Sozialstation angeboten. Dies sei jedoch nicht angenommen worden.

    Lesen Sie hierzu den Kommentar: Die Notlage in der Pflege ist kein Wunder

    Der BRK-Geschäftsführer bekräftigt, dass man sich an sämtliche bestehenden Verträge halte. Eine der Pflegerinnen des Donauwörther BRK spricht ebenfalls Klartext und stellt ihre Sicht der Dinge dar: Es sei „menschlich und sozial“ nicht zu verstehen, dass die Station schließe. Noch dazu jetzt, während der grassierenden Corona-Pandemie, müsse man die bedürftigen Menschen „einfach im Stich lassen“.

    Falsche Schwerpunkte in der Pflegebranche

    Der 60-Jährigen ist die Verbitterung auch am Telefon anzumerken. In der Branche würden seit Langem mitunter die falschen Schwerpunkte gesetzt, sagt die Mitarbeiterin: Es gehe allem voran um den wirtschaftlichen Ertrag, das Geld, da sei sie überzeugt. Pfleger seien gehalten, möglichst schnell zu arbeiten, für Nähe zum Menschen sei da zu wenig Platz. Die Situation in der Pflege an sich habe sich in den vergangenen Jahren eher noch verschlimmert: Die Bürokratie habe zu-, das Menschliche parallel abgenommen.

    Die Pflegefachkraft berichtet, dass vormalige Patienten des BRK, die mehr pflegerischen Aufwand benötigten, zuletzt recht schnell von anderen Diensten übernommen worden seien, Klienten hingegen, bei denen es „nur“ ums Waschen und Anziehen ginge, täten sich, so die Pflegerin, schwerer bei der Suche nach einem neuen Dienst. Die ganze Lage täte ihr freilich einerseits für die hilfsbedürftigen Menschen leid, andererseits auch für die Pflegenden: „Diesen Beruf muss man mit Herzblut machen – und wir waren ein tolles Team.“

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