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Donau-Ries: Interview mit Chefarzt aus Nördlingen: „Wir arbeiten unter Volllast“

Donau-Ries

Interview mit Chefarzt aus Nördlingen: „Wir arbeiten unter Volllast“

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    Professor Bernhard Kuch hat die Pandemie und ihre Entwicklung seit dem Frühjahr hautnah miterlebt. Er kümmert sich um die schwer erkrankten Patienten in der Region. Dass das Virus so leicht übertragbar ist, hat auch ihn überrascht.
    Professor Bernhard Kuch hat die Pandemie und ihre Entwicklung seit dem Frühjahr hautnah miterlebt. Er kümmert sich um die schwer erkrankten Patienten in der Region. Dass das Virus so leicht übertragbar ist, hat auch ihn überrascht. Foto: Szilvia Izsó

    Die Lage auf den Intensivstationen in den Kliniken des Landkreises Donau-Ries spitzt sich weiter zu. Professor Bernhard Kuch behandelt seit dem Auftreten des Coronavirus in der Region die schwer Erkrankten. Der Chefarzt im Stiftungskrankenhaus Nördlingen erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung, warum das Coronavirus keinesfalls klein zureden sei.

    Herr Professor Kuch, Sie sind von Anfang an mit dem Coronavirus im Landkreis Donau-Ries befasst – und zwar direkt an den Krankenbetten. Wie würden Sie die Entwicklung der Pandemie in der Region seit März beschreiben?

    Bernhard Kuch: Die Entwicklung in der Region entspricht exakt der im Freistaat Bayern an sich, da gibt es insgesamt keine Unterschiede. Im Frühjahr gab es einen Gipfel, dann im Sommer eine Abflachung – und schließlich einen erheblichen Anstieg im Herbst. Zunächst erschien das Virus weit weg, als uns die ersten Berichte Anfang des Jahres aus China erreichten. In der Folge erreichten uns dann die tragischen Bilder aus Italien und auch klare Warnungen von italienischen Medizinern: „Nehmt dieses Virus ernst, es kann dramatisch werden.“ Schließlich folgte dann der erste bekannte Ausbruch beim Mitarbeiter der Firma Webasto hierzulande. Anfangs hatten wir selbst wenige Fälle in unseren Häusern – aber es wurde eben auch wenig getestet.

    "Wir sahen gleich: Dieser Virus ist aggressiv"

    Was dachten Sie, als Sie die ersten Corona-Fälle bei Ihnen im Krankenhaus behandeln mussten – und wie haben Sie in der Klinik reagiert?

    Kuch: Wir sahen gleich: Dieses Virus ist aggressiv, es kann die Lunge schnell und heftig befallen. Bayern hat relativ schnell reagiert mit der Ausrufung des Katastrophenfalls und mit der Vernetzung, beziehungsweise mit dem Zusammenschluss der Krankenhäuser. Wir haben uns dann gewappnet für einen größeren Ansturm, haben prophylaktisch unsere Kapazitäten für Covid-19-Patienten erweitert. Zusätzliche Intensivkapazitäten wurden installiert. Personal aus anderen Bereichen wurde für den Intensivbereich angelernt und wir haben versucht, genug Beatmungsmaschinen zu bekommen – was schwierig war in einer weltweiten pandemischen Lage. In der ersten Welle war das Haus in Donauwörth etwas stärker betroffen, was mit einigen Hotspots – etwa in Harburg – zusammenhing. Insgesamt war die erste Phase der Pandemie sehr anstrengend: Wir haben Personal geschult, Kapazitäten aus- und aufgebaut und mussten gleichzeitig anderes absagen. Die Erfahrungen dienen uns nun als Blaupause und als Lehrstunde für die aktuelle zweite Welle. Den Ausbau mussten wir bei der ersten Welle nicht in Anspruch nehmen. Wir fahren die Zusatzkapazitäten momentan auch noch nicht hoch, denn wir haben durchaus einen personellen Engpass. Nur im absoluten Notfall würden wir das tun.

    Wie beurteilen Sie das Coronavirus als Mediziner, der die Verläufe im Krankenhaus erlebt hat?

    Kuch: Ich hätte nicht gedacht, dass es sich so heftig auswirken kann. Die enorm leichte Übertragbarkeit hat uns überrascht und überrannt. Klar, in den allermeisten Fällen fühlt sich eine Corona-Infektion wie ein normaler grippaler Infekt an. Aber das Virus ist definitiv wesentlich gefährlicher. Wir wissen noch nicht genau, bei wem und warum das Virus jene heftigen Auswirkungen hat. Manchmal geht es nicht in die Lunge, in anderen Fällen kann es – wenn es denn die Lunge befällt – diese heftigen Verläufe der Erkrankung nach sich ziehen. Wenn es die Lunge befällt, ist es wahrscheinlicher, dass es ein Jüngerer das besser packt, weil er eher noch die Reserven, die notwendige Kraft hat. Ältere sind daher generell stärker gefährdet. Und trotzdem: Insgesamt ist es noch recht unklar, wer mehr oder weniger stark betroffen ist, wenn das Virus die Lunge betrifft. Es gibt zudem wenige spezifische Maßnahmen hinsichtlich der Medikamente, die man ergreifen könnte und wir wissen ebenfalls noch zu wenig über eventuelle Langzeitschäden.

    Wer befindet sich momentan auf der Intensivstation in Ihrem Haus?

    Kuch: Es ist gemischt. Tagesaktuell haben wir vier Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. Einer davon ist fortgeschrittenen Alters – wir haben ihn heute von der Beatmung entbunden; allerdings ist er sehr schwach und krank, er wird es wohl nicht schaffen. Zudem liegt ein 60-Jähriger auf der Intensivstation, der eigentlich fit war. Zwei Patienten sind zwischen 70 und 80 Jahre alt. Die Zusammensetzung ist in Donauwörth ähnlich. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch jüngere Menschen treffen kann. Eine 42-Jährige, nicht vorerkrankte Frau war zuletzt unsere jüngste beatmete Patientin. Ihr geht es aber inzwischen wieder gut.

    Chefarzt im Stiftungskrankenhaus Nördlingen: "Wir laufen unter Volllast"

    Wie sind Ihre Prognosen für die Corona-Lage in den Kreiskliniken?

    Kuch: Wir laufen unter Volllast – was das Personal betrifft als auch alles andere. Wir müssen ja auch betrachten, dass immer wieder Personal selbst infiziert ist und in Quarantäne muss. Zugleich haben wir mit weiteren, jahreszeit-typischen Infektionen zu kämpfen. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen treten im Winter häufiger auf. In dieser Zeit sind wir unter normalen Umständen schon überlastet. Trotzdem: Noch geht es, auch wenn wir maximal angespannt sind. Wir haben sehr oft Fallkonferenzen, auch mit den Kollegen in Donauwörth, Oettingen und Augsburg. Wir arbeiten unter extrem hoher Belastung – ich kann mein Personal da wirklich nur loben. Das Personal hat viel mehr Visiten, und das immer in voller Montur. Ich denke, wir bekommen es derzeit hin. Unser Gesundheitssystem wurde zudem nicht in dem Maße abgebaut, wie das in Italien und Großbritannien geschehen war in der Vergangenheit. Aber dennoch, auf diesem Level zu arbeiten wie derzeit, das geht vielleicht noch zwei bis vier Monate – aber auf Dauer ließe sich die Arbeit so nicht durchführen.

    Was macht hierzulande den Unterschied aus, etwa im Gegensatz zur Lage in Italien oder England?

    Kuch: Es gab ja auch bei uns kurz vor der Pandemie die Debatte, ob Kliniken nicht eher nur in die Ballungsräume gehörten. Davon ist jetzt nur noch wenig zu hören, denn die flächendeckende Versorgung für die Bevölkerung hat sich als richtig erwiesen. Im Landkreis Donau-Ries sind wir seit Jahren einen Weg des Aufbaus gegangen – ich selbst durfte hier die Kardiologie und die Intensivmedizin in Nördlingen mit aufbauen. Wenn wir diese Bereiche jetzt nicht hätten, könnten wir die Covid-19-Fälle hier gar nicht behandeln. Wir brauchen eine flächendeckende Versorgung. Die Kapazitäten, auch die personellen, müssen zudem auch außerhalb einer Pandemie bereitstehen. Wir müssen Ressourcen vorhalten und wir dürfen uns eben nicht nur auf die Zentren konzentrieren.

    Wie bewerten Sie die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung?

    Kuch: Ohne den sogenannten Lockdown light würden wir nun relativ schnell eine Phase erleben, wie sie in anderen Ländern zu beobachten ist und war. Es hört sich insgesamt nach wenigen Patienten auf der einzelnen Intensivstation an – so ist es aber nicht. Bei einer Pandemie mit einem Virus mit so dermaßen ausgeprägter Übertragbarkeit und solch einem exponentiellen Wachstum haben sie von jetzt auf gleich sechs Patienten für eine Beatmungsmaschine; das sollten und wollen wir verhindern. Zudem halte ich es für ethisch nicht vertretbar zu sagen, dass beispielsweise alte Menschen doch sowieso irgendwann sterben müssen – nein, man sollte ihnen und ihren Angehörigen ein vorzeitiges Leid so gut wie möglich ersparen.

    Chefarzt aus Nördlingen geht von normalen Zuständen ab Sommer oder Herbst 2021 aus

    Wie lauten Ihre Empfehlungen für die kommenden Wochen und Monate?

    Kuch: Wir kommen nicht umhin, uns massiv einzuschränken. Lieber ein härterer, dafür aber kurzfristiger Lockdown. Ich habe Zuversicht und Hoffnung, was die Impfung betrifft. Die Impfstoffe erscheinen mir als wirksam und nur mit wenigen Risiken behaftet. Wir haben hierzulande gute Chancen, genug Dosen vorhalten zu können, um die Bevölkerung durchzuimpfen. Die Bereitschaft der Menschen dazu sollte aber auch da sein. Wenn dem so ist, dann gehe ich davon aus, dass wir im Sommer oder Herbst nächsten Jahres wieder normalere Zustände haben.

    Was antworten Sie denn den Menschen, die Corona leugnen oder als lediglich leichte Krankheit bewerten und die Maßnahmen als übertrieben bezeichnen?

    Kuch: Ich würde diesen Menschen am liebsten sagen: Kommt her, schaut es euch auf der Intensivstation an, wie sich das Virus auswirken kann. Viele Menschen ändern ihre Meinung erst dann, wenn sie in ihrer Umgebung eine Erkrankung miterleben.

    Interview: Thomas Hilgendorf

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