Startseite
Icon Pfeil nach unten
Dillingen
Icon Pfeil nach unten

Wittislingen: Klima-Serie: Wie Freiwillige in Wittislingen eine Rettungsinsel schaffen

Wittislingen

Klima-Serie: Wie Freiwillige in Wittislingen eine Rettungsinsel schaffen

    • |
    Tümpel im Wittislinger Ried wie dieser sollten als Wasserspeicher dienen. Doch in den vergangenen Monaten hat es viel zu wenig geregnet.
    Tümpel im Wittislinger Ried wie dieser sollten als Wasserspeicher dienen. Doch in den vergangenen Monaten hat es viel zu wenig geregnet. Foto: Carolin Stoll

    Mittendrin im Wittislinger Ried spürt man die Magie dieses Ortes erst richtig. Wenn der Lärm der Straße nach Mödingen zur Erinnerung in der Ferne wird, verschluckt vom Geäst der Büsche und Sträucher, offenbart die Natur ihre ganze Vielfalt, von den Schwalben in der Luft bis zu unscheinbaren Erdkröten und tausenden Zikaden am Boden. Harald Böck nennt es ein "kleines Paradies". Denn drinnen im Naturschutzgebiet gibt es viele Tiere und Pflanzen, die man draußen wenn überhaupt selten zu Gesicht bekommt. Das Wittislinger Ried ist ihre Rettungsinsel.

    Gerade ist wieder viel los im Niedermoor. Denn damit die Tiere und Pflanzen dort erhalten bleiben, braucht es Freiwillige, die anpacken. In der Ferne, am Ende einer großen Wiese, hört man dann doch einen Motor laufen. Der Landschaftspfleger Johannes Prifling steht auf einem breiten Gerät mit Mähwerk und Walzen mit Stacheln als Räder, einem sogenannten Stachelwalzenbalkenmäher, und kürzt das hohe Gras. Mit normalem Gerät ist hier kein Durchkommen, zu uneben ist das Gelände. Deshalb greift er auf den speziellen Mäher zurück. Die Mahd selbst räumen am Wochenende dann freiwillige Helferinnen und Helfer zusammen.

    Dieses Gerät nennt sich Stachelwalzenbalkenmäher und ist im unwegsamen Moor besonders praktisch. Johannes Prifling mäht damit die Wiesen ab. Er hat sich damit selbstständig gemacht.
    Dieses Gerät nennt sich Stachelwalzenbalkenmäher und ist im unwegsamen Moor besonders praktisch. Johannes Prifling mäht damit die Wiesen ab. Er hat sich damit selbstständig gemacht. Foto: Jonathan Mayer

    Ohne Freiwillige würden viele Arten aus dem Wittislinger Moor vertrieben

    Was passieren würde, wenn es diese nicht gäbe, sieht man wenige Meter weiter auf einer noch nicht gemähten Wiese. Büsche versperren die Sicht. Harald Böck, der bereits in den 1980ern die Arbeitsgemeinschaft Wittislinger Ried ins Leben rief, zeigt auf eine Stelle, an der goldgelbe Blüten herausstechen: die Goldrute. "Wenn wir zu lange warten, breitet sie sich hier überall aus", sagt er. Die typischen Pflanzen im Moor sind wichtig fürs Klima, weil sie besonders viel CO₂ speichern können. Doch Pflanzen wie das Flache Quellried oder das Sumpf-Herzblatt werden verdrängt durch solche, die im Niedermoor eigentlich nichts verloren haben, wie die Goldrute oder die Rauhaarige Gänsekresse. Damit das Ökosystem Moor erhalten bleibt, arbeiten in diesen Wochen dutzende Freiwillige in Wittislingen. Jeden zweiten Samstag kommen sie im Ried zusammen und tragen die Mahd ab, die dann von einem Landwirt als Streu ausgebracht wird. Das Motto: Die Natur sich selbst überlassen und ihr unter die Arme greifen, wenn es nötig wird.

    Seit Jahrzehnten ist der Ornithologe Harald Böck im Einsatz für das Wittislinger Ried.
    Seit Jahrzehnten ist der Ornithologe Harald Böck im Einsatz für das Wittislinger Ried. Foto: Jonathan Mayer

    Der Ornithologe Böck kennt jeden Grashalm, jeden Vogel im Wittislinger Ried. Ihm zufolge gibt es hier 430 verschiedene Pflanzenarten, 53 davon stehen auf der Roten Liste bedrohter Arten. Außerdem wurden 155 verschiedene Vogelarten gezählt, von denen 15 als gefährdet gelten. Ihnen bietet dieser Ort Schutz. Doch auch an ihm geht der Artenschwund nicht spurlos vorbei. Die Bekassine etwa, die zwar als ungefährdet gilt, deren Bestand aber stark abnimmt, ist in Wittislingen nicht mehr anzutreffen. Sie zeichnet sich durch den markanten langen Schnabel aus. Böcks Hoffnung: Wenn das Wittislinger Moor irgendwann wiedervernässt wird, kehrt auch sie zurück - zusammen mit vielen anderen Arten. Ein anderes Beispiel: der Baumpieper. 16 Brutpaare habe es vor vierzig Jahren hier gegeben, heute gibt es kein einziges mehr. Doch wann das Moor wiedervernässt wird, ist unklar. Die wasserrechtliche Genehmigung steht noch aus. Erst dann können die Entwässerungsgräben zugeschüttet und Bäche umgeleitet werden.

    Die Dürre hat auch im Wittislinger Moor Spuren hinterlassen

    Und dann ist da noch die Dürre. Auch sie hat ihre Spuren im Ried hinterlassen. Böck zeigt Mulden in den Wiesen, die die Arbeitsgemeinschaft angelegt hat. Eigentlich dienen die Tümpel als Wasserreserven. Nur ist da kein Wasser. "Mein Herz blutet", sagt Böck, als er auf die trockene Landschaft blickt. Schon nach dem besonders heißen Sommer 2018 habe es diese Probleme gegeben. "Das hat sich nie mehr so erholt", sagt Böck. Umso wichtiger sei, dass das Niedermoor bald wiedervernässt werde.

    In den vergangenen Jahrzehnten ist das Wittislinger Ried gewachsen. Das ist der Initiative der Naturschutzverbände zu verdanken. In den 1980ern war vieles hier noch Acker. Die Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus Bund Naturschutz, Landesbund für Vogelschutz und Nabu, kaufte 65 Hektar Fläche dazu. Heute umfasst das Ried 120 Hektar, von denen ein großer Teil aber nicht zur Kernzone gehört, sondern außerhalb liegt und von Landwirten extensiv, also ohne Düngemittel und naturschonend, bewirtschaftet wird. Die Arbeitsgemeinschaft arbeitet dafür, dass nicht zuwächst und dieser Lebensraum für seltene Arten nicht verloren geht.

    Im Wittislinger Ried ist man immer auf der Suche nach freiwilligen Helfern

    Wenn Harald Böck spricht, schwingt auch die Sorge um die Zukunft mit. Denn die Freiwilligen im Ried werden älter, Nachwuchs kommt kaum nach. Böck formuliert es so: Es gebe - gerade in der Klimakrise - viele Mundwerker, aber wenige Handwerker, die wirklich anpacken. Wer will, kann sich den Freiwilligen anschließen.

    Am Samstag, 17. September, und Samstag, 1. Oktober ab 8 Uhr morgens. Treffpunkt ist an der Einmündung der Hühnergasse in die Kreisstraße von Zöschlingsweiler nach Maria Medingen. Mitzubringen sind festes Schuhwerk wie Gummistiefel und Handschuhe. Anmeldung bei Harald Böck unter 07322/24647 oder bei Carolin Stoll unter 09076/958363 oder per Mail an: carolin.stoll@freenet.de.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden