Gerhard Wiedemann tut sich noch etwas schwer mit dem Atmen, man hört das am Telefon. Acht Wochen ist es her, als er zunächst das Fieber merkte und sich kurz danach plötzlich alles änderte. Prompt, mit heftiger Ankündigung. Wiedemann machte eine schwere Form von Covid-19 mit. Er will seine Erkrankung nicht verdrängen oder gar totschweigen – aus zwei Gründen: Zum einen wünscht er sich, dass die Arbeit der Pflegekräfte und Mediziner wirklich nachhaltig respektiert wird; zum anderen soll sein Bericht dazu beitragen, das Coronavirus keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen.
Er hätte es nicht gedacht, dass ihn das winzige Virus so hart treffen könnte. Wiedemann ist Werkleiter des Abfallwirtschaftsverbands Nordschwaben (AWV), steht mitten im Leben, fühlte sich stets topfit. Auch mit 65 Jahren trainierte der Vater zweier erwachsener Söhne zweimal die Woche Tennis.
"Ich hatte keine Vorerkrankungen, mir fehlte nichts"
„Ich habe keine Vorerkrankungen, eigentlich fehlte mir nichts“, sagt Wiedemann, der am Anfang des Telefonats noch ziemlich aus der Puste ist: „Ich musste eben gerade die Treppe runter ans Telefon – sie hören ja, wie anstrengend das für mich noch ist.“ Acht Wochen ist es her, dass die Symptome begannen: Fieber, starke Kopf- und Gliederschmerzen. Dann ging es bergauf, zunächst: Nach vier bis fünf Tagen war wieder ein Durchschlafen möglich. Doch die Ruhe nach dem ersten Sturm im Körper war eine trügerische. Corona tat das, was es manchmal bei dem einen tut – und beim anderen manchmal auch nicht. Wiedemann gehört zur erstgenannten Gruppe: Bei ihm war die Attacke auf die Lunge mit voller Wucht nach dem ersten Abflauen der Symptome umso heftiger spürbar, das Virus setzte sich penetrant auf das Atemorgan.
Zwei Tage mit Atemnot machte Wiedemann durch. „Es ist schwer zu beschreiben, wie sich das anfühlt; man will einatmen, ringt nach Luft, doch wenn man mal einen ausreichenden Atemzug nehmen will, hustet man unweigerlich, ringt wieder nach Luft“, sagt der 65-Jährige und fasst die Bilanz dieser Tage wiederholt eindringlich zusammen: „Das ist die Hölle, wenn das Virus so auf die Lunge geht.“ Eine herkömmliche Grippe sei in diesem Zusammenhang „gar nichts dagegen“.
Nach Rücksprache mit seinem Hausarzt ging es für Wiedemann schließlich in die Klinik, in das Stiftungskrankenhaus nach Nördlingen, wo er sofort vom Team um Chefarzt Professor Bernhard Kuch und Funktionsoberarzt Dr. Mozes-Attila Szakacs „mit Hingabe umsorgt“ worden sei, wie es Wiedemann bewusst ausdrückte: „Diese Menschen – die Pflegekräfte und die Ärzte – leisten so Unglaubliches. Sie schwätzen nicht, sie kümmern sich einfach, und das trotz des Stresses mit Leidenschaft.“
Wiedemann entschuldigt sich kurz – ihm kommen die Tränen, wenn er an die aufopferungsvolle Arbeit des Klinikpersonals denkt: „Es war immer ein nettes Wort, viel Mitgefühl da“, obwohl auch nur eine kurze Visite bei einem Covid-Patienten einen enormen Aufwand für die Pfleger und Ärzte mit sich bringt: Es geht nur im kompletten Vollschutz unter Beachtung sämtlicher Vorkehrung des Infektions- und Hygieneschutzes.
Zu seiner Familie hielt Wiedemann über Nachrichten per Handy Kontakt. Ein Mobiltelefon als Verbindung zu den Liebsten zu Hause. Die beiden Söhne, die längst nicht mehr zu Hause wohnen, und seine Frau, hatten sich ebenfalls infiziert. Alle hatten Symptome, unterschiedlich stark ausgeprägt – doch bei keinem hat es die Lunge so erwischt wie bei ihm. Man kann die Uhr nicht danach stellen, wie sich das Coronavirus beim Einzelnen auswirkt, auch das eine dieser Tücken bei Covid-19.
Das Testament hatte er schon ins Handy getippt
In der Zeit in der Klinik ist es Spitz auf Knopf gestanden, ob Wiedemann ins künstliche Koma versetzt werden muss. Die Sauerstoffsättigung sei desolat gewesen, sagt Wiedemann. All das habe er bewusst miterlebt. Das Ebola-Mittel Remdesivir hat letztlich angeschlagen, „Gott sei Dank“, wie Wiedemann rückblickend sagt. Was ihm zusätzlich Kraft gab, sei das Gefühl gewesen, „nicht irgendwo in einer anonymen Großklinik zu sein, sondern in einer bekannten Umgebung“: „Ich konnte von meinem Fenster auf den Berg schauen, wo ich als Kind Schlitten gefahren bin“, sagt der 65-Jährige. Das alles, das Gefühl des Behütet-Seins in vielfacher Hinsicht, es habe ihm Energie gegeben.
Acht Tage war Wiedemann im Krankenhaus in Nördlingen, acht prägende Tage. Er habe den letzten Willen schon in sein Smartphone getippt, sagt er. Auf „Senden“ habe er jedoch nicht gedrückt.
Wie es ihm heute gehe? Ja, er spüre die Folgen noch, so ganz auf der Höhe sei er körperlich noch immer nicht; alles sei ein wenig anstrengend. Seine Frau leide ebenfalls noch unter dieser gewissen Kraftlosigkeit. „Das Virus macht viele verschiedene Dinge“, sagt er. Es sei wirklich so unberechenbar, wie es von den Warnern und Mahnern beschrieben werde. Insofern unterstütze er auch die neuen Verschärfungen der Regierung, was die Einschränkungen des Alltags der Menschen betrifft: „Das ist absolut nachvollziehbar, allein aus Respekt vor den Pflegern und Ärzten.“
Wiedemann kämpft sich langsam zurück. Ab kommender Woche will er wieder arbeiten, wenn auch vorerst halbtags. Er hofft, dass es mit dem Tennis in nicht allzu ferner Zukunft weitergehen könnte. Aber das sei nicht das Entscheidende.
Wo er sich wie infizierte, ob im privaten oder beruflichen Umfeld, das kann Wiedemann bis heute nicht einwandfrei nachvollziehen. Es sei auch müßig darüber zu lamentieren und womöglich noch irgendeine Schuld zu suchen. Nein, das wolle er nicht, es bringe nichts. Das Virus sei eben so hochgradig ansteckend wie tückisch.
Und wie begegnet er jenen, die den aktuellen Umgang mit dem Virus für übertrieben halten? Er gebe nichts auf jenes „Geschwätz“ – er habe schließlich die möglichen Auswirkungen von Corona am eigenen Leib erfahren.
Lesen Sie auch:
- Gesundheitsamt Donau-Ries meldet sechs Todesfälle mit Corona
- Corona-Ausbruch in Sankt Johannes
- Corona: Wird im Donau-Ries-Kreis ab dem 5. Januar geimpft?