Diesen Moment wird Herbert Huber (Name geändert) nie vergessen: Als er am 8. April 2020 in einem Rollstuhl aus der Station 3B des Nördlinger Stiftungskrankenhauses geschoben wird, haben sich Ärzte und Pflegekräfte zu einem Spalier aufgestellt und applaudieren dem Mündlinger. Der ist gerade noch einmal dem Tod entronnen. Er hat sich mit dem Coronavirus infiziert. Die Erkrankung nimmt einen schweren Verlauf. Huber ist einer der ersten Covid-19-Patienten im Donau-Ries-Kreis, die auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Was er in diesen Wochen durchmachen muss, beschreibt er so: „Das ist die Hölle.“ Knapp ein Jahr später hat der 83-Jährige Tränen in den Augen, als er seine Krankengeschichte schildert.
Mitte März im vorigen Jahr feiert der Rentner noch unbeschwert Geburtstag. Zu diesem Zeitpunkt ist die Coronagefahr bereits bekannt, aber irgendwie noch nicht greifbar. Hubers Frau leidet in den Tagen davor an Appetitlosigkeit, hat Halsschmerzen. Auf die Idee, dass das Virus aus China bereits die Familie erreicht hat, kommt niemand.
Innerhalb einer halben Stunde kann der Patient nicht mehr laufen
Am 17. März geht es Herbert Huber plötzlich schlecht: „Innerhalb einer halben Stunde konnte ich nicht mehr laufen.“ Der Hausarzt diagnostiziert eine Lungenentzündung, weist ihn ins Krankenhaus ein. Die Sanitäter, die Huber abholen, merken noch halb im Scherz an, einen Corona-Patienten hätten sie noch nicht gehabt. Was sie nicht ahnen: Sie haben einen vor sich.
Dies kommt heraus, als sich der Gesundheitszustand des Mündlingers am zweiten Tag im Krankenhaus verschlechtert – und endlich das Ergebnis eines Tests vorliegt. Von diesem Moment an geht es Schlag auf Schlag. Am 20. März wird Huber auf die Intensivstation verlegt, bekommt Sauerstoff. „Dann kam der Hammer.“ Am 21. März versetzen die Ärzte den Patienten in ein künstliches Koma und intubieren ihn. Grund: Die Lunge versagt ihren Dienst. Sieben Tage lang schwebt der Senior zwischen Leben und Tod. Er „schläft“ zwar, im Unterbewusstsein durchleidet er nach eigenen Angaben Höllenqualen: „Es fühlte sich wie eine Sirene an, die einem auf den Kopf gehalten wird.“
Das Personal der Intensivstation der Klinik in Nördlingen umsorgt den 83-Jährigen liebevoll
Die Mediziner holen den 83-Jährigen nach einer Woche aus dem Koma zurück, vom 27. März an kann er wieder selbstständig atmen. Doch schon folgt für den sonst so umtriebigen Mann, der die Welt bereist hat, der nächste Tiefschlag: Er ist so schwach, dass er nicht mehr gehen kann. Nicht einmal aufrichten kann er sich: „Ich war zu gar nichts mehr fähig.“ Huber kann auch nicht mehr sprechen.
Er wird in der Klinik aber – so lobt er – liebevoll umsorgt, „wie ein Baby“. Das Personal der Intensivstation nimmt sich alle Zeit, hält ihm sogar das Telefon ans Ohr, um einen Kontakt mit seiner Frau zu ermöglichen. Denn besuchen darf den Infizierten niemand. Sein Zustand bessert sich so weit, dass er das Krankenhaus nach drei Wochen, an jenem 8. April, verlassen kann – als „totaler Pflegefall“, wie seine Gattin berichtet. Die ist dennoch glücklich: „Ich dachte mir: Er lebt und er kommt heim.“
Familie kümmert sich in Mündling rund um die Uhr um den geschwächten Patienten
Eine Tochter zieht vorübergehend bei dem Rentner-Ehepaar ein. Die Familie kümmert sich rund um die Uhr um den 83-Jährigen. Ein Physiotherapeut kommt regelmäßig, um den Patienten zu mobilisieren, wie es in der Fachsprache heißt. „Ich habe mit dem Laufwagen im Wohnzimmer angefangen. Immer und immer wieder. Erst zwei Schritte, dann drei.“ Nach Wochen hat Huber wieder so viel Kraft, dass er mithilfe eines Rollators selbstständig vom Bett aufs Klo gehen kann: „Das war mein größter Wunsch.“ Eine Logopädin übt mit dem Senior, dass er wieder sprechen kann.
Seine Frau sagt rückblickend: „Ich bewundere ihn, wie er das alles geschafft hat.“ Dennoch: Im März 2021 ist Herbert Huber zwar wieder auf den Beinen, leidet aber noch immer unter den Folgen der Corona-Infektion. Die Lunge funktioniert leidlich. Wiederholt muss er das Gespräch wegen Hustenanfällen unterbrechen. Es zieht ihn jeden Tag ins Freie. Mit einem Stock in jeder Hand geht er für 20 oder 30 Minuten spazieren. Seine Frau begleitet ihn.
In dieser Woche wird der 83-Jährige geimpft
Am Dienstag erhält Huber im Impfzentrum in Riedlingen die erste Impfung gegen Corona. Er habe sich darauf gefreut, sagt er. Dass manche Menschen sich nicht an die Maskenpflicht halten wollen, kommentiert er so: „Das ist eine Frechheit.“ Für die Corona-Politik in Deutschland und Bayern habe er grundsätzlich Verständnis, stellt aber auch fest: „Die oberen Damen und Herren wissen genauso wenig wie wir.“
Dem Personal der Station 3B (Infektionsstation) der Nördlinger Klinik dankt Huber vor Weihnachten in einem Schreiben. Die Ärzte und Pflegekräfte antworten mit einer Karte. Darauf steht unter anderem: „Wir denken oft an Sie, es ist bewundernswert, wie Sie diese schwere Krankheit mit Ihrem starken Willen besiegt haben.“ Die Quote der Überlebenden in diesem Alter auf der Intensivstation sei „nicht sehr hoch“, erklärt Dr. Jürgen Heimerl, stellvertretender Leiter der Inneren Medizin. Stand 5. März 2021 befindet sich im Landkreis Donau-Ries nur noch ein einziger Corona-Erkrankter auf einer Intensivstation.
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