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Donau-Ries: Kinderarmut: "Frisches Essen gibt's nur jeden zweiten Tag"

Donau-Ries

Kinderarmut: "Frisches Essen gibt's nur jeden zweiten Tag"

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    Kinderarmut ist auch Familienarmut. Und es gibt sie nicht irgendwo, sondern in der Nähe. Im Kreis Donau-Ries wurden im vergangenen Jahr 690 Mädchen und Buben als arm registriert. 
    Kinderarmut ist auch Familienarmut. Und es gibt sie nicht irgendwo, sondern in der Nähe. Im Kreis Donau-Ries wurden im vergangenen Jahr 690 Mädchen und Buben als arm registriert.  Foto: Stephanie Pilick/Symbolbild (dpa)

    Für die zweijährige Sina (alle Namen geändert) ist die Welt noch in Ordnung. Sie kraxelt auf dem Sofa im Wohnzimmer herum – lebhaft wie viele Kinder ihres Alters – und lacht von einem Ohr zum anderen. Dann nimmt sie einen Stift, malt Kringel auf ein Blatt Papier und erklärt, der eine sei eine Sonne, der andere eine Schnecke, der dritte ihr kleiner Bruder Tim (1 Jahr). Mama und Papa sitzen dabei, schauen liebevoll auf ihre Älteste und freuen sich über das aufgeweckte Mädchen.

    Doch über der vermeintlichen Familien-Idylle hängt sichtbar die soziale Not. Die bald fünfköpfige Familie – Maria Maier wird im Juni erneut entbinden – ist eine der vielen einkommensschwachen unserer Gesellschaft. Ihr Sohn, ihre Tochter und bald auch das neue Baby gehören zu jenen Mädchen und Buben, die in Deutschland unter den Begriff Kinderarmut fallen.

    Kinderarmut passiert in der Nachbarschaft

    Und Kinderarmut ist nichts, was sich fernab abspielt. Kinderarmut passiert in der Nachbarschaft – Tendenz steigend. Im Juni 2015 waren 609 unter 18-Jährige im Landkreis Donau-Ries in dieser Kategorie registriert; im Juni 2018 waren es bereits 690. So informiert die Agentur für Arbeit in Donauwörth auf Anfrage unserer Redaktion. Meist sind es Kinder von Hartz IV-Empfängern, das bedeutet im Amtsdeutsch: Ihren Familien werden Leistungen der Grundsicherung und weitere gewährt. Doch diese Unterstützung reicht oft nicht aus.

    Das Haus, in dem die Familie Maier/Fischer in einer Stadt im Landkreis Donau-Ries lebt, ist abgewohnt. Außen wie innen besteht Sanierungsbedarf. Die Einrichtung spricht ebenfalls Bände. Viel Geld bleibt nicht übrig, um es in einen Wandanstrich oder neue Möbel zu investieren. Eigentlich bleibt überhaupt nichts übrig, um sich etwas davon zu gönnen. „Frisches Essen gibts nur jeden zweiten Tag“, sagt Maria Maier. „und oft genug sind es nur Nudeln mit Soße.“ Wenn die Geburtstage der Kinder anstehen, dann werden keine Geschenke gekauft, sondern es wird improvisiert. „Um den beiden – gebrauchte – Kleidung kaufen zu können, legen wir jeden Monat fünf Euro zur Seite.“

    Jede Preiserhöhung wird mit Sorge registriert

    Die Werbe-Broschüren der Discounter mit Sonderangeboten sind zur Tageslektüre geworden. Preise für Eier, Brot und Milch kennen die Maiers in- und auswendig. Jede Erhöhung registrieren sie mit Sorge.

    Das Familien-Auto braucht Michael Fischer, um damit zu seinem 35 Kilometer entfernten Arbeitsplatz zu fahren. Spritkosten belasten ganz erheblich das Familienbudget. Aber selbst wenn die Eltern sich private Ausflugsfahrten mit ihren Kindern leisten könnten, wären für sie die Eintrittspreise für Zoo, Freizeitparks oder anderes mehr unerschwinglich. „So bleiben wir eben daheim“, schildert Maria Maier tapfer. „Bei schönem Wetter gehen wir auf den Spielplatz oder toben im Garten.“

    1600 Euro netto verdient Michael Fischer (40) momentan. Er ist Zimmerer und hat einen auf ein Jahr befristeten Vertrag, der in Bälde ausläuft. Demnächst geht es für ihn also um Arbeitslosengeld.

    Maria Maier (31) hat Einzelhandelskauffrau gelernt, hat aber kurz vor ihrer ersten Schwangerschaft nach einem Unfall ihre Stelle verloren. Derzeit bekommt sie Elterngeld – noch bis März. Dann weiß sie nicht einmal, wie sie sich und die Kinder krankenversichern soll. Bisher läuft das über das Elterngeld. „Wenn wir heiraten würden, wären wenigstens die Kinder über ihren Vater mitversichert“, schildert Maria Maier. „Aber wir wollen nicht unbedingt aus diesem Motiv heraus eine Ehe eingehen. Und eine Hochzeit kostet auch Geld.“ Für Sina und Tim bekommt das Paar insgesamt 398 Euro Kindergeld.

    Die Kaltmiete für das Häuschen liegt bei 550 Euro. Dazu kommen nach Maier/Fischers Angaben Heizung (230 Euro), Strom (180 Euro), Wasser (59 Euro), Telefon (50 Euro), Müllabfuhr, Sprit und der Unterhalt für ein Kind aus Michael Fischers früherer Ehe. Am Ende bleiben pro Monat etwa 300 Euro für Essen, Kleidung und anderes übrig.

    Was bedeutet eigentlich arm?

    Man unterscheidet einen absoluten und einen relativen Armutsbegriff. Beim absoluten Armutsbegriff geht es um Unterversorgung, zum Beispiel in Drittwelt-Ländern, beim zweiten um den Lebensstandard.

    In Deutschland gilt als arm, wer maximal 50 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat, Armutsgrenze bzw. Armutsgefährdung liegt bei 60 Prozent. Letzteres trifft auf 16 Prozent der Bevölkerung zu. Das sind 13 Millionen Menschen.

    Als Armutsgrenze gilt in Deutschland für eine alleinstehende Person ein Einkommen von 979 Euro monatlich, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt der Schwellenwert bei 2056 Euro im Monat, so das Finanzportal Cecu. (AN)

    Armut isoliert Familien und Kinder aus der Gesellschaft

    Mal zum Italiener oder ins Kino zu gehen, Theater– und Schwimmbadbesuche, Urlaub oder ähnliches mehr gibt es nicht. Arme Menschen können nicht am gesellschaftlichen oder kulturellen Leben teilnehmen. Bildung- und Freizeitangebote werden zum unerschwinglichen Luxus. Armut schränkt ein. Und Armut isoliert.

    Sich Hilfe zu holen, fällt den Maiers/Fischers schwer. Sie waren beim Jobcenter und bereiten gerade ihren Antrag auf Hartz IV vor. Andere Angebote von Vereinen und Verbänden nehmen sie nur dann wahr, wenn es gar nicht anders geht. „Wir haben Hemmungen, uns jedes Mal wieder quasi ’nackt auszuziehen’. Und wir haben immer Angst vor Ablehnung. Manchmal bekommen wir auch zu hören: Warum haben sie denn Kinder, wenn Sie sich die nicht leisten können.“ Sich als arm zu offenbaren hat auch etwas mit dem Verlust von Würde zu tun.

    Dabei sind sie dankbar, wenn ihnen jemand unter die Arme greift. Die „Kartei der Not“, das Leserhilfswerk unserer Zeitung, hat die Gasrechnung für den Winter bezuschusst und der Familie eine Last abgenommen. „Es war mir höchst peinlich“, sagt Fischer, „aber wir konnten es uns nicht mehr leisten.“

    Eine allgemein gültige Definition von Kinderarmut gibt es nicht. Für die Abteilung Sozialwesen am Landratsamt Donau-Ries ist der Anspruch der Eltern auf Arbeitslosengeld II/Hartz IV das entscheidende Kriterium. „Für uns beginnt Armut, wenn das Einkommen der Eltern nicht ausreicht, um das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern“, sagt Abteilungsleiter Ernst Bühringer. Stellt ein Bedürftiger beim Jobcenter einen Antrag auf finanzielle Unterstützung, wird eine Bedarfsrechnung gemacht.

    Für eine vierköpfige Familie nimmt das Sozialamt als Regelsatz zum Leben je 382 für die Eltern an sowie bei Kindern im Alter der Familie Maier/Fischer jeweils 245 Euro pro Kind. Diese Zuwendung ist nach Alter gestaffelt. Dazu gibt es Geld für Unterkunft und Heizkosten. Dieser Summe wird das Einkommen der Familie gegenübergestellt. Wenn es geringer ist als der Bedarf, wird in der Regel Unterstützung gewährt.

    Jeder Fall muss individuell betrachtet werden

    Allerdings gleicht kein Fall dem anderen. Jedes Schicksal ist individuell und muss entsprechend überprüft werden. Der Staat leistet auch weitere Formen von Unterstützung etwa Schulbeihilfe, damit Mädchen und Buben nicht von Klassenausflügen ausgegrenzt werden. Auch für gemeinschaftliches Mittagessen an den Schulen gibt es Extrageld und für die Teilnahme im Sportverein, an Musikstunden und so weiter. „Diese Möglichkeiten bestehen“, so Bühringer, „müssen aber beantragt werden.“

    Von solchen Aktivitäten ist die Familie Maier/Fischer noch weit weg. Doch ist ihr schon jetzt bewusst, dass die Ansprüche ihrer Kinder steigen. „Ich denke, dass es in ein paar Jahren besser wird, wenn ich wieder arbeiten kann“, hofft Maria Maier. Für sie steht jedenfalls fest: „Schlimmer als es jetzt ist, kann es nicht werden.“

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