Jeden Abend erzählt das Sandmännchen eine kleine Geschichte. Zum Schluss greift es in sein Säckchen und streut Schlafsand. Dann schlafen alle Kinder selig ein. Vor 60 Jahren wurde das Sandmännchen zum ersten Mal im Fernsehen ausgestrahlt. Zum Jubiläum erzählen wir auch kleine Gute-Nacht-Geschichten aus der Region. Zum Vorlesen, zum selber Lesen, zum Einschlafen.
Die Nixe Neinneinnein tobt. Ihre winzigkleine Schwanzflosse haut immer wieder mit voller Wucht auf das Wasser, dass es nur so spritzt. Sie ist stinksauer. Auf einen Fluss, der nicht so will wie sie. Der Fluss, die Zusam, und die Nixe, streiten sich schon seit vielen, vielen tausend Jahren. Doch eine Versöhnung ist nicht in Sicht. Wie auch? Die Nixe will, dass der Fluss in die andere Richtung fließt – oder am besten ganz stehenbleibt. Kannst Du Dir das vorstellen? Dass ein Fluss plötzlich andersherum fließt? Das geht doch gar nicht! Doch egal, wie oft die Zusam das der Nixe sagt, es hilft nichts. Das hat dazu geführt, dass die Zusam inzwischen auch richtig sauer auf die Nixe ist. Denn auch die kleine Nixe, die nicht größer ist als eine Kaulquappe, macht es dem Fluss nicht recht. Egal, was die Zusam zur Nixe sagt, die antwortet immer nur mit: „Nein, nein, nein.“ Wie soll man sich mit so jemandem unterhalten?
Wenn die beiden nicht gerade miteinander streiten, reden sie nicht miteinander. Es gibt also nur noch laut und leise. Doch warum soll das Wasser überhaupt andersherum fließen? Neinneinnein wohnt im alten Mühlrad. Angetrieben von der Zusam dreht es sich immer wieder gemütlich um die eigene Achse. Jedes Mal, wenn die Wohnung der Nixe auftaucht, liegt Neinneinnein auf dem Trockenen. Atmen kann die Nixe aber nur unter Wasser. Also muss sie jedes Mal die Luft anhalten, wenn ihre Wohnung wieder auftaucht. Das ist natürlich wahnsinnig anstrengend.
So ein Mühlrad dreht sich ja ununterbrochen. Und schuld daran ist die Zusam. Die Nixe hofft, wenn der Fluss andersherum fließt, dass sich das Wasserrad dann nicht mehr mitdreht. Und sie endlich gemütlich unter Wasser wohnen, kochen und fernsehen kann. Denn natürlich schaut die Nixe auch fern – wer tut das nicht. Aber jedes Mal, wenn ihre Wohnung auftaucht, muss Neinneinnein nicht nur die Luft anhalten, sondern auch die Augen zu machen. Sonst brennen die. Also sieht sie nie eine Sendung ganz. Das treibt die kleine Nixe in den Wahnsinn.
„Zieh doch einfach aus“, sagt die Zusam leichthin. „Du kannst Dir bei mir auch eine schöne Wohnung einrichten, mit Handyempfang, Fernsehen, Radio und einer schönen, multifunktionalen Küche.“ Das sagt der Fluss heute. Vor vielen hundert Jahren hat die Zusam mit ihrem weichen Flussbett, ihren angenehmen Temperaturen und ihrem reinen Wasser geworben. Doch das sind inzwischen Standards, also bietet die Zusam jedes Jahr ein bisschen mehr an. Klingt verlockend, nur nicht für unsere Nixe. Die sagt immer nur „Nein, nein, nein“.
Denn insgeheim hängt sie an dem Wasserrad: Wenn ihre Wohnung auftaucht, kann sie hören, was auf der Brücke über ihr gesprochen wird. Was sich die Leute so erzählen. Auch das hat sich in den vergangenen Jahren sehr geändert. Früher, da gehörte das Wasserrad zu einer Getreidemühle. Dort wurde Getreide zu Mehl gemahlen. Die Arbeit war hart, die Menschen redeten nicht viel miteinander. Erst war es mit dem Getreide vorbei, und auch das Sägewerk, das vom Wasserrad angetrieben wurde, gibt es längst nicht mehr.
Dennoch, und das gefällt der Nixe so sehr, richtig still wurde es nie. Inzwischen laufen viele Menschen am Wasserrad vorbei. Im Sommer sitzen sie auf der Zusam-Insel und unterhalten sich. Die Nixe Neinneinnein findet das unheimlich spannend. Kein Wunder: Schließlich guckt die Nixe am liebsten Krimis – und in die vermischen sich dann, jedes Mal, wenn ihre Wohnung auftaucht, die Worte der Menschen in Wertingen.
So entstehen ganz verrückte Geschichten. Blöderweise hat Neinneinnein genau dann immer die Augen zu, aber das stört sie gar nicht. Nein, am liebsten würde sie eine Wohnung haben, die halb im Wasser und halb an Land liegt. Damit sie gut atmen und ganz knapp unter der Wasseroberfläche auch endlich mal die Leute sehen kann, die dort vorbeilaufen und ratschen. Wenn bloß der blöde Fluss nicht wäre, denkt sich die Nixe und holt tief Luft. Gerade taucht ihre Wohnung wieder aus der Zusam auf. Gleich ist der Krimi im Fernsehen vorbei. „Vielleicht zanke ich mich vor dem Zubettgehen noch ein bisschen mit der Zusam“, denkt sich Neinneinnein und lächelt. Denn eigentlich hat sie es wunderschön. Aber das muss der Fluss ja nicht wissen. Und schon taucht ihre Wohnung wieder genau dort hinein.
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