Der Fall hat viele Menschen in der Region bewegt: Vor drei Jahren verschwand ein Mädchen, das bei Pflegeeltern in Eppisburg lebte, plötzlich spurlos. Wenig später wurde bekannt, dass es bei seinen leiblichen Eltern, die der umstrittenen Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“ angehören, ist. Vergangene Woche veröffentlichte das Amtsgericht Dillingen schließlich eine Entscheidung des Familiengerichts, wonach die leiblichen Eltern das Sorgerecht zurückbekommen. Doch damit ist der Fall noch nicht ganz abgeschlossen.
Den Eltern war das Sorgerecht einst entzogen worden, weil das Wohl des Kindes gefährdet war. In der Glaubensgemeinschaft, die schon oft mit dem Gesetz in Konflikt geraten und deshalb inzwischen ins Ausland abgewandert ist, ist es gängige Praxis, Kinder im Rahmen der Erziehung mit Ruten zu züchtigen. Das Mädchen lebte nach der Entnahme aus der Familie acht Jahre lang bei Pflegeeltern – bis es im Alter von elf Jahren verschwand. Das Gericht geht jetzt aber davon aus, dass das Wohl des Kindes nicht weiter gefährdet sei, weil es 14 Jahre alt ist und damit als vollständiges Mitglied der Glaubensgemeinschaft zählt. Somit werde es auch nicht mehr gezüchtigt. Zudem habe das Mädchen glaubwürdig vermittelt, dass es lieber bei seinen Eltern leben wolle.
Der Aufenthaltsort der Familie der „Zwölf Stämme“ ist nicht bekannt
Damit liegt das Sorgerecht wieder bei den leiblichen Eltern. Strafrechtlich könnte die Sache aber dennoch ein Nachspiel haben. Wie die Staatsanwaltschaft Augsburg auf Anfrage erklärt, sei nach wie vor ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Entziehung Minderjähriger gegen die Eltern anhängig. Allerdings stehen die Ermittlungsbehörden vor dem Problem, dass es offiziell keine Hinweise gibt, wo sich die Familie aufhält. Ein Teil der Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“ lebt in Tschechien. Ob die betreffende Familie dort auch untergekommen ist, ist jedoch nicht sicher. Vor dem Familiengericht war sie nicht selbst erschienen. Stattdessen gab es eine Videoübertragung.
Das Dillinger Jugendamt hat die Entscheidung des Familiengerichts im Übrigen akzeptiert. Wie Regierungsdirektor Peter Alefeld vom Landratsamt erklärt, habe man zwar verschiedene Punkte angeführt, etwa, dass eine angemessene Schulbildung und medizinische Versorgung gefährdet sein könnten. Das Gericht sei in seiner Entscheidung aber auch der einschlägigen Rechtssprechung gefolgt. Damit hätten Rechtsmittel gegen die Entscheidung wenig Erfolg.
Alefeld erklärt zudem, dass durch das Untertauchen der Eltern mit dem Mädchen inzwischen Fakten geschaffen worden seien. Das Jugendamt habe dadurch sein „Wächteramt“ nicht ausüben können. Versuche, mit den ausländischen Stellen zu kooperieren, gestalteten sich ergebnislos, ebenso wie der Strafantrag, der nach dem Verschwinden vor drei Jahren sofort bei der Polizei gestellt wurde. „Somit konnten durch das Jugendamt in diesem Zeitraum keine eventuell negativen Vorkommnisse im Eltern-Kind-Verhältnis registriert werden, die man einer Rückübertragung der elterlichen Sorge hätte entgegenhalten können.“
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